Kolibri

                                                               

Fünf Tropfen meines mühselig aus dem Finger gepressten Blutes

(und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee)

befinden sich auf dem Weg nach Österreich. Dort soll meine Desoxyribonukleinsäure auf einen angenommenen genetischen Defekt, eine seltene Speicherkrankheit, hin untersucht werden, welche sich hoffnungsspendenderweise mit regelmäßigen Infusionen behandeln ließe. Allein: ich bin sicher, diesen Defekt nicht zu haben.

Mittlerweile frage ich mich, ob es meiner exzentrischen Ausstrahlung geschuldet ist, oder ob das Vorhandensein schwerwiegender Vorerkrankunger die Phantasie der Mediziner derart beflügelt, denn immer, immer soll es der schillerndbunte Kolibri sein, wenn Mutmaßungen über meine Gesundheit angestellt werden, und niemals bloß die gemeine Taube oder der gewöhnliche Gramsamen, beim ersten Atemzug bereits ins frühkindliche Herz gepflanzt und mit den Jahren und mit jedem Rückschnitt vom Keimblatt zum stattlichen Baum heran gewachsen.

Dem Kolibri-Prinzip folgend tippt nun auch die vierte Ärztin auf einen Hirntumor und erbittet ein MRT. Gewiefterweise legt meine röhrenphobische und diagnostikmüde Seele gerade noch rechtzeitig Widerspruch in Form eines Lungeninfektes ein und so kommt es – schade, schade,schade – dass der seit Monaten anstehende Termin in der Radiologie abgesagt werden musste, das Schlaflabor (sleep & work) und die Grippeimfung gleich mit, und dass endlich Ruhe einkehrt in meinem Terminkalender und damit in meinem geplagten Kopf.
Was noch aussteht und worauf ich mich freue, ist der Riechtest beim HNO-Arzt. Anspruchslose Aufgaben, bzw. eine einfache Versuchsanordnung sind genau das Richtige in diesen Tagen. Ich hoffe, dass ich außer Zigarettenrauch noch ein paar andere Gerüche werde erkennen können. Der Fisch stinkt vom Kopf usw.

Einen unerwarteten Lichtblick bringt  die Anwendung des frisch verschriebenen Kortisonnasensprays, das mir beim heutigen Besuch des Paketshops einen sehr besonderen Moment bescherte. Was mir in dem kleinen Laden unerwartet in die Nase stieg, war eine Mischung aus Druckerschwärze, Tabak, Schreibwaren und Holz, ein so köstlicher und seit Jahren für mich nicht mehr riechbarer Duft, dass mir vor Freude und Ergriffenheit die Augen ganz nass wurden und der Mann hinter dem Tresen mich fragend anschaute, als ich ihm den Retourenkarton überreichte.

Auf dem Heimweg die Würze des fallenden Laubes.
Zuhause schmerzjubelnde Bach-Cantaten.

So kann es weiter gehen.

 

 

 

 

Musik zum Text:

(Gunthild Weber singt Bach „Seufzer, Tränen, Kummer, Not“)

(youtube-Direktlink)

16 Kommentare zu “Kolibri

  1. du kennst ja wohl deine „Krankheit zum Tode“: „der gewöhnliche Gramsamen, beim ersten Atemzug bereits ins frühkindliche Herz gepflanzt und mit den Jahren und mit jedem Rückschnitt vom Keimblatt zum stattlichen Baum heran gewachsen“. Kierkegaard („Die Krankheit zum Tode“) und Kafka („Ein Landarzt“) kamen mir beim Lesen deiner Zeilen in den Sinn. Daraus diese Zitate:

    Mager, ohne Fieber, nicht kalt, nicht warm, mit leeren Augen, ohne Hemd hebt sich der Junge unter dem Federbett, hängt sich an meinen Hals, flüstert mir ins Ohr: »Doktor, laß mich sterben.« Ich sehe mich um; niemand hat es gehört….. Es bestätigt sich, was ich weiß: der Junge ist gesund, ein wenig schlecht durchblutet, von der sorgenden Mutter mit Kaffee durchtränkt, aber gesund und am besten mit einem Stoß aus dem Bett zu treiben…….. bin ich irgendwie bereit, unter Umständen zuzugeben, daß der Junge doch vielleicht krank ist. ……. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde…….. »Wirst du mich retten?« flüstert schluchzend der Junge, ganz geblendet durch das Leben in seiner Wunde.

