Manchmal, in besonders intensiven oder eindrücklichen Momenten, beispielsweise beim Überqueren des Kottis in seiner niederschmetternden Tristesse und dem unentrinnbaren betongrauen Siechtum, frage ich mich, im Fluss des Seins, ob dieser Tag, dieses Geschehen oder Nicht- bzw. Ungeschehen es in das Archiv meines Langzeitspeichers schaffen werden.
Und dann denke ich an diesen einen, inhaltsleeren, gänzlich bedeutungslosen, unwirklichen und zugleich hyperrealen Augenblick, als ich am Rubihorn hinter einer Holzhütte stehe – jemand läuft an mir vorbei, ich höre das Knirschen der Sohlen, drehe mich nicht um – und die Gegenwart so greifbar und gegenständlich und hell und beinahe reliefartig vor mir, in mir, und um mich herum steht, ohne dass irgendetwas geschieht oder ist oder sich auch nur in meinem leeren Kopf bewegt, oder mich in irgendeiner Weise berührt, außer im Nachhinein betrachtet oder vermutet.
Dieses Nackte, Ungeschönte, hyperplastisch und pornoartig wie eine Packung vakuumverpackter Erdnusskerne.
Das graubraun verwitterte Holz der Hütte, das schroffe Gestein, der diesige Himmel und die temperaturlose Luft. Die tönerne, unbeschreibliche Fremdheit.
Weder war ich erschöpft oder angestrengt, noch verzückt in diesem Moment vollkommener Gleichgültigkeit und überklarer Wachheit. Nichts rührte sich in mir. Doch ausgerechnet oder gerade die Abwesenheit jedes erinnerbaren Gefühls oder Spektakels wurde zu einer meiner intensivsten und zugleich nichtssagensten, auf eine Art ödesten Erinnerungen, die ihre Kraft und Intensität allein aus dem Unmittelbaren, dem Unvermittelten zu schöpfen scheint.
Ähnlich nachhallend, wenn auch nachvollziehbarer, meine Erinnerung an jenen sonnigen Wintertag im Kindergarten: Ich stehe vor einem langgezogenen Bungalow, im Hintergrund die blaue Linie des Taunus, schaue den anderen Kindern beim Buddeln zu, schließe meine Augen ein wenig und blinzele, die Wange in den Kaninchenfellkragen meines Mäntelchens geschmiegt, in die Sonne, deren Strahlen sich bunt in meinen Wimpern brechen. Neben mir stehen rauchend und plaudernd die Erzieherinnen. Ich höre ihre Stimmen, aber nicht ihre Worte.
Ein Igel ein Igel! ruft es plötzlich aus dem Sandkasten. Die Erzieherinnen eilen davon. Ich öffne die Augen und blicke ihnen hinterher.