Aus alter Zeit

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Wie alle neueren Machtbauten dieser Stadt zeigt sich die Ost-Fassade des Humboldt-Forums (aka Stadtschloss) in klotzig- totalitärem Gewand. Als hübschen Kontrast dazu tragen die Nord-, Süd- und West-Seite alt-imperialen Prunk und Protz zur Schau.
Geht es nach dem Willen der Schlossbefürworter, wird der Neptunbrunnen, der jetzt noch mit Gischt, Grünspan, Leibern, Schenkeln und Dreizack vor dem Roten Rathaus plätschert, in Zukunft wieder vor dem Schloß für sprudelnde Frische sorgen. Auch der Rossebändiger aus dem Kleistpark soll vor wilhelminischer Pracht seine neue Heimat finden. Die Stadt hat zugesagt einige Millionen dafür locker zu machen

Alles wird wieder so werden wie früher. Dieses Mal darf auch Bertelsmann mitmachen. Ein hübsches Häuschen haben sie sich ja schon inmitten Berlins historischer Mitte gebaut, und irgendwann, only the lord knows when, wird auch die Staatsoper hergerichtet sein, mit besserer Akustik denn je. Berlin freut sich drauf.

Vom ehemaligen Marx-Engels-Forum schauen Karl und Friedrich dem Umbau der Hauptstadt mit unbewegter Miene zu. Der Lückenschluss der U5 machte eine Umsetzung der großen Bronzeskulptur von der Mitte des Platzes, wo sie lange Jahre dem Palast der Republik gegenüber stand, an dessen Rand notwendig. Ob man sie deswegen umdrehen und in Richtung Westen blicken lassen musste bleibt fraglich, ist aber immer noch besser, als die Pläne Ramsauers, der sie am liebsten in Friedrichsfelde eingemottet sehen würde, zusammen mit anderem sozialistischen Klimbim.

Heute jedenfalls hat Karl Marx Geburtstag und eine Handvoll Unverdrossener ist gekommen diesen mit ihm zu begehen. Das Antieiszeitkomitee der Linken hat eine kleine Bühne am Fuße der Skulptur aufgebaut und ein paar Bierbänke davor gestellt. Mit ruhiger Stimme spricht die Rednerin über den gewonnenen Prozess der FDJ (gibt’s die noch?) und ermuntert die betagten Anwesenden zur Solidarität mit den französischen Studenten, die gegen das neue Arbeitsgesetz der Regierung Hollande demonstrieren. Hinter uns, auf einer schattigen Parkbank, sitzt ein spindeldürrer großer Mann mit zerrupftem Vollbart. In seinen knochigen Händen hält er ein paar rote Nelken, so wie sein bronzenes Vorbild. Konzentriert lauscht er den Worten der Frau vom Komitee, nickt ab und an kaum sichtbar mit dem Kopf, links und rechts von ihm sitzen andächtige Genossinnen und Genossen.

Unterdessen versuchen vor der Parkanlage die immergleichen Straßenhändler  den vorbeiströmenden Touristen Doktor-Schiwago-Mützen, Matrjoschkas, Gasmasken und DDR-Militaria zu verkaufen. Das Geschäft läuft schlecht heute. Niemand hält auch nur an um zu staunen oder ein Foto zu machen. Vielleicht haben die Hütchen-Spieler an der Schlossbrücke mehr Glück beim Ausnehmen der abenteuerdurstigen Stadtbesucher.

Es zieht uns weiter. Durch die pralle Sonne marschieren wir an der Humboldt-Box vorbei in Richtung Westen. Über uns der blaue Himmel. Keine Wolke in Sicht. Vor der blütenweißen Bertelsmann- Kommandozentrale biegen wir links ab. Im Vorbeigehen werfe ich einen traurigen Blick auf die zerfallende Schinkel-Kirche, die dem Bau von luxuriösen Eigentumswohnungen inklusive Tiefgarage zum Opfer fiel. Hätte der Baumeister mal besser gerechnet, soll ein eigens für diesen Satz bezahlter Gutachter zu dem Desaster gesagt haben. Wieso nicht gleich den ganzen alten Kram abreissen und anderswo in Disneyland wieder aufbauen, denke ich, irgendwo, wo man Eintritt dafür verlangen kann. Die Lücke, die die Friedrichwerdersche Kirche hinterließe wäre sicher im Handumdrehen mit weiteren Kronprinzen- und Kronprinzessinnen-Palästen gefüllt.

Müde trotten wir jetzt am Kanal entlang in Richtung Kreuzberg. Am gegenüberliegenden Ufer weist ein Schild auf die beschränkte Anlegeerlaubnis nur für Sportboote hin. Gleich daneben brütet auf einer morschen Planke ein Stockentenpaar.
Letztes Jahr war es ein Blässhuhn, das hier sein Nest auf einen gestrandeten Plastiksack gebaut hatte. Ich frage mich, wie lange sein kleines Ponton den Wellen der vorbeifahrenden Boote stand halten konnte.