Hinterhofgeborgenheit

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Im Gaumen die Vielstimmigkeit des akribischst zusammengeschnippelten und auf Esslöffelmaß gebrachten Salates (ja, ich esse Salat sehr gerne mit dem Esslöffel). Ungewohnte Haushaltsworte in meinem alltagskargen Blog, das freut mich auf eine kittelschürzige Weise, ein Anker in diesen Tagen. Doch ohne Maille a l´ancienne wär´s nichts als Laub mit rohem Gemüse. So ist´s ein Gedicht, eine Sinfonie. Überhaupt Senf. Mit oder ohne Hanf. (Ferd sagt der Berliner und Flaume und Farrer. Ich sag Sempf und Hampf und Sumpf).

Grammati(kali)sch dudenfest stelzen die Worte daher, auf langen Weberknechtbeinen, so stelle ich sie mir vor. Kaum, dass die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind und die Wandfarbe getrocknet ist, torkeln sie zurück in ihre angestammten Ecken. Weberknechte, mit ihren dicken Knien, sind mir schon deswegen so lieb, weil der Vater früher Webermännchen genannt wurde. Auch ich bin eine Weberin, durch und durch, mehr als alles andere jedenfalls. Eine Postkarte habe ich dem Vater gestern geschickt, so wie früher, als er mir noch gut war. Da schrieb ich ihm jede Woche eine. Meist Karten vom zerbombten Berlin, am Liebsten mit einem Zeppelin am Himmel, die mochte er so gerne, auch wenn sie ihn traurig stimmten. Ich hoffe, dass er mir – was auch immer- verzeihen und mich in seine Arme schließen oder zumindest wieder mit mir sprechen wird.

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Nach einem kurzen Hundespaziergang treffe ich vor dem Haus auf den Nachbarn. Hallo, hallo! ruft er mir schon von Weitem zu, ich muss mit Dir reden. Eine Satzeinleitung, die mich den inneren Sicherheitsgurt anlegen und das Visier herunter klappen lässt. Glücklicherweise wird’s nur eine Ankündigung bzw. eine Bitte: ab sofort möchte er wöchentlich Kammermusik machen, zusammen mit 3 Freunden.Türkische Gitarre, Akustikgitarre und Schlagzeug, gleich nebenan, Wand an Wand, die Räume stünden derzeit leer, ob ich was dagegen hätte. Ach woher, ich freue mich drauf, sage ich erleichtert und meine es so und kann´s kaum erwarten, bis es von nebenan herüberdudelt.
Ich mag den Nachbarn im Übrigen sehr gerne. Seine Stimme steht für Frühling und Sommer und Wärme, denn von März bis September lebt er bis spät in die Nacht hinein auf seinem Balkon. Dort telefoniert und räsoniert er auf deutsch und auf türkisch und raucht dazu. Über Fußball weiß er alles, zu Politik hat er feste Meinungen und bleibt bei aller Entschiedenheit doch immer stoisch gelassen. Ein leichtes Lächeln schwingt in seiner Stimme mit, ein wenig schelmenhaft und scheinbar immer kurz vor einem erheiterten Glucksen. Rundum zufrieden wirkt er. Nur im Plenum soll er manchmal laut werden, hört man. Sogar von Ausrastern war schon die Rede. Ich kann mir das kaum vorstellen bei dem zauseligen weißhaarigen Mann. Ebenso wenig wie ich glauben kann, dass tatsächlich er es ist, der jeden Sonntag zur gleichen Zeit den Beischlaf mit seiner Freundin vollzieht, einer Frau mit Studienrätinnengesicht, der ich manches zutrauen würde, aber nicht Sex, so schablonenhaft und dumm ist meine Weltsicht. Ikebana, denke ich, oder Korbflechten würde gut zu ihr passen. Die hörbare Leidenschaft der Beiden irritiert mich immer wieder auf´s Neue, gleichzeitig efreut sie mich irgendwie. So lang sind sie schon zusammen und so regelmäßig begehren sie sich noch. Das ist schön und stimmt mich hoffnungsfroh. Sowas gibt’s also.
Eine ungewöhnliche Tragweite, wie sonst nur die von Frauen oder weinenden Kindern, hat die Stimme des Nachbarn. Obwohl er eine Etage über mir wohnt und in Zimmerlautstärke spricht, verstehe ich mühelos jedes einzelne Wort und höre jedes Räuspern, selbst dann noch, wenn meine Fenster geschlossen sind. Sobald er auf dem Balkon sitzt, spricht mein Nachbar zu der ganzen Welt, was diese auf einmal beruhigend überschaubar und klein macht und mir das Gefühl einer unantastbaren Hinterhofgeborgenheit gibt.

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Am Vogelhäuschen picken die Meisen die letzten Körnchen des längst vergangenen Winters auf. Die Alten zeigen ihrem Nachwuchs, wo er sich in der kalten Jahreszeit versorgen kann. Aufmerksam sitzen die kleinen Plüschbälle neben ihren Eltern und zirpen und schauen mit schräggelegten Köpfchen zu. Dann erst wetzen sie ihre Schnäbel an den Zweigen der Hortensie und bedienen sich anschließend an den Körnerresten. Ein Vorgeschmack auf das richtige Leben ohne die schützenden Fittiche der Eltern.
Auch Vögel pflegen Traditionen.
Ich mag die Verantwortung, die mir aus ihrem Vertrauen in meine Zuverlässigkeit erwächst.

Und sonst: warten auf eine Entscheidung in einer für mich lebensnotwendigen und lebensbestimmenden Sache. Ich kann gar nicht sagen wieviel Angst ich habe und wie sehr die Panik auf meinen Brustkorb drückt und mich kaum schlafen lässt. Von früh bis spät hängt dieses Schwert über mir. Ich hoffe der dünne Faden wird nicht reißen.
Hilfe.

 

 

 

 

 

 

Bild: Petershagen, Berlin Hinterhof 1980, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

8 Kommentare zu “Hinterhofgeborgenheit

  1. Möge der Faden halten und möge die Entscheidung in deinem Sinne sein!
    Danke für deine Schilderung, die ich, wie eigentlich immer, sehr gerne gelesen habe, diese hier hat Heimatliches im Gepäck.
    herzlichst
    Ulli

    Gefällt 3 Personen

    • Ich wünschte ich könnte Entscheidungen treffen und wäre nicht so schrecklich ausgeliefert und machtlos.
      Dir drücke ich die Daumen, dass die Entschedidung ganz von selbst kommt und in ihren Konsequenzen gut für Dich sein wird.

      Gefällt 4 Personen

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