Publikumsbetörung & Samstagslinks

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Der Frühling naht!  (Foto: Annika)

(Wer keine Lust hat, sich durch meine Betrachtungen zu kämpfen, möge bitte gleich ans Ende dieses Textes scrollen und den Links folgen. Wir alle wollen gelesen werden. Dazu braucht es Lesende. Klicken Sie, es lohnt sich!)

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Manchmal stoße ich auf neue Blogs, die ich eine Weile voller Begeisterung lese, bis ich feststelle (oder den Eindruck habe), dass der Blogbetreiber sich, möglicherweise beeinflusst durch Klickzahlen oder Schmeicheleien des Kommentariats, nach und nach auf eine bestimmte Rolle kapriziert hat, in der er mehr und mehr versüßlicht und immer häufiger und immer verzückter von seiner eigenen Putzigkeit, Naivität und Herzensgutheit (meinetwegen auch Tougheit, Stärke und Souveränität) erzählt. Das ist schade und führt über kurz oder lang dazu, dass ich das Blog nicht mehr gerne lese. Ein bisschen erinnert mich das an Kinder, denen man zu häufig sagt, dass sie niedlich sind und die fortan ständig und penetrant das Niedlichsein spielen, mit Flunsch und Augenaufschlag und allem, was gut ankommt. Ihrer Umwelt bleibt dann  (natürlich übertrieben formuliert), nichts weiter als die Rolle des entzückten Claqueurs. Dafür bin ich nicht geeignet (wie auch echtes Fantum mir vollkommen fremd ist).
Als Tochter einer Borderlinerin bin ich leider (über)empfindlich gegen alles, wovon ich mich manipuliert fühle und was mir, um dieses Wort auch mal zu benutzen „unauthentisch“ erscheint. Zieht jemand vorsätzlich eine Schnute und trägt, bildlich gesprochen, obendrein einen zu großen Pyjama, finden viele das voll süß, ich hingegen finde das voll unangenehm, weil ich mich ungefragt in ein Theaterstück, und zu allem Unglück oftmals auch noch eine polternde Komödie, eingebunden fühle. Das (sichtbare) Schielen auf Applaus verdirbt nach meinem Empfinden so ziemlich jede Performance. Ich muss dann ganz schnell die Bühne abbauen von der jemand spricht, nicht mehr hinschauen, nicht mehr lesen, ned amoi ignorieren, wie der Bekannte sagen würde. Einfach weiterziehen. Jedes Ding hat seine Zeit und manche Orte sind nicht zum Verweilen bestimmt, oder man selbst verändert sich auf eine Weise, dass die Orte (oder Blogs) nicht mehr zu einem sprechen.
Meine intrinsische Unduldsamkeit und Intoleranz gegenüber bestimmten Dingen, erstaunt nicht nur den Bekannten von Zeit zu Zeit, sie schmeckt leider auch nicht besonders gut und hinterlässt hässliche Flecken auf dem Selbstbild. Auch das ein Grund, warum ich mich von Dingen die mich stören möglichst schnell abwende und mich auf die Suche nach neuen Freuden mache. Ein wenig mehr Geduld stünde mir gut zu Gesichte, hab ich aber leider nicht und ich wüsste auch  nicht wo ich sie her kriegen könnte. Oohhhhmmm.

Natürlich sind wir alle nur Darsteller, selbstausgedachte Figuren, die, sobald sie sich in der Öffentlichkeit wähnen, ihre „Problemzonen“ durch Wortkaftane verhüllen und das betonen, was sie als besonders schön und liebenswert für Andere antizipieren. Für mich sind die interessanten Menschen aber die, die nicht nur schillern und immer nur schön und redlich oder originell sind, bzw. so tun. Die nicht humorige Launigkeit darstellen, sondern tatsächlich einen feinen Sinn für Humor haben. Ich mag die Brüche, das Schräge und das Unperfekte, ich mag es, wenn jemand draufloslebt und entsprechend draufloserzählt, sich die Freiheit nimmt er selbst und damit auch mal ein Arschloch zu sein, mit Worten zu experimentieren, Bilder zu zeichnen, gerne auch holzschnittartig oder dilettantisch, ohne dabei gleich ein Verkaufsgespräch zu führen, eine lärmende Kontaktanzeige zu schalten und es allen Recht machen zu wollen. Ich liebe Selbstvergessenheit, Exzentrik und Klugheit, die auf einem soliden ethischen Fundament (oder nennen wir es besser auf Haltungen) steht. Am liebsten in dieser Kombination.

