Frohsinn, Frust & Freunde

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Der Feuerwehrmann ruft an und wir verabreden uns für die kommende Woche. Es nervt mich, dass ich auf die Frage wie es mir geht nicht antworten kann: Supergut, danke, und selbst? Also sage ich irgend etwas halbwegs okayes. Sowas wie: Och ja, und wie isses bei Dir?

Vielleicht sollte ich mir für unser Treffen ein paar schöne Erlebnisse ausdenken, etwas, was ihn unterhalten und beruhigen würde, eine Art Positivbeichte. Stell Dir vor. Und dann erzählte ich von superleckeren Muffins und köstlichen Cup Cakes, die ich gebacken, von einem voll witzigen Kunststückchen, dass ich meinen Hund gelehrt hätte und von einem zauberhaften Abend im Wintergarten (Programm lesen, Kritiken studieren und Bilder aus dem Netz runterladen!), zusammen mit dem neuen Lover (Sixpack ausdenken), der eine Granate im Bett sei (vieldeutig lächeln). Mit meinem erfundenen Lottogwinn hielte ich dann auch nicht länger hinterm Berg (jubeljubel!) ebensowenig mit der unerwarteten und uns alle sehr glücklich machenden Genesung der G.

Die gerade verstorbene Lieblingstante verschwiege ich besser, ebenso, wie die Schikanen meiner Vermieterin, die Folgen des Wasserschadens sowie meinen erneuten Krankheitsschub. Stattdessen zeigte ich ihm Bilder der Sommerreise und erzählte ihm, dass ich von meinem Lottogewinn jetzt ganzjährig ein Appartement in meiner bevorzugten Urlaubsregion, den Alpen, gemietet habe.
Oh, und ein Pferd konnte ich mir auch endlich zulegen, eine preisgekrönte Hannoveranerstute namens Sweet Destiny, Rückenhöhe einsachtzig, und jetzt fahre ich  3 Mal die Woche nach Strausberg zum Reiten. Zu blöd nur, dass ich immer mit dem Taxi dort hin reisen muss, weil der aufwändig restaurierte, feuerrote Ford Mustang schon wieder in der Werkstatt steht. Ob der Feuerwehrmann mir wohl eine Empfehlung für einen zuverlässigen Zweitwagen, aber bitte keinen Leiterwagen (hihi), geben könne?

Oder ich erzähle gar nichts und stelle immer nur Fragen. Manche Menschen mögen das, wenn sie ganz ohne Störungen und Hindernisse von sich berichten können. Keine Unterbrechungen durch lästiges Gequassel und Selbstoffenbarungen des bedürftigen Gegenübers.

Der Feuerwehrmann aber ist nicht so einer. Der will wirklich wissen, wie es mir geht und der merkt, wenn ich bloß Geschichten erzähle. Deswegen ist er auch mein Freund, der Feuerwehrmann. Unter anderem. Und Freunde sind vielleicht das Allerwichtigste, wenn´s einem so geht, wie es mir gerade geht.

Gestern zum Beispiel liege ich mit Fieber im Bett und mir ist speiübel und alles tut mir weh, das kaputte Knie puckert, nachdem ich es mir dummerweise am Tisch gestoßen habe, und im Hintergrund erbricht sich die genesen geglaubte Katze. Da kommt die kleine Polin zu mir, setzt sich neben mein Bett und liest mir Hauffs Der kleine Muck vor. Kurz darauf trudelt auch der Unterfranke mit seinem Hund Rüpel ein und fragt wann es nun eigentlich soweit sei mit unserer Hochzeit. Ich lache. Da setzt auch er sich zu uns in die dunkle Märchenhöhle, wo die Kleine (aus Gründen der Heimeligkeit) im Schein der Taschenlampe weiter liest, unterbrochen nur vom Geknister der Kekspackung, die der Unterfranke aus seinem Rucksack hervorkramt und brüderlich mit Rüpel teilt.

