Schick-, Trüb-, Drang- und Labsal

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Schicksal Trübsal Drangsal Labsal. Letztereres eine der Uni-Mensen in Ffm, damals während meines Studiums. Wahrscheinlich Labsaal geschrieben, in einer Zeit in der Grünsein noch Aufbruch bedeutete und Kneipen Fiasko hießen. Und prompt war´s die ökologische unter den Mensen mit absonderlichen Gerichten wie Labskaus. Logisch.

Einmal waren die Toiletten, die zum Labsaal gehörten, allesamt derart vollgepinkelt, zugekotet und mit besudelten, durchweichten Toilettenpapierfetzen verklebt, dass ich niemals wieder das Klo geschweige denn das Labsaal aufsuchen konnte und mich Bild und Geruch des Aborts noch jahrelang, bis heute, verfolg/t/en. Ich hatte damals eine schmerzhafte Nagelbettentzündung an einem Finger und beim Anblick der Toilette befiel mich eine heillose Angst, die Fäkalkeime könnten sich in meine Wunde setzen und dann meinen Finger bis auf die Knochen wegfressen.

Später, als ich das erste Mal Trainspotting  im Tilsiter-Kino sah, das Déjà-vu-Gefühl. Eintauchen in den widerwärtigsten aller abscheulichen Ekel ohne allerdings hinterher, wie die Glücksmarie, die durch den Brunnen schwamm, in einer schöneren Welt aufzutauchen. Das Labsaal-Erlebnis und der Film haben zu einer ausgeprägten Fremdtoiettenphobie geführt: lieber unter schlimmsten Blasen-Drangsal den Tag verbringen, als jemals wieder soetwas auch nur sehen oder riechen zu müssen. Wenn´s nicht anders geht, suche ich unterwegs kurzerhand die Toiletten der Luxushotels auf. Mit Hund. Bisher unbeanstandet. Selbst als ich noch Joints in Toiletten rauchte und die Örtlichkeit hernach mit einem Wolkenschleier im Gefolge verließ, gebot niemand mir Einhalt und das Personal nickte mir freundlich- verständnisvoll zu.
(Papa, sind wir anders?)

Zu Labsaal-Zeiten empfahl der unscheinbare Bruder meines Freundes R. mir die Bücher Kurt Vonneguts und öffnete mir damit ein Fenster zu einer Welt in der ich meinen Schwermut wiederfand und mich Zuhause fühlen konnte. Der belesene Bruder wurde mein bester Freund. Zusammen mit seinen immermüden Zwillingsschwestern verbrachte ich ungezählte Abende in der Batschkapp, wo wir in lakonischer Einsilbigkeit Bruder R. zuschauten, wie er mit seinem leicht lispelnden Grübchen-Charme Frauen abschleppte. Einmal auch die eines grünen Lokalpolitikers, dessen Chauffeur vor der Kapp wartete und mit gleichgültiger Gelassenheit die Punks ignorierte, die mit schwerem Schuhwerk über seine Motorhaube stiefelten. Der Stern war schon vorher abhanden gekommen und klimperte unterdessen lustig an einer Anarcho-Kette.

An einem Sommerabend fand eine Party auf dem Campus statt. Nachdem ich eine Weile mit Daisy-Duck-Schuhen dort herumgestanden, mit meinen dichten Wimpern und Bambi-Augen süß geguckt hatte und für jeden begehrlichen Blick und jedes Lächeln einen Strich in mein inneres Verführungsbüchlein gemacht hatte, ging ich irgendwann mit meinen leergetrunkenen Bechern zu den Mülltonnen, öffnete eine davon und sah dort eine fette Ratte kauern, die mich zuerst erschrocken anschaute und mir alsdann fauchend entgegensprang. Die Ratte verschwand unter den Tonnen und das letzte was ich von ihr sah, war der gestreifte Schwanz. Ich dachte an meine Kindheit und unsere Besuche im Senckenbergmuseum. Es gab dort eine Art Installation bei der ausgestopfte Ratten in Müllbergen hermwuselten. Die Idee auch unter unwirtlichsten Bedingungen überleben zu können, faszinierte mich sehr und Müll ist immer ein Faszinosum für mich gebleiben. Meiner Schwester blieben als besonders unangenehme  Museumsexponate die ägyptischen Kindermumien in Erinnerung. Gab es Zuhause etwas zu essen, was ich mochte, erzählte ich ihr gerne von den zusammengeschnürten, kauernden Dörrleichen und sie schob heulend den Teller zu mir herüber. Zwar schimpfte meine Mutter mich dann, allerdings nur halbherzig, denn erstens interessierten unsere Streitereien sie nicht und zweitens war sie war froh, wenn ich aß, denn ich hatte mein Leben lang  Untergewicht. Wäre es nach den Schulärzten gegangen, wäre ich wohl erst vor 5 Jahren  eingeschult worden.
Ich vermute, dass die ständige Konfrontation mit den Ochsenaugen, die mein Vater zu Forschungszwecken im Kühlschrank aufbewahrte, sowie die Erinnerung an die Kinderleichen meine Schwester hart genug gemacht haben, um den Beruf der Ärztin ergreifen zu können. Und beinahe bin ich ein bisschen stolz darauf, ein wenig zu ihrer Karriere beigetragen zu haben.