[…]the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes “Awww!”

Jack Kerouac

(* ganz unten noch ein Link zum Thema bloggen)

 

Manche Blogger, um nach diesen (auch für mich) erstaunlichen und halbgaren Überlegungen noch irgendwie die Kurve zu kriegen, möchte ich aber unbedingt und allezeit rühmen und ihnen eine Bühne errichten, auf dass ich sie besser beklatschen kann für ihre klare Schnörkellosigkeit.

Diese hier zum Beispiel:

Gleich zwei Mal der liebe Herr Schneck (schneckinternational), dessen Blick auf die Dinge ich unnachahmlich finde. Seine Art zu schreiben sowieso:

Konfirmand. Weiß soweit das Auge reicht, dazu Klavierklimper und Gedanken.

Außerdem: Chor der Engel erwacht

„Sorge des Lebens verhallt, weisser Wein, weisser geht kaum. Der Wein, der Teewagen, Berge von Geschirr, die Kissen voller Küsse und Milben und Nachtsabber. Die alten Schaffelle, die plastenen Untersetzer für längst vergangene Pflanzentöpfe, mürbe und verbleicht, die alten Koffer für eine Übersee, die es nicht mehr gibt, aus einer Zeit, als diese noch lohnenswert schien, Koffer, die ihren Sex vor sechzig Jahren hatten…“

Dann ist da Urel Elif, deren Blog ich kürzlich entdeckt habe und deren besondere und bildhafte Art die Dinge zu betrachten und zu beschreiben mir außerordentlich gut gefallen.
out of the box heisst das Blog und Mario Vargas Llosa der Text. Ich habe lauthals gelacht beim Lesen und war gleichzeitig ergriffen. Das schaffen nur wenige Texte bei mir. Unbedingte Leseempfehlung. Am besten gleich das ganze Blog!

Der Wortmischer indes fragt sich wieso Menschen mit zunehmendem Alter „verbeigen“, also nur noch Bekleidung in der Farbe Beige tragen und findet eine überraschende Erklärung dafür.
Ich habe übrigens eine ganz andere. Ich glaube man strebt im Zuge der stückweisen Selbstauflösung danach beige zu werden, naturfarben wie die eigene Haut. Das passt gut zum Braun der Mutter Erde. (Entschuldigen Sie, das sind die Nachwehen der letzten Wochen).
Hie spricht der Wortmischer über Beigisierung

Und zum Abschluss  ein Text der geschätzten Wildgans, die die meisten kennen werden, die ich aber in dieser Riege gerne mitverlinken möchte. Ihre feine Ironie und ihr kluger Blick locken mich tagtäglich auf ihr Blog. Hier stellt sie eine Jagdmethode vor.

Viel Spaß beim Lesen und einen schönen Samstag allerseits!

 

 

* Der werte Herr Ackerbau hat auch just was zum Thema Bloggen geschrieben, dem ich mich gerne anschließen möchte: Über das Bloggen

 

 

 

 

Bild: Annika

26 Kommentare zu “Publikumsbetörung & Samstagslinks

  1. Bei allem Respekt vor deiner Meinung. Nicht jeder ist der geborene Philosoph, steckt voller Ironie oder ist ein begabter Poet. Trotzdem möchte er/sie etwas mitteilen. Das Lesen desselben ist freiwillig, sich darüber zu empören ist leider mittlerweile verbreitet.
    Herzliche Grüße

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    • Absolut Deiner Meinung. Ich bezog mich auf Blogs, die sich mehr und mehr den Erwartungen des Publikums anzupassen scheinen und für mich deshalb an „Authentizität“ verlieren, weshalb ich dann weiter ziehe ohne mich zu empören.
      Dilettantismus und echtes Mitteilungsbedürfnis schätze ich überaus.
      Ich verfolge ca. 300 Blogs, die sehr verschieden sind. Alle zusammen ergeben ein schönes Bild unserer Zeit.