Nachdem die Geschichte ausgeklungen ist und jeder von uns ihr eine Weile nachgesonnen hat, räuspert sich der Unterfranke und erzählt, dass sein Telefonanbieter ihm nach seiner schriftlichen Vertragskündigung angerufen und im Nachgang behauptet habe, dass bei diesem Telefonat ein neuer Vertrag zustande gekommen sei. Ich berichte ihm, dass mein Mail-Provider gerade etwas Ähnliches bei mir versucht habe, wogegen ich mich mit Verbalkarate und bombastischen Drohszenarien erfolgreich zur Wehr setzen konnte, und, dass ich jedem, der mir mit irgendwelchen angeblichen Online-Vertragsabschlüssen künftig komisch käme, direkt mal, und zwar mit Anlauf, krawumm!
Ob ich das Gleiche wohl auch für ihn tun und ihm diesen lästigen Vertrag vom Halse schaffen könne, bittet der Unterfranke, und ich sage: Claro, that´s what friends are for.

 

 

 

 

 

 

Foto: Jörg Kantel (Gabriele Kantel), Drachenfest auf dem Tempelhofer Feld, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

27 Kommentare zu “Frohsinn, Frust & Freunde

  1. Ich denke manchmal an diesen herrlichen Feuerwehrmann, dessen Interviews mich so angerührt haben. Wie schön, dass er zu den Freunden zählt. Wenn man Freunde hat, deren Hund Rüpel heißt, und Vorleser und Viecher (auch speiend), dann ist das Jae he viel besser, als so ein langweiliger und völlig überbewerteter lottogewinn

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  2. Du wärst nicht die Katastrophenchronistin, wenn … aber was solls, bei den Freundinnen und Freunden! Ich sehe dich sehr oft mich einem lachendem und einem weinendem Auge.
    Und ja, gute Besserung, ich habe seit heute auch endlich wieder Schwung, das waren jetzt aber auch viele Tage zuviel von Schlappsein und Düsterwolken im Kopp.
    Herzlichst
    Ulli

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  3. Mir scheint, du bist auf immaterielle Weise wirklich reich, liebe Tikerscherk, hast liebe Menschen um dich und einen Feuerwehrmann zum Freund, einen, der offenbar soviel Lebensenergie hat, dass er dir davon abgeben konnte und kann. Gute Genesung!

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  4. „Keiner weiß, was morgen ist.“
    Das sagte meine Freundin immer, schwer erkrank, wenn sie einer nach ihren Plänen fragte, oder nach ihrer Krankheit.
    Sie hat mir so viel Mut gemacht bei allem.
    That’s what friends are for.
    Heute jährt sich ihr Todestag.

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  5. Mir kommts grad vor, als wärst auch du ein Feuerwehrmann, der echt wissen will, wies dem anderen geht und ihm mit Wortkarate beistehen will, wenn die Kräfte für andere Unterstützung grad nicht reichen. Und dass man stolz ist, wenn du einem Freundin bist.
    Und wieder bezaubern mich der Text und das Foto. Welch ein Weit- und Ausblick!! Halt dich wacker! Gerda

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    • Ach, liebe Gerda, ich wünschte es wäre so. Gerade bin ich eine lausige Freundin. Ich höre schlecht zu und bin ziemlich absorbiert von meinem eigenen Mühlrad. Den Brief an die Telefongesellschaft hab ich gestern geschrieben, für viel mehr reichts aber derzeit nicht und das bekümmert meine Freunde. Mich auch. Eins immerhin darf ich sagen: ich tu was ich kann.
      Ich hab nicht so viel Freunde, dafür aber besonders Gute. Und ich glaube wir sind gegenseitig sehr froh uns zu haben, in guten wie in schlechten Zeiten.

      Das Bild ist eine Aufnahme vom ehemaligen Tempelhofer Flughafen. Dort findet im Herbst ein Drachenfest statt. Bsiher habe ich es jedes Mal verpasst, dabei finde ich Drachensteigen eine der tollsten Freizeitbeschäftigungen überhaupt. Nächstes Jahr bin ich dabei. Mit einem eigenen Drachen.

      (Die in der Mitte bin übrigens ich, links der Unterfranke und rechts die kleine Polin)

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