Ay, candela!

 

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Er ist mega das Arschloch, erzählte demletzt Jemand über einen Freund, denn Bekannte gibt es seit Facebook nicht mehr. Heute sind selbst mega die Arschlöcher Freunde und das macht uns alle irgendwie zu Gleichen unter Verschiedenen.
Ein bekannter deutscher Musiker hatte sogar soviele Freunde auf Facebook, dass er einen Zweitaccount eröffnen musste, weil sonst der Zähler geplatzt wäre. So zumindest stellt das Pferdemädchen sich die Welt vor: wenn was auch immer zuviel wird, platzt es; selbst der Wasserhahn, im Falle, dass er zu weit nach links oder rechts gedreht wird, um das Waschbecken besser reinigen zu können. Eine im Eisfach geplatzte Bierflasche lässt das Pferdemädchen wissend nicken.

 

Ich sitze im Garten auf der quietschenden Schaukel, die Meisen zirpen und hellgrün knospt die Birke. Gegenüber schaut der alte Herr W. im Feinripp aus dem Haus, ein Fenster weiter hält seine Frau ihr ledrig gebräuntes Gesicht in die Frühlingssonne. Ihre gewaltigen Brüste im damals schon längst unmodischen Spitz-BH erscheinen mir unziemlich und ich schließe die Augen.

 

Manchmal denke ich, das größte für meine Mutter wäre es gewesen, meinen Tod mitzuerleben, mich coram publico betrauern und jede Menge Mitgefühl und Aufmerksamkeit dafür einheimsen zu können. Als bekannt wurde, dass ich krank bin, sehr krank, lebensverändernd und tödlich krank, hörte ich eines Tages, wie sie beim Gartenwässern dem Nachbarn im Plauderton von ihrem schlimmen Kummer berichtete, den sie mir gegenüber allerdings außerordentlich gut zu verbergen, ja zur Perfektion zu überspielen wusste, dass man beinahe hätte meinen können – aber lesen Sie selbst die inzwischen über 1000 Folgen umfassende Beichte eines ganz und gar katastrophalen Lebens. Vielleicht wird sie eines Tages zum Kassenschlager, wie man früher zu sagen pflegte.

Der Zahnarzt meiner Mutter fertigte übrigens im Laufe einer Behandlung in seiner schicken, verchromten Westendpraxis zahlreiche Fotos von ihr an.
Während sie annahm, er interessiere sich für ihre Zähne und (um ihm zu gefallen) den Mund noch weiter aufriss, ging es ihm allein um ihr sagenhaftes Augenmakeup, das er für die Nachwelt oder für sein Privatvergnügen erhalten wollte.
Die Zahnarztfrau, so erzählte mir der Kanzler eines Tages, habe sich ihrem Mann, dem ausgesprochenen Ästheten zuliebe mit Ende dreißig das Gesicht liften lassen.
Sie sah aber auch wirklich verlebt aus, schloss der Kanzler die Erzählung.

 

Schade übrigens, dass mir niemand was in den Spamordner legt. Ich bin zum Löschen bereit.

 

 

 

 

 

Bild:  MitchellShapiroPhotography Diva flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

26 Kommentare zu “Ay, candela!

  1. Überlegte kurz, mich in Deinen Spamordner zu legen. Vielleicht würde ich eines Tages zurückkehren und könnte berichten, was auf der anderen Seite, dem Nirvana des Spams, passiert.

    Abgesehen davon, mal wieder: Was für ein Text! Und wie unheimlich oder mindestens erschreckend, wie oft ich bei Dir auf einzelne Sätze oder ganze Absätze stoße, die 1:1 auf mich und mein Leben passen.

    Gefällt 4 Personen

  2. „unziemlich“ ist ein Wort, das ich schon sehr lange nicht mehr gelesen habe -ja, manchmal schließt man dann einfach lieber die Augen … oder wendet den Kopf.
    Mutter – dazu sage ich jetzt nix und dieser Zahnarzt, als hätten sich da Zwei gesucht und gefunden.
    liebe Grüße
    Ulli

    Gefällt 1 Person

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