Dem Kanzler fehlt der Mut, den schwer erkrankten Cousin anzurufen, weil er nicht weiss, was er diesem sagen soll. Das Elend des Cousins nimmt ihn derart mit, dass er auf Abstand gehen muss.
Das erinnert mich an einen früheren Bekannten, inzwischen ein Mann von Welt mit maßgeschneiderten Anzügen und mehr Geld als unsereins je essen könnte, der mir kürzlich eine Mail schrieb, in der er mein schlimmes, schweres und ganz und gar hoffnungsloses (freilich seit vielen Jahren nur aus der Ferne beobachtetes) Leben resümierte, welches ihn an eine erst kürzlich auf einem Grabbeltisch erworbene und bereits verfilmte Romanserie (Patrick Melrose) über eine schon frühkindlich gescheiterte Existenz erinnerte, die anzuschauen er mir wärmstens ans Herz legte. Um meine Armut wissend, bot er mir dafür sogar kostenlosen Zugang zu seinem E-Account an. Die Mail schloss mit der Einsicht, dass er angesichts der von ihm diagnostizierten Bedürftigkeit leider nicht in der Lage sei, mir beizustehen, er vielmehr jede Verantwortung für mich weit von sich weisen und den Kontakt auf ein durch ihn zu definierendes Maß begrenzen müsse. Frau, Kind und Business – ich müsse verstehen.
Erinnert hat mich dieser zusammenhangslose Ausbruch außerdem an die Frau, die immerzu Absagen schrieb. Wahrscheinlich versuchte auch sie, den Enttäuschungen und Zurückweisungen in ihrem Leben etwas Selbstwertstärkendes entgegen zu setzen, indem sie fiktive Annäherungen bereits im Vorfeld mit entschlossener Miene abwehrte.
Ich selbst habe mir für derlei Gemütszustände etwas anderes ausgedacht: wenn ich im Mangel oder ohne adäquaten Ansprechpartner oder Nähespender bin, suche ich in meinem Postfach nach Werbemails mit no-reply-Adressen. An diese schreibe ich dann epische Mails in denen ich, versehen mit anschaulichen Beispielen, meine leider nicht ausreichend gewürdigte Grandezza darlege.
Mein nächster Coup wird eine eigene no-reply-Adresse sein.
Was ist ein E-account? Der Zugang zum Erspartem?
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Das wär cool. Da hätte ich mir dann erstmal eine ordentliche Entschädigung für die übergriffige und taktlose Mail herunter geladen.
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Schreibe lieber in deinen Blog als an no-reply-Adressen, die es nicht zu würdigen wissen. ;-)
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Ich glaube, diese Mischung aus Larmoyanz, Hybris und Selbsttironie ist selbst für hartgesottene tiker-Freund*innen schwer zu ertragen.
Familie no-reply ist da genau die richtige Adresse.
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Sehr geehrter Herr (Frau?) Noreply,
leider konnte ich Sie nicht erreichen,
in Ihrem Postfach war kein Platz mehr frei.
Vielleicht fehlt aber auch ein Zeichen
in Ihrer Adresse. Jedenfalls lese ich
mit wenig Interesse Ihre Mails und frage mich,
ob es nicht möglich sei, dass Sie, was mich betrifft,
meine Anschrift besser streichen aus Ihrer Kartei.
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(no reply)
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