Schacht

holzkuhMit vierzehn Jahren sehe ich zum ersten Mal einen Drogentoten.
Ich komme gerade von einem Gespräch mit der Therapeutin, zu der meine Eltern mich geschickt haben. Von dem Taxigeld für die Rückfahrt will ich später in der Taunusanlage noch etwas zu rauchen kaufen und mir einen entspannten Nachmittag machen. Zuhause werde ich einfach behaupten ich hätte die Quittung verloren. Das gibt zwar Ärger und meine Mutter wird das Geld von mir zurück verlangen, aber mein Vater wird es mir sowieso ein zweites Mal heimlich zustecken und die Sache ist erledigt. Über dies und anderes denke ich nach, als ich die lange Treppe zu den Gleisen hinunter laufe.
Etwa auf Höhe des letzten Absatzes sehe ich, dass unten ein paar Polizisten herumstehen, die die Reisenden an einem auf dem Boden liegenden Mann vorbei lotsen, dessen ausgemergelter Körper dort, am Fuße der Rolltreppe, in einer merkwürdigen Verrenkung eingefroren ist.
Er muss ohne sich noch abfangen zu können der Länge nach hingeschlagen und aufs Gesicht geknallt sein. In seinem dünnen, dunkelviolett gefleckten und verschorften Unterarm steckt noch die Spritze. Blut ist nirgends zu sehen. Nur dieser zerstörte Körper auf den schmutzigen Fliesen.
Obwohl ich dicht an ihm vorbei laufe lässt mich sein Anblick seltsam unberührt. Ich empfinde allenfalls eine leichte Neugierde, ein Erstaunen vielleicht über das, was da mit diesem Menschen geschehen ist, der mir wie vergängliches Beiwerk zu meinem Leben erscheint. Etwas so Unwesentliches und Peripheres etwa, wie die matt lackierten Holzkühe, mit denen ich als Kind meinen Bauernhof dekorierte und die irgendwann im Müll landeten, nachdem ich ihnen entwachsen war.
Staffage. Der zum Horizont hin verblassende Rand meiner Welt.

Als ich ein paar Meter von dem Toten entfernt bin zünde ich mir eine Zigarette an und starre auf die Possmann– Werbung an der gegenüberliegenden Schachtwand.

Erst lass isch mir mei Stöffsche bekomme
und hinnerher wird die U-Bahn genomme

Wenig später drückt der einfahrende Zug die stehende Luft aus dem Tunnel in die Station. Es riecht nach Gummi. Ich werfe meine Kippe auf den Boden, steige ein und suche mir einen Platz.
Auf der Fahrt sehe ich in mein Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelt.