Morgenrituale

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Morgens zanken der Bekannte und ich öfter mal, wobei zanken eigentlich übertrieben ist. Wir maulen uns an. Das liegt daran, dass der Bekannte das ist, was man einen Morgenmuffel nennt. Sobald er sich aus dem Bett erhebt, hat er schlechte Laune. Aus dem Stand quasi. Dann torkelt er schlaftrunken durch das vollkommen abgedunkelte Zimmer, tastet nach seiner Hose und sagt: Scheiße. Einfach so.
Hauptsache erstmal Scheiße gesagt, sage ich dann und mein Herz klopft schnell ob des rüden Weckerlebnisses. Wenn mein Bekannter dann noch irgendetwas Freches entgegnet, und das tut er fast immer, überfauche ich ihn einfach, wie ein angriffslustiger Schwan: Schhhhhhh! Das ärgert dann wieder meinen Bekannten so sehr, dass er erst richtig ins Meckern kommt und schon haben wir den schönsten Krach. Eine Minute lang. Bis nämlich einer von uns beiden sagt: Lass mich in Ruhe, und der andere sagt: Sehr gerne, das musst du mir nicht zwei Mal sagen, ich kann dich auch ganz und gar in Ruhe lassen, kein Problem.
Daraufhin gibt es erstmal eine Gefechtspause, der Bekannte stapft übellaunig in die Küche und klappert dort extra laut herum, während ich innerlich vor mich hinzetere. Zu meiner seelischen Entlastung stelle ich mir dann gerne vor wie ich ihm gleich in die Küche folgen und ihm dort gegen das Schienbein treten werde. Der Gedanke erheitert mich und bessert meine Laune derart, dass ich aufstehen und mich zu ihm gesellen kann, ohne die nächste Eskalationsstufe einläuten zu müssen.

In der Küche sitzen wir zwei dann ostentativ missmutig nebeneinander am Tisch, vermeiden Blickkontakt und trinken schweigend Kaffee. Sobald der Bekannte endlich den ersten Liter davon intus und (vor der Türe) eine Morgenzigarette geraucht hat, bessert sich auch seine Laune. An manchen Tagen schlägt sie sogar beinahe in Euphorie um, er wird fröhlich und mitunter fast schon redselig. Meist erzählt er mir dann vom Wetter, dessen Verlauf er stets genau im Blick hat. In der halben Stunde des Schweigens hat mein Bekannter sich außerdem via Internet über die aktuellsten Geschehnisse kundig gemacht und gibt mir nun einen kurzen Abriss seines neu erworbenen Wissens. Die schönsten Tage sind die, an denen er sagt: Nix passiert in der Welt. Dann atmen wir beide auf und freuen uns.
Nach dem morgendlichen Nachrichtenrapport drängt es den Bekannten alsbald ins Bad, wo er seit Jahr und Tag vorgibt kalt zu duschen. Das ist natürlich Unsinn, denn auch wenn er jedes Mal nach dem Duschen die Mischbatterie wieder auf blau stellt, glaube ich ihm kein Wort. Wer so wetterfühlig und derart gebeutelt ist von den Berliner Wintern wird sich gewiss nicht auch noch freiwillig eiskalt abbrausen. Doch die Ausdauer und die Konsequenz, mit der er seine Täuschungsversuche betreibt, rühren mich. Tatsächlich hat er nicht ein einziges Mal, in all der Zeit, vergessen die Mischbatterie zu manipulieren und immer wieder erzählt er mir, wie wahnsinnig erfrischend so eine kalte Dusche am Morgen sei. Ohne würde er überhaupt nicht richtig wach werden. Ich könnte das gar nicht aushalten, ich würde glatt erfrieren,  sage ich dann anerkennend.
Kürzlich allerdings hat sich mein Bekannter dann doch mal ein bisschen verplappert, als er nämlich völlig selbstvergessen erzählte, welchen Trick er anwendet, damit der Spiegel in dem fensterlosen Bad beim Duschen nicht beschlägt.
Aha, dachte ich, der Spiegel beschlägt also beim Kaltduschen?
Gesagt habe ich aber nichts. Das hebe ich mir für morgens, nach dem Aufstehen auf.

Heute ist er abgereist, der Bekannte, mit Rollkoffer, schniefender Nase und Fieber.
Leider bin ich jetzt ein bisschen traurig. Und das nicht nur, weil ich niemanden mehr zum Streiten habe.

