Garra rufa

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Die Fahne hoch halten, während die Füße im Morast versinken und die Würmer bereits an den Zehen nagen. Bin gleich da!
Nicht einfach, doch – auweh! -ich kann nicht klagen.

Manch eine besucht dafür spezielle Läden, hängt dort mit fancy Freundinnen herum und steckt ihre schlanken Beine ins Wasser. Flugs fischeln sich hungrige Saugbarben heran, reissen ihr die Hornhaut von den Füßen und machen so die Arbeit, die früher einmal der Bimsstein (schönes Wort) erledigte, doch bimsen war gestern.
Eine Idee herübergeschwappt oder aufgeschnappt und weitergetragen wie eine Fackel, um der Welt die Vielfalt zu bringen, die die Welt der Welt zu bieten hat und die sie verdient. Wahnsinn.
Menschen mit Schuppenflechte oder Neurodermitis dürfen diese Dienstleistung übrigens nicht in Anspruch nehmen. Sonst kotzen verfetten die Fische. Wie häßlich.

Stattdessen herrscht Hunger im Aquarium, denn nur gepflegte Füße werden dort gebadet – uh! und ah! Das kitzäält! – wer möchte sich schon vor den Freundinnen blamieren.
Das ist wie mit der Putzfrau: man hält sich eine, weil man kann, und macht gründlich sauber, ehe sie kommt. Nicht, dass sie denkt – bewahre!

Am Ende eines langen, Tages, wenn alle Läden geschlossen sind, kommt sie dann, die Zugehfrau, schaut sich um, ob jemand da sei, setzt sich seufzend hin und hängt ihre schwieligen Füße ins kühlende Nass. Verträumt schaut sie der Asche hinterher, die langsam auf den Grund des Aquariums sinkt, nimmt einen  tiefen Zug und genießt das wohlige Ziepen und Zupfen zwischen den Zehen.
Grambeladen ist ihr Leben, doch das hier ist wie Urlaub in der Türkei.

Fällt Ihnen etwas auf?
Genau. Dieser Text wurde mit der heissen Nadel zuende gestrickt. Zackzack. Nicht gerade lieblos, aber doch mit schlagartig erlahmtem Interesse und dem Drang ihn nicht unvollendet zu lassen. Eigentlich sollte es weitergehen mit ekelerregenden Krankheiten als Scheidungsgrund. (siehe auch: Die Haut- und Geschlechtskrankheiten im Staats-, Straf-, Zivil- und Sozialrecht: Entwurf Einer Geschichte der Ansteckenden Geschlechtskrankheiten)

Syphillis und Tripper wären alsdann Thema geworden und da ist Nietzsche natürlich nicht weit. Auch das Werk Batailles ist von den Erfahrungen mit dem syphillitischen Vater geprägt, er wäre ebenso nochmal direkt oder indirekt zur Sprache gekommen. Da mich aber ganz plötzlich, auch wegen des durchplauderten Nachmittages, die Energie verlassen hat und ich heute keine Lust darauf habe Scherben einzusammeln, sie neu zusammen zu setzen, und solange zu feilen, bis alles zusammenpasst, liegt diese Erzählung bis auf Weiteres brach.

Den Bogen zu den ekelerregenden Erkrankungen hätte ich übrigens gespannt, indem ich von der Dikriminierung der an Schuppenflechte erkrankten Menschen erzählt hätte, die nicht nur nicht ihre Füße ins Saugbarbenbassin halten dürfen (s.o.) obwohl es gerade für sie so angenehm und hilfreich wäre, sondern wegen ihres Aussehens auch keinen Zugang zu Badeanstalten haben. Das verbietet die Badeordnung, denn die anderen Badegäste könnten sich vor ihnen (wie auch vor Epileptikern) ekeln. Als ich dies (u.a. in der Badeordnung von aqualand.de) las, erinnerte ich mich an eine Freifahrt im Krankenwagen, die ich vor Jahren bei einer Tombola gewonnen hatte. Die veranstaltende Praxis gab mir vor der Reise einen Transportschein in die Hand, den ich mir durchlas, während ich durch die Gegend geschaukelt wurde. Als ein möglicher Grund, der die Beförderung mit einem Krankentransport notwendig machte, war dort das Leiden an einer ekelerregenden Krankheit aufgeführt.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie man sich fühlt, wenn man als ekelerregende Person mit einem solchen Zettel in die nächste Klinik geschickt und dort von Menschen in Empfang genommen wird, die Handschuhe und Mundschutz tragen, deren angestrengten Blicken man aber immer noch anmerken kann, dass sie, obwohl hartgesottene Profis, nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken können. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist vor lauter Ekelhaftigkeit ja sowieso nicht mehr drin, baden gehen darf man schon längst nicht mehr, ab in die Quarantäne, ins Heim oder was anderes in der Art. Geschlossen.
Wieviel Ekel und Empfindlichkeit ist eigentlich seitens der Angeekelten gegenüber den   „Ekligen“ zumutbar? frug ich mich. Dürfen wir sie tatsächlich ausschließen, weil wir behaupten ihre widerwärtige Krankheit nicht ertragen zu können. Wie ist das dann mit hässlichen Menschen? Gelte für sie nicht das Gleiche? Geh mir aus der Sonne, du Kotztüte Scheusal!

So etwas in der Art wollte ich heute schreiben und lasse es nun bleiben. Ist ja nicht alles schlecht in der Welt. Ist doch auch viel schönes.
Draußen ist Frühling, es knospt und grünt und krokusst und wünschelt und sehnt und bald schon bald wird der Wasserfall am Kreuzberg wieder angeschaltet und das Leben geht in eine neue Runde.

Ende.

 

 

 

Bild: August-J. Herbst
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

21 Kommentare zu “Garra rufa

  1. Ich bin froh, dass du letztenendes dann doch nichts über Menschen mit ekligen (Geschlechts-)Krankheiten geschrieben hast. Neuerdings darf man nämlich auch gar nicht mehr über sie nachdenken, weil: unsere Gedanken bestimmen unsere Realität!

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    • Wie sagt Frau Haessy so schön: Realität ist das, was ich dafür halte. Insofern: ja.
      Aber wieso neuerdings?
      Ich wollte nicht en detail über Geschlechtskrankheiten schreiben. Eher so über ihre rechtlichen Auswirkungen auf die Ehe. Habs aber schon wieder verworfen- nicht mein Thema.

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  2. Herrlich, haarige Herrenbeine. Dazu F.W. Bernstein: „Zwischen Knie und Sockenrand ist erotisch ödes Land. Schön ist zwar die Wade, doch sie bringt´s nicht. Schade.“

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  3. Es gibt übrigens nur 2 verschiedene Formen von knospen, er/sie/es knospt und sie knospen. Bei Präteritum wird einfach ein e angehängt und ten beim Plural. Aber verwunderlich ist das ja nicht: bis ich du knospst fehlerfrei über die Lippen bekäme, wären längst alle Bäume ausgeschlagen;)

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