Wer denkt sich all die Werbeslogans aus, die mir ständig ins Auge springen, über den Sehnerv in mein Gehirn gelangen und sich als großes Fragezeichen, als schwammartiges, dunkles Gallert in direkter Nachbarschaft zu nützlichem Wissen einnisten?
Der flatulierende, geschwätzige Nachbar, der sich beim Leeren des Briefkastens von der Seite nähert.
Nach einem aufreibenden, anämischen Tag fahren wir durch den Westen Berlins in Richtung Stadtautobahn. Regentropfen laufen am Seitenfenster des Wagens herunter und zerfließen auf dem Dichtungsgummi zu einem schmalen, leicht gewölbten Horizont in dem die graue Silhouette der Welt sich als Miniatur spiegelt.
Während ich die sich ausdehnende und wieder verflüchtigende Spur meines kondensierenden Atems auf der Scheibe beobachte, steuert der Unterfranke das Auto sicher durch den Verkehr. Das Gebläse läuft, mich fröstelt. Bald Juli und noch immer will es nicht warm werden.
Im Fond des Wagens maunzen die drei Katzen in ihren Transportkörben. Eine fängt an, die nächste stimmt ein und so immer im Wechsel, ein jämmerlicher Reigen zum Takt des Dieselmotors. Bald sind wir wieder Zuhause.
Als wir durch die Schloßstraße fahren beginnt auf meinem biographischen Atlas eines der vielen Fähnchen zu flattern. Ich erinnere mich: an der Seitenbegrünung dieser Tankstelle hat Töle zum ersten Mal, nachdem sie von Lanzarote kam, auf Berliner Boden ihre Blase entleert. Sechs Jahre ist das schon her.
Hin fahrt die Zeit
Gleich nach der Tanke passieren wir ein Sanitärfachgeschäft. Ein schönes Bad ist kein Zufall, steht auf einer der Schaufensterscheiben.
Natürlich nicht, wie könnte es? denke ich bei mir und habe sogleich eine Szene vor Augen, in der die tüchtige Hausfrau einer anderen Frau stolz ihr Badezimmer zeigt.
Oh, das ist aber ein schönes Bad! Ist das Zufall? fragt der Besuch.
Nein, das ist Absicht, antwortet die Hausfrau.
Wie ist das nur möglich! Unglaube in der Stimme des Gastes.
Es wurde so geplant!
Das ist ja fantastisch! Wer macht denn sowas?
Das macht Klimpel, Ihr Badausstatter in Berlin-Steglitz!
Undsoweiterundsoweiter in der Weise einer Dauerwerbesendung.
(Ob ich mich um meine geistige Gesundheit sorgen muss?)
(Ipalat! Ipalat!)
Inzwischen sind wir auf die Stadtautobahn gefahren, das beständige Tröpfeln hat sich zu einem splatternden Regenguss gesteigert und ich verfolge den flotten Tanz der Scheibenwischer auf der Frontscheibe. (Wie Josephine Baker, mit die Hände an die Knie).
Im Rückspiegel sehe ich einen LKW sich dunkel heran schieben. Mordhorst steht auf seiner Stirn.
Ein einprägsamer Name für ein Transportunternehmen. Mindestens so gut wie Totleben, der oxymoronöse Name eines Generals sowie eines nach ihm benannten Inselforts, über das es einmal ein Feature beim Deutschlandfunk gab, dessen Regie ein Wolfgang Rindfleisch führte.
Überhaupt: ulkige Namen. Einer nach dem anderen fiele mir da ein und immer noch weitere, je doller ich grabe und je schwächer ich mich fühle.
Doch um nicht vollends ins Banale oder wahlweise Hysterische abzugleiten und weil sich die Erde inzwischen unbeirrt weiter gedreht und es sich nicht so entwickelt hat, wie wir das von Herzen gewünscht und mit vereinigten Kräften herbeizuführen versucht haben, ende ich diesen zerfransten Text, der einfach keine Form annehmen möchte.