      Gefällt 3 Personen

  2. Selbstvergessenheit, Exzentrik und Klugheit (auf solidem ethischen Fundament) – das klaue ich mir und nenne es fortan die Tiikersche Trias. Danke für diese tolle Bündelung dessen, was (auch) mich an Menschen begeistert!

    Gefällt 3 Personen

    • Sehr gerne.

      Naja, ich werte ja insgeheim. Und weil ich das so doof finde, gehe ich dann schnell weg, irgendwohin, wo die Bühne nicht so aufdringlich blinkt und die Limo nicht so pappsüß ist.

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  3. Moin Tikerscherk

    Eine Sache ist mir aufgefallen; bei Dir und und auch beim Herrn Ackerbau: Da taucht nirgends das »untereinander verlinken« auf.
    Bei aller unwidersprochenen Selbstdarstellung und dem Kasperletheater, das da stattfinden mag, gibt es auch den nicht unwichtigen Aspekt der Blogroll oder dem gelegentlichen Verlinken der lieben Kollegen. Es wird hin zitiert, Bezug genommen oder eine Idee weitergesponnen. Man sucht nicht nur zu gefallen (sich oder anderen), sondern auch nach Verbündeten. Einem Kreis, in dem man sich wohlfühlt.

    Bei allem, wie Ihr beide das Thema interpretiert habt: Wenn ich das von allem (schönen) Ballast befreie, bleibt… Eine Kneipe. Man trifft sich, ist, je nach Pegel und Tagesform, mal lauter oder sentimentaler, buhlt um Aufmerksamkeit oder baggert die schöne Nachbarin an der Theke an. Ich denke gar nicht, daß in der Bloggerei die Dinge so anders liegen als in jeder beliebigen Kaschemme in der man sich nach Feierabend trifft und beim gemeinsamen Bier den Tag doch noch gewinnt.
    Für die Feinsinnigen mag es auch ein Wiener Café der Jahrhundertwende sein, wo man sich notorisch klamm für Stunden an eine Tasse Kaffee klammert. Man kann sich gegenseitig Gedichte vorlesen oder mangels Talent die Tageszeitung, die am Ständer neben der Türe hängen, diskutieren oder im Zorn auseinandergehen. Nur: Ein Blog schreiben ist in der Summe nichts anderes. Mit dem Unterschied vielleicht, daß man den Arsch nicht vor die Tür bewegen muß und auch mit den Manieren nimmt es nicht jeder so genau.
    Aber sonst…?

    Prost, die Damen und Herren.

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    • Ja, der ganze Aspekt des Verlinkens und Verbindens ist bei meinem Text zu kurz gekommen (bzw. nicht existent). Das hat zum einen damit zu tun, dass das Stückchen nicht als umfassende Abhandlung gedacht war. Zum anderen habe ich allerdings auch etwas Skepsis, wie gut so etwas funktionieren kann. Aber: Vor einigen Jahrzehnten habe ich ein Punkfanzine gemacht und mit vielen anderen Fanzinemachern Briefe geschrieben. Bloggen ist für mich eine Art Fortsetzung.

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    • Zum Bloggen gehört die Blogroll (leider nicht bei allen), und natürlich auch immer mal wieder auf die Texte der anderen hinzuweisen. In literarischen Blogs, wie man meines wohl nennen würde, ist das schwieriger, da hier ja alles Introspektion ist, zu der ich schlecht andere heranziehen kann.
      Dieser Text war allerdings auch eher eine Sturzgeburt. Ich hab, wie fast immer, einfach drauflosgeschrieben, nachdem ich eine kleine Runde durch Bloghausenn gedreht hatte.