 

 

 

 

 

 

Bild: Lock yourself in the bathroom, Jens Cramer, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

35 Kommentare zu “Morgenrituale

  1. Ich bin durcheinander. Ist der Bekannte der Unterfranke oder warum duscht der bei dir seit Jahr und Tag? Entschuldige die indiskrete Nachfrage.

    Ich habe fünf Jahre mit einem Typ zusammengewohnt, der ständig scheiße sagte. Also immer dreimal hintereinander: Scheiße, scheiße, scheiße! Zum Beispiel rief ein Freund bei ihm an und wollte sich mit ihm treffen, mein Mitbewohner war super freundlich: „Ja, gerne. Ja, warum nicht gleich heute. Super, ich freu mich.“

    Dann legte er auf und sagte: Scheiße, scheiße, scheiße! Wenn ich später, nachdem ich ausgezogen war, mal bei ihm anrief, um mich mit ihm zu verabreden, wusste ich, er macht es genau so. Andererseits konnte er wunderbar zarte Aquarelle malen.

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    • Der Bekannte st nicht der Unterfranke, obwohl der auch gerne und oft Scheiße sagt.
      Duschen tut der Bekannte hier, weil er hier wohnt, wenn er in Berlin ist. Und nach Berlin kommt er eigentlich nur um mich zu sehen. Seit Jahren schon. Ein sehr guter Bekannter.

      Ich hatte mal einen Kollegen, der war so ähnlich wie Dein ehemaliger Mitbewohner. Wenn andere Kollgen in unser Büro kamen und um Rat baten, oder auch mal Zweifel äußerten, ob sie in einer Situation angemessen gehandelt hatten, bestärkte er sie stets und lobte sie für ihr Verhalten.
      Frag nicht, was los war, sobald sie den Raum verlassen hatten…

      Das Detail mit den Aquarellen gefällt mir.

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  2. Mein Lebensabschnittsgefährte ist auch ein Morgenmuffel – Ich nehme ihm das persönlich sehr übel. Was auch wiederum ungerecht ist, immerhin nötige ich ihn jeden morgen, dass er mir Kaffee ans Bett bringt.

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  3. Ich wohnte vor Jahren mit einem Bekannten, der – egal, wohin er kam, auch nach Hause – sofort und in halbstündigen Wiederholungen betonte, daß er gleich wieder gehen müsse.
    Sein Verweil-Rekord in fremder Umgebung lag bei 3 Tagen und 2 Nächten – macht ungefähr 100 er-geht-gleich-wieder-Erklärungen. Nur 100, weil er während der rauschenden 3-Tage-Party zwischendurch kleine Nickerchen einlegte.

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    • Vielleicht wollte der Bekannte höflich sein, niemandem auf den wecker gehen und dachte sich, dass er am Besten immer mal einstreut, dass er bereit ist jederzeit zu gehen. Solange niemand das Angebot aufgriff, konnte er bleiben.

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      • Ja, das war vermutlich der eine Teil.
        Der andere: Wichtigeres und höhere Mächte würden ihn in Kürze abberufen, was nur dadurch vielleicht noch zu verhindern wäre, indem man ihn zum Bleiben nötigt und ohne ihn gar nicht kann. Der Bekannte wollte stete Beweise des Gemochtwerdens und er wollte sehr viel Aufmerksamkeit. Kam nicht so gut bei ihm an, als seine Erklärungen zum running gag wurden und sich darüber liebevoll lustig gemacht wurde.

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  4. puh…… eine anstrengende Vorstellung solche Morgenmuffeligkeiten….. (morgens ist mein Nervenkostümchen extrem dünn). Die können mir schon mal den ganzen Tag vermasseln und ich brauche Stunden, um mich von morgendlichem Gemuffel zu erholen. Gut, dass Sie so großherzig sind mit dem Bekannten. Ist ja ein richtiges Morgenmuffelparadies bei Ihnen :-)

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  5. „Lass mich in Ruhe, und der andere sagt: Sehr gerne, das musst du mir nicht zwei Mal sagen, ich kann dich auch ganz und gar in Ruhe lassen, kein Problem.“ – hej, das kenne ich und nicht nur am Morgen- deine Art damit umzugehen habe ich mir jetzt gemerkt, vielleicht…
    überhaupt, deinen Humor möchte ich haben, ich olle Ernstnehmerin, ich ;)
    herzlichst und heute gaaanz herzlichst
    Ulli

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    • Ich befürchte, liebe Ulli, ich verdiene das Lob nicht. Denn ich bin durchaus streitbar und kein bisschen gelassen, wenