where have you gone

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Früher atmete es nachts unter meinem Bett. Tiefe Züge eingesogen von einer großen feuchten Lunge, einem Blasebalg.
Damals schrieb ich noch Briefe an einen Mann, dem ich nichts zu sagen hatte wenn wir uns sahen, mit dem ich jedoch einvernehmlich schweigen konnte, nebeneinander sitzend mit blinzelndem Blick auf die Welt.
Anfangs hatte ich in Erwägung gezogen mit ihm zu schlafen, wie ich das damals bei jedem Mann erwog den ich traf, doch ich hatte mich dagegen entschieden, um nicht die Energie zu gefährden, die uns schreiben und schweigen ließ. Stattdessen schlief ich mit seinem Freund, der am gleichen Tag wie er Geburtstag hatte. Das musste reichen und auch darüber verloren wir kein Wort. Wenn wir drei uns zufällig am gleichen Ort begegneten, standen wir beieinander wie Skulpturen und kein Außenstehender hätte sagen können was uns verband.

Irgendwann zog er nach Köln.

Damals schrieb ich ihm von dem nächtlichen Atmen unter meinem Bett und von den groben Kordeln, die der Physiotherapeut durch mein Zimmer gespannt und auf die er  längsgespaltene Möhren gesetzt hatte. Davon, wie ich an einer Blume gerochen hatte, deren Blütenstaub meine Nasenspitze gelb eingefärbt hatte und wie ich auf dem Hügel oberhalb der Stadt einen Tobsuchtsanfall bekommen hatte, weil der Therapist darüber gelacht hatte. Ich schrieb ihm von der Briefbombe, die ich meiner Mutter eines Tages schicken würde und von der Sehnsucht, die ich nach Caracas hatte, einem Ort, an dem ich noch nie war und von dem ich nicht einmal ein Foto gesehen oder je einen Reisebericht gelesen hatte.
Es machte mir nichts aus, dass er mir niemals antwortete auf diese Geschichten. Im Gegenteil. Es zeigte mir, wie gut sie bei ihm aufgehoben waren.
In einem meiner Briefe erzählte ich ihm auch von dem Kran, dessen Ausleger die Lücke im Wald hinter dem Müllheizkraftwerk optisch verschloss wie ein Deckel, und davon, welche ästhetische Zufriedenheit mir dies schenkte. Etwas, das ich erst bemerkte, als ich es zu Papier brachte. Wie so vieles.

Vom Selbstmord der Nachbarin berichtete ich ihm und vom tagelangen Klingeln ihres Telefons, das diesem vorausgegangen war. Davon wie die Feuerwehrleute schließlich die Leiter an meinen Balkon anlegten und einer nach dem anderen über die Betonbrüstung stieg, um von dort nach nebenan zu gelangen, wo sie den Tod der jungen Frau feststellen würden, derweil ich im Schneidersitz auf dem Bett saß, im dünnem Röckchen und mit aufgeknöpfter Bluse, an diesem schwülheißen Tag, und starrte, weil ich nicht reden konnte. Aus den Boxen sprach Linton Kwesi Johnson mit tiefer Stimme zu mir und einer der Feuerwehrmänner hob verlegen die Hand zum Gruß. Die schwarze Katze indes war längst unter das Bett gekrochen, zu dem schlafenden Blasebalg, den sie weniger fürchtete als die Uniformierten.

Später besuchte der Briefeleser mich in Berlin. Er hatte inzwischen zwei Bücher veröffentlicht, über die wir nie sprachen.
Stattdessen topften wir meine Pflanzen um und hängten gemeinsam die leichten Sommerkleider auf die Leine, die ich damals trug. Manchmal rauchten wir auch oder tranken schweigend ein Bier.

An einem Abend strich er mir die Haare aus dem Gesicht. Es war das einzige Mal, das er mich berührt hat.

Bild: Manu, Sonnenbraut und Gewitterhimmel
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

18 Kommentare zu “where have you gone

    • Der Atem hat mich nur beim ersten Mal erschreckt. Später wusste ich schon, dass er unter dem Bett bleibt. Einen Zwillingsatem gab es nachts hinter dem Kühlschrank. Den konnte ich mir aber erklären mit dem arbeitenden Kühlaggregat.

      Einen solchen Freund zu haben ist ein Geschenk. Meiner ist mir irgendwann stillschweigend abhanden gekommen.

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