Die Ausbeute des gesamten Tages waren 42 Milliliter Blut.
Sie konnten das kleine zarte geliebte Leben nicht mehr retten.
Ich mag Franserei. Die Welt braucht mehr davon.
LikeLike
Ach, danke. Dann ist es ja doch für etwas gut, das Stückwerk.
LikeLike
Das tut mir leid.
LikeGefällt 1 Person
Mich schüttelt bei derlei Ambivalenzen das Schmunzelgrauen, denn es gibt sogar einen Polizeipräsidenten und Kommissar namens Mordhorst. So, als ob man sich zeitlebens der Unschuld berufen beweisen müsse…
Und es tut auch mir leid.
Um das zarte Leben und die vergebliche Hoffnung.
Die Liebe wird trösten. Und die Lebenden.
Auch, die der Liebe bedürfen.
Das unermüdliche Lebens-Metronom.
Damit Ihr Herz preußisch-getreu unbeirrt taktet.
Gut aufpassen-
LikeLike
Wenn aufpassen mal helfen würde…
und danke!
LikeLike
Dein Text hat genau die Form angenommen, die er haben musste. Genau so fühlt es sich an, wenn einem ein Leben entgleitet…
LikeGefällt 4 Personen
Mir gefällt das „geschwurbel“ vor allem hast Du es wunderbar arrangiert. Nur heisst der Totleben doch bestimmt Dr. Totleben: so viel Zeit muss sein.
LikeGefällt 1 Person
Schöne Bilder.
„Sie baden da gerade Ihre Hände drin!“
LikeGefällt 1 Person
da lese ich diesen wundervollen Text mit soviel Genuss und bleibe dann fassungslos am letzten Satz hängen.
Das tut mir sehr sehr leid!
LikeLike
Hab mich lange nicht gemeldet, wollte aber mit den besten Grüßen wisssen nicht vergessen zu sein. Ein Gedicht für Dich, aber nicht von mir weil ich doch nicht dichte sondern dichten lasse.
Ja das wollte ich sagen… da war doch gleich? Ach ja! Das Gedicht.
Westwego
Eines sommers ging ich in London umher
die füße brennebd und das herz in den augen
vor schwarzen mauern vor roten mauern
an den großen docks
wo riesige policemen wie gereizte
fragezeichen stehn
Man konnte mit der sonne spielen
die sich wie ein vogel auf alle
monumente setzte
zugtaube
alltagstaube
Ich ging durch dieses viertel das Whitechapel heißt
pilgerfahrt meiner jugend
wo ich nichts antraf
als sehr gut gekleidete leute
die zylinderhüte trugen
und streichholzverkäuferinnen
mit strohhüten auf
die gleich den bäuerinnen Frankreichs riefen
um die kunden anzulocken
penny penny penny
Ich betrat eine kneipe
wagon dritter klasse
Daisy Mary Poppy
da saßen sie um den tisch
neben den fischhändlern
die augenzwinkernd kauten
um die nacht zu vergessen
die nacht die mit wolfsschritten kam
mit eulenschritten
die nacht und der flußgeruch und der der gezeiten
die träume zerreißende nacht
es war ein trauriger tag
aus kupfer und sand
der träge zwischen den erinnerungen glitt
Philipe Soupault
LikeGefällt 4 Personen
Bald Juli und noch immer will es nicht warm werden.
Dieser Satz zeigt das unverstellte Ausmaß unserer ungeheuren Katastrophe. Wir leben in einer Gegend, in der solch ein Satz die ganze Wahrheit und somit die ganze Auswegslosigkeit unserer Existenz markiert. Wir haben etwas falsch gemacht. Dazu kommt die Katastrophe namens Ostdeutschland/Preußen um uns herum. Für einen im Westen/Südwesten Sozialisierten ist die komplette und vollumfängliche Kulturlosigkeit und die ebenso vollumfängliche Barbarei dieser Landstriche eine dauerhafter Schmerz.
