Ginkgo

Beim Verrücken des Ginkgos schnellt eine Riesenspinne aus ihrem Versteck auf die schreienden Hände zu.
Ich fliehe ins Dunkel der Wohnung, von der Decke tropft Löschwasser, die Füße waten durch knöchelhohes Nass, im Kegel der Stirnlampen: Spinnen, viele davon. Ein Bild, das ich erst viel später erinnern und danach nie wieder vergessen werde.

Die Kanzlerschwester schreibt: der Kanzler habe in Spanien einen Schlaganfall erlitten. Dann sei er auf den Kopf gestürzt, da habe sich etwas „gelöst“ und nun sei es etwas besser. Seine Geschichte mit der Standuhr ging so ähnlich: damals, so schrieb er mir auf einer Postkarte, sei die Uhr, die er genau so liebe wie ich, noch im Besitz seiner Großeltern gewesen. Bei einem Besuch dort, sei er durch ein Missgeschick zu Fall gekommen, mit dem Kopf hart aufgeschlagen und das Letzte, was er hörte ehe er das Bewusstsein verlor, sei der Stundenschlag der Uhr gewesen (hier endete die Postkarte des Kanzlers).

Später, nach jahrelangem Ringen und Betteln, war der Kanzler schließlich bereit die Uhr, die ich von meinem Großvater geerbt, und die er seiner Freundin geschenkt hatte, von dieser zurück zu fordern und mir nun endlich zu geben, doch ehe es dazu kam, hatte er sie, auf den Vorschlag der Freundin hin, erneut verschenkt: dieses Mal an meinen Bruder.
Diese Familie macht mich krank.

Von der Schwester erfahre ich, dass der Kanzler nun auf dem Nachhauseweg sei.
Zum Arzt habe er aber nicht gehen wollen, er sei ja selber einer.

Wir sollen uns Sorgen machen. Immer.

11 Kommentare zu “Ginkgo

  1. Familien. Seufz. Vielleicht tröstet es, daß du nicht allein bist. Ich glaube, jede Familie liefert solche Querschläge ab wie dein Kanzler. Bei mir ist es aktuell der Bruder, dem irgendjemand auf den Kopf geschlagen haben muß.
    Ketzerische Frage: Hat sich-Sorgen-machen je gegen irgendetwas geholfen?
    So man es schaffen kann, sollte man das lassen.

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    • Liebe Frau meertau,

      so sehr doll habe ich an Sie gedacht die letzten Tage und mich daran erinnert, wie unsere Blogs noch im Glanze unsrerer Schreiblust brillierten.
      Dann dachte ich, wie wie still es geworden ist zwischen uns Blognachbarinnen und auf Ihrem Blog sowieso, da trudelt just Ihr Kommentar hier ein und ich werte das als ein gutes Zeichen und hoffe, dass auch Sie zurückfinden in die Schreibfreude und wir uns bald wieder Bälle zuwerfen können, von Berlin auf die Insel und umgekehrt.

      Liebe Grüße!!

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  2. Bevor ich gerade mit dem Hund raus gegangen bin und die Geschichte hier lese, sagte die Gräfin zu mir, den Zorn in der Stimme, nach einem Telefonat mit ihrer 80jährigen Mutter: „Diese Familie macht mich krank!“

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