„Revolten kennen im allgemeinen nur das Scheitern, sonst wären sie Revolutionen. Die gescheiterte Revolte indessen greift in die Geschichte ein, sie setzt Zeichen, die teils verschwinden, um später wieder aufzutauchen, sie verändern doch die Welt.“
Ob ich nicht vielleicht noch rasch in eine Partei eintreten sollte, nicht aus Überzeugung freilich, sondern allein, um einen sicheren Platz hinter dem Thron zu ergattern, für den Fall der Fälle, frage ich den Neuen Bekannten, doch der rät ab. Die einzige Partei, die bei wechselnden Machtverhältnissen sowohl mit links als auch mit rechts paktieren könnte, sind die Grünen, und die sitzen inzwischen selbst schon, vom Naschmarkt korrumpiert, schampusschlürfend am Tresen und verweisen im Windschatten ihrer ökologischen Korrekt- und moralischen Überlegenheit, das Prekariat kühl lächelnd auf seinen Platz: den nächsten`ekligen´Discounter. Wer sich das faire & schöne & gute Brot (zu 12 €/kg) nicht leisten kann und will, der möge bitte anderswo in seiner griesgrämigen Verantwortungslosigkeit vor sich hin darben und Industriekuchen fressen, derweil die Erlöser*innen weiter an der Ausgestaltung der wunderbarsten aller denkbaren Welten tüfteln, hier und da ein aalglatter Genosse die windelweiche Ghettofaust in den Himmel reckt, ein halbherziges Enteignung! kräht, und so weiter und so fort.
(Ja, ich habe sie gefressen, so sehr gefressen. Einsfuffzich das Kilo)
Sich der Linken anzuschließen, bedeutete im Falle eines Machtwechsels vermutlich noch mehr Ärger als ich sowieso schon habe und alle anderen Parteien mit politischem Einfluss scheiden selbstredend von vornherein aus. Am Besten erstmal alles so lassen wie es ist, und hoffen, dass die Dinge halbwegs in der Waage bleiben, findet auch NB.
Zur Not nehme ich halt die Dienstleistungen von Exit oder Dignitas in Anspruch, beende ich unseren kleinen Dialog, und vor meinem Todesdrink kippen wir noch ein leckeres Abschieds- Piccolöchen. Wir lachen gequält.
Nein, es geht mir nicht herausragend schlecht. Besser allemal, als den meisten Menschen auf dieser Erde. (Die Musik ist aus und ist immer noch da)
Und doch: die Dinge laufen gewohnt zäh und kräftezehrend. Die Schikanen frischen auf, die Krankheit nimmt sich ihren körperlichen, seelischen, zeitlichen und finanziellen Raum und lässt nicht viel übrig für heiteres Drauflosleben. Auch der Hund hat wieder eine anstrengende Zeit und will von mir behutsam aus der Krise geführt werden. Business as usual, würde ich sagen, sofern solche Sätze sich in meinem Phrasenköcher befänden.
Die niederschmetternde (universale) Erkenntnis, dass das (eigene) Leben nicht nur verrinnt, sondern auch im Weltenlauf keinerlei, überhaupt gar keine, nicht die geringste Rolle spielt und angesichts der vorrückenden Zeiger sogar immer und immer bedeutungsloser wird, weil die Polepositions neu besetzt sind und weil dieses wummernde und alles übertönende, klaffende Nichts, das der letzte große Krieg hinterlassen und das zu dem allerseits akzeptierten Konsens „Nie wieder“ geführt hatte, zu weit schon hinter uns liegt (bzw. zu liegen scheint) und mit dem Verlust der letzten Zeitzeugen weiter an Schrecken verliert, um von den blindlings nach vorne Preschenden noch wahr- und ernst genommen zu werden; diese lähmende Erkenntnis und das große Vergessen führen geradewegs in die nächste Katastrophe, der schon jetzt ungezählte Menschen in Kriegen, in Lagern, in der Wüste und am Meeresgrund zum Opfer fallen, weil niemand bereit ist, zu teilen, was ihm nicht gehört.
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Das Feuer wird nicht vor der Sektbar Halt machen.
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Hoch lebe die gelbe Revolte, hat jemand auf das Fensterblech der neu eröffneten kinderpsychiatrischen Praxis geschrieben.
Wie bescheiden und wie klein gedacht: einerseits triumphal zu jubeln, und im gleichen Atemzug bereits das eigene vorhersehbare Scheitern einzugestehen, denke ich. Der allwissende NB mag sich diesem Gedankengang nicht so recht anschließen. Revolte bedeute schließlich nicht zwingend scheitern, behauptet er und ich verkneife mir einen Stegreifkalauer über die Meuterei auf dem Mars.
Einig sind wir uns aber, dass derzeit überall auf der Welt revoltiert wird, obgleich alle längst wissen, wer das Spiel gewinnen wird.
(Gil Scott-Heron – The Revolution Will Not Be Televised_
youtube- Direktlink)
das hilft machmal kurz:
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Dankeschön. Du sprichst mir in vielen, den meisten Dingen aus der Seele. Vor allem, was die Grünen betrifft. Schade, was aus ihnen geworden ist. Und dir und Thöle wünsche ich wieder gesundheitlichen und moralischen Aufschwung.
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Was für ein trauriger Text!
Aber ja: Das Feuer wird nicht vor der Sektbar haltmachen.
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Liebe Tikerscherk, wäre das nur ein literarisch erfundener Text, wäre er richtig großartig. Aber mit dem Wissen, dass es einen realen Hintergrund gibt, ist er einfach nur sehr sehr traurig…
Alles Liebe, deine Elisa
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Und genau diese belanglose, unwichtige und verschwindende Überflüssigkeit ist was für mich das Leben so frei macht. Stelle dir einmal vor unser Handeln hätte einen bleibenden Wert. Furchtbar.
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Das stimmt. Mein Ehrgeiz, etwas von bleibendem Wert zu schaffen, geht gegen Null.
Doch manchmal ist dise Freiheit sehr beklemmend.
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Freiheit geht eben sehr entgegen der üblichen Lebensweise.
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Da ist doch nicht nur Resignation sondern auch noch sehr viel Rotzigkeit in deinen Betrachtungen. Das messerscharfe gegen alles Heuchlerische. Die Welt ist dir nicht egal – und du bist es ihr auch nicht.
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Die Welt ist mir nicht egal und ich ertrage es immer weniger, zuzuschauen, wie wir sie opfern.
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Guten Morgen, Kassandra! (Mir kam der innere Monolog vn Christa Wolfs Roman in den Sinn).
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Das nehme ich als Kompliment. Vielen Dank!
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