LikeGefällt 1 Person
Der eigentliche Schmerz ist das Leben, diese stets tödlich velaufende, vielgesichtige Krankheit, die durch Geschlechtsvekehr übertragen wird.
LikeGefällt 1 Person
Das ist ja furchtbar.
LikeLike
Das ist es.
LikeLike
Ja!
LikeLike
und ebenfalls nochmal danke von mir für diesen immer wieder aus gründen des vermeintlichen selbstschutzes verdrängten fakt. und trotzdem ist „das“ leben der 6ger im lotto des raum/zeit-kontinuums (was naturgemäss ebenfalls nur rein subjektiv gelten kann). die ewige ambivalenz.
(und ich werd und werd einfach nicht meinen klugscheissermodus los, sorry…öööhm, grandioser text btw in seiner nur vermeintlichen verfransung und schlussendlicher kompromisslosigkeit, die dennoch alles andere als bitter im letzten satz kulminiert, danke für.)
LikeGefällt 1 Person
SPEDITION MORDHORST wird nur (knapp) übertroffen von HARTCHROM DÜSTER im Industriegebiet.
LikeLike
Phan-tas-tisch!
LikeLike
Das Ende eines geliebten Lebens ist immer …
[Einsetze Klischee nach Wahl: traurig, schmerzhaft, unfassbar, herzzerreißend, sinnlos]
Und auch ich habe schon ein leeres Körbchen vom Tierarzt nach Hause transportiert. Per Bus. Volle Körbchen fuhren immer Taxi.
Werde es wieder tun. Müssen. Irgendwann. Das wusste ich, als ich sie holte. Ich ahnte nur nicht, dass es keine 5 Jahre sein würden bei diesem leeren Körbchen, im Januar 2011.
Es hilft, wenn noch andere sind und man nicht in eine völlig leere Wohnung zurück kommt. Aber schön ist was anderes.
LikeLike
Jede Liebe, auch die zu einem Haustier, birgt die Gefahr, dass sie vor unserem Tod endet und wir dies ertragen müssen. aber ohne diese Liebe wäre das Leben viel trister und unerträglicher. Ich lebe mit Katz und Hund seit Ewigkeien und so soll es bleiben. Dass es bei Dir nur 5 Jahre waren tut mir sehr leid, und trotzdem sagst Du, dass Du es wieder tun wirst. Das ist schön.
Danke für Deinen Kommentar.
LikeGefällt 1 Person
Ich hatte ja noch den Kater, und der war dann tagsüber so allein, wo ich arbeiten musste, dass ich mir nach einem Monat ein neues Katzentier suchen musste. So kam die superscheue Kessy zu uns – und für die zwei war es Freundschaft auf den ersten Blick. Jetzt hab ich halt wieder zwei – und die sonst so scheue Kessy ist inzwischen sehr zutraulich.
LikeLike
Ein Geschenk, wenn sie Stück für Stück Vertrauen gewinnen.
Schön, dass Du gleich zwei hast. Ich denke, dass kein Tier auf Dauer ohne Artgenossen leben sollte.
LikeGefällt 1 Person
Ich hole nach&auf, langsam, aber immerhin geht es jetzt wieder.
Und was habe ich alles verpasst: Das ist ja schrecklich, schade, schon solange her… Der Schnitter hatte gut zu tun diesen Sommer.
LikeLike
Es tut mir sehr leid mit deinen Katzen. Auch wenn ich es nicht in Gänze verstanden habe, was mit ihnen passiert ist – der Kummer und die Trauer sind so spürbar…
Herzliche Novembergrüße,
Marlis
LikeLike
Beide waren anämisch aufgrund einer chronischen Niereninsuffizienz. Am Ende ist Kater2 an einer allergischen Reaktion auf ein Medikament gestorben, dass die Bildung roter Blutkörperchen anregen sollte.
Sein Bruder war im Sommer an einer inneren Blutung unbekannter Ursache verstorben.
LikeLike