      Wenn es gut läuft, entwickeln sich Diskussionen zwischen den Kommentatoren, wie oft bei Dir drüben. Aber da geht es ja auch um Politik, und dazu hat jeder eine Meinung. Wenn es nicht gut läuft, dann nicht.
      Und auch hier nochmal: meine Texte, da autobiographisch, lassen wenig Spielraum für Diskussion. Klar könnte man am Stil kritteln, aber doch eher nich am Inhalt. Da trägt dann vielleicht jeder eine Anekdote bei, erzählt also auch nur von sich selbst. Aber auch das mag ich. Der Reihe um Geschichten erzählen.

      Ich war ja gar nicht gemeint, sagst Du, lieber Freund. Nun hab ich aber doch was gesagt dazu und freue mich darüber, dass wir seit langem mal wieder ein Gespräch auf meiner Seite hier führen.

      Moinsen

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  4. P.S. Einen hab ich noch! (Keine Publikumsbeschimpfung, Pantoufle! Hörst Du? Du bist hier nicht zu Hause) Genau, das Stichwort: Ist Euch mal aufgefallen, daß man sich auch als Kommentator die Finger wund schreiben kann, aber es geht nie jemand darauf ein? Außer den Blogbetreibern, weil die sich gebauchpinselt fühlen. Oder provoziert, mißverstanden oder ein wenig herausgefordert. (…ich sagte doch…!)
    Bei den Kommentaren, die man als Blogger gelegentlich bekommt, ist es aber auch sowas von als wenn Salome vor einem tanzt. »Ach, wie feinfühlig und so fein bemerkt!« und so. Da bleib du mal ruhig auf dem Kissen sitzen und werfe die Wallungen von Größenwahn einfach von dir. Dabei müßte man eigentlich mißtrauisch werden: Jeder Kommentator scheint zu glauben, der Gastgeber würde ihm alleine gehören. Nicht dem anderen Lobhudler, der »Das ist die brachiale Wahrheit!« geschrieben hatte. Also ignoriert man den Banausen. »Brachial«! Das ich nicht lache! Feinfühlig war das. Aber sowas von! Und diese Poetin des spinnwebfeinen Gedankens gehört mir, mir, mir ganz allein! {Übrigens auch dieses ein Phänomen, das man in Kneipen gut beobachten kann: dezentes Stühlerücken} Da freut man sich doch mittlerweile über jeden ehrlichen Verriß! Also einen fundierten, mit Wissen, Sympathie und Verve; nicht das Getrolle was mittlerweile als Kritik durchläuft. »Ha! Der hat mich gelesen!« Und natürlich gründlich mißverstanden, was ich ihm mit einer gepfefferten Antwort heimzahlen werde.

    Bei den Kommentatoren untereinander? Ein bedauernswert seltenes Erlebnis. In dieser Hinsicht gleicht es weniger einer Kneipe als dem klassischen Kasperletheater. Schade eigentlich. Warum liest man so selten den Kommentar zum Kommentar »Bist Du sicher, daß Du es gelesen hast?)
    (/Publikumsbeschimpfung)

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  5. „Beigisierung“ als Mittel zur Anpassung an das künftige Leben im Jenseits oder unter der Erdkrume? Ich gebe zu, das würe schon sehr gut passen. Aber mir gruselt es dann doch bei der Vorstellung.

    (Danke sehr jedenfalls für Hinweis und Link, da gerät mein beschauliches Blog ganz schön ins Wanken bei diesem Besucherandrang!)

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  6. „Wortkaftane“ (einzigartig!), oder und auch die Herr-Dilettant’sche Zuweisung „Tikersche Trias“ (treffend, herrlich, liebevoll, weise!) – ich danke und bewundere gleichermaßen. Ihre ganze Arbeit hier. Wenn es jemand verdient hätte… na, Sie wissen schon. Herzlich verbunden, immer! Ihr Schneck

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