    Gibt es Ärzte, die dir helfen können, oder ist die Wunde in dir anderer Natur, und du brauchst andere Hilfe? Mitfühlende Grüße, Gerda

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  2. Ach Mensch, wo sind die genialen Mediziner, wenn mann sie mal braucht!
    Dein Erwähnen des Riechtests ließ mich hellhörig werden. Ich habe vor Jahren infolge eines Unfalls mit Schädel-Hirn-Trauma meinen Geruchssinn verloren und wurde danach unzählige Male getestet, bis die Hohen Herren glaubten, dass ich wirklich nichts rieche…
    Ich bin nicht so der Bach-Typ, eher Beethoven, aber ich freue mich für dich, dass du etwas hast, dass dich aufrichtet!
    Liebe Grüße und viele gute Wünsche…

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    • Oh, Du Arme. Und Du riechst jetzt gar nichts mehr? Und der Geschmackssinn?

      Nach einem SHT haben die HNOs mich auch gefragt. Ich schätze bei mir sinds harmlose Polypen oder so. Die können viel Ärger machen, wenn der Kopf dicht ist und sie würden auch den morgendlichen Kopfschmerz erklären.
      Ich rieche noch Kaffee, Zigaretten, mein Parfum und alles was verbrannt ist. Ein Geruch muss sehr stark sein, bis ich ihn wahrnhemen kann.
      Leider geht auch der Geschamckssinn nach und nach verloren. Die 4 Grundgeschmacksrichtungen erkenne ich. Zimt und Pfefferminze kann ich inzwischen aber zB nicht mehr herausschmecken. Bei frischem Gemüse allerdings schmecke ich alles ganz genau. Rätselhaft.

      Ich versuche, mich nicht zu sehr zu sorgen und gehe jetzt raus in den Martinssommer.

      Liebe Grüße und danke für die guten Wünsche!

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  3. Liebe Tiker,
    der Alptraum, den du gerade durchlebst – Hirntumor an der Hypophyse ja oder nein, unzählige dubiose Vielleicht-Diagnosen von Diabetes insipidus bis zum vasomotorischen Schnupfen (auch Geruchs- und Geschmacksverlust), ganz abgesehen, von der Psychoschublade, in die ich dann von einem rat- und hilflosen Mediziner gesteckt werden sollte – kommt mir so bekannt vor.

    Letztendlich wurde mein vielfältiges Spektrum der nicht zuzuordnenden Leiden als hormonelle Kapriolen auf dem Weg in die Wechseljahre abgetan.
    Möge sich bei dir alles zum Guten wenden. Ich drücke die Daumen!

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    • Zwei Ärzte haben bisher auf Hypophysentumor getippt, einer auf Tumor im Riechzentrum und der vieret war sich nicht so sicher wo der Tumor sich versteckt. ich bin sicher, keinen Tumor zu haben und auf Diabetes besteht kein Verdacht. Vielleicht sind´s die Hormone, vielleicht waren die letzten zwei Jahre einfach zu anstrengend. Riechen würde ich gerne wieder können. Alles andere schlafe ich einfach weg .

      Danke für Deine Wünsche (und überhaupt sehr schön, dass Du wieder da bist LuT!)

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  4. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei Ihren Ärzten in guten Händen sind. Leider ist das für Laien fast nicht zu beurteilen (wie bei Juristen, aber das muss ich Ihnen ja nicht sagen).
    Einen schönen Herbsttag (ich habe gerade noch letzte Walderdbeeren und Feigen gegessen)

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    • Walderdbeeren und Feigen! Aus dem eigenen Garten? Klingt paradiesisch.
      Ich hoffe es geht Ihnen auch sonst gut!

      Nach meinem Gefühl sidn das gute Ärzte und meine Schwester hat die Oberaufsicht über alle Maßnahmen. Ihrem Urteil vertraue ich blind, und sie sieht mich nicht in Lebensgefahr.

      Ein schönes Wochenende Ihnen!

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  5. Liebe tickerscherk, du bist irgendwie aus meiner Liste rausgeflogen, ohne dass ich das gemerkt hätte. Jetzt sehe ich, dass du wieder da bis, alive and kickin. Ich bin sehr erleichtert. Gramsamen ist ein herrliches Wort.

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