Mich ekelte, neben Regenwürmern, die wir in der Schule sezieren mussten, am allermeisten vor einem Plakat, dass meine Schwester an die Rückwand der Toilette gehängt hatte. Darauf war ein Schimpanse in Latzhose und mit Ringelshirt zu sehen, der mit der Hand seine Nase berührte und traurig in die Kamera schaute. Nicht nur, dass die Finger aussahen wie vertrocknete Datteln, an einem der Finger klebte außerdem noch ein Stückchen braunen Bananenmatsches. Jedes Mal, wenn ich die Toilette betrat, senkte ich den Blick, um den Affen und den Bananenschleim nicht sehen zu müssen. Doch selbst wenn mir das gelang, dachte ich, während ich auf dem Porzellan saß,  durchgehend an das Elend in meinem Rücken. Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus und riss das Poster in Fetzen von der Wand. Da Vandalismus aber die Spezialität meines jähzornigen Bruders war, glaubte wahrscheinlich jeder er sei das gewesen. Ob die Sache ein Nachspiel hatte weiss ich nicht mehr. Ich vermute nicht. Zum einen interessierten sich unsere Eltern nicht für unsere Querelen (s.o.), zum anderen wollte sich niemand den Wutausbrüchen meines Bruders, die bis hin zu Beissattacken, Messerwerfereien und Morddrohungen ausufern konnten, aussetzen.

 

 

 

 

 

Bild: flickr, Zauberwald, Johanna und Heinz Günter
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

17 Kommentare zu “Schick-, Trüb-, Drang- und Labsal

      • ägyptische Einweihung: Tauchen durchs Krokodilbecken, irgendwo unter Wasser ist ein Ausgang, findest du ihn nicht, ertrinkst du. Man sagt, der Liebling von Kaiser Hadrian sei so umgekommen, er wurde dann vergöttlicht. LG

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        • Ich bin nicht gemacht für´s Russisch Roulette. Kostet mich zwar meinen Göttinenstatus, aber was soll´s.

          Interessante Geschichte. Ich hätte ehr erwartet im Krokodilbecken gefressen zu werden, statt zu ertrinken. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wählte ich die unblutige Variante.

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  1. Das mit dem Plakat-Abreissen finde ich „schick“.
    Es zeigt Individualität. Jeder empfindet solch ein Plakat anders und es ist gut und schön. wenn es jemand gibt, der eine Sache ganz anders interpretiert…als der Rest.

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    • Ich weiss nicht. Es zeigt doch eher einen impulsiven und unbeherrschten Menschen, der ich war und mitunter noch bin. Das Plakat war einfach eine Beleidigung für jede Ästhetin. Es musste weg udn ich bedaure nur, es jahrelang ertragen zu haben.

      Schöne Grüße nach Würzburg

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    • Das Labsaal kennen Sie auch noch, oder? Wir beiden waren ja sogar in der gleichen Vorlesung, wie wir mal festgestellt haben.
      Eines Tages werden wir am Meer sitzen und die Frankfurter Geschichten durchgehen!

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  2. Alles tief empfunden, vom Affen bis zum Klo. Dein Buch solltest du wie Vonnegut in Schlachthaus Nr.5 schreiben: Aus der Perspektive eines Außerirdischen, der sich das alles interessiert aber verständnislos anblickt.

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    • Vielleicht ist es einfach nicht das richtige Buch für Dich. ich bin nicht sicher, ob es mich heute noch so im Mark treffen würde wie damals. Vonnegut ist mir begegnet, als ich ihn brauchte und deswegen spielt er bis jetzt eine wichtige Rolle in meinem Leben.

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