Cargo

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Auf feuchten Schwingen zieht von Westen der Frühling heran und in meinem Kopf tippen zwei Katzen einander ins Gesicht. Die eine knurrt zur Warnung, die andere legt die Ohren an. Gleich wird es zur Eskalation kommen.

Der Mann erzählt von seinem Leben, dem Beruf, der Frau, den Kindern und streckt mir seine Hand entgegen, derweil die jüngere Katze zum Angriff übergeht. Lichtbläschen perlen an den Innenwänden meines Glases entlang. Miteinander verbunden ergeben sie kleine Sternbilder oder asymmetrische Rauten.

Das Wort Scheinheiligkeit kommt mir in den Sinn und ich muss lächeln. Als wäre heilig sein nicht an sich schon Schein und der Schein der Heiligen sowieso. Erleichtert und schüchtern zugleich lächelt der Mann zurück. Ich wende mich ab.

Durch die Nachmittagssonne schweben winzige Flusen und landen auf dem Tisch. Ein überflüssiges Detail das mich an eine Geschichte erinnert bei der die Leserschaft bis zum Schluß im Unklaren über die Bedeutung einer zu Beginn der Erzählung erwähnten aschblonden Perücke blieb. Eine Nachlässigkeit der Autorin, möglicherweise auch eine sadistische Anwandlung, ähnlich jener, die mich als Jugendliche in das Zimmer meiner Schwester schleichen und mich dort aus Rach- oder Vergeltungssucht die letzten Seiten ihrer aktuellen Lektüre heraus reißen ließ.
Es wäre ein Leichtes die Perückengeschichte, deren Urheberin ich selbst bin, zu Ende zu erzählen, doch ich sage: Ein andermal, und der Mann nickt.
Unterdessen haben die Katzen ihren Streit vertagt und liegen zusammengerollt Rücken an Rücken. Nur die nach hinten gedrehten Ohren verraten ihre konzentrierte Wachsamkeit.

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Vor vielen Jahren, es war in der Bretagne, flog ein Schwarm Marienkäfer aus dem Himmelsblau auf uns zu. Wir versuchten, uns die Tiere vom Leib zu halten, doch es waren viele und immer neue kamen hinzu. In unserer Verzweiflung, oder war es Ekel?, schaufelten wir so schnell wir konnten ein Loch, schnickten, schleuderten und traten die Käfer hinein und warfen Sand auf sie. Doch weitere Käfer landeten und krabbelten über unsere Körper und während wir versuchten, sie abzuwehren, krochen die vergrabenen Artgenossen bereits wieder aus ihrer Gruft hervor und so blieb uns nur die Flucht in den eiskalten Atlantik.

 

 

 

 

 

 

Bild: manuelsvay cargo flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

9 Kommentare zu “Cargo

  1. „Andermal“, das klingt hier so leicht und unbeschwert wie einmal Amundsen Nordwestpassage und nie wieder zurück….Andermal klingt manchmal auch so ähnlich wie ‚Vergiss es“
    Der Schein heiligt den Wortlaut oder so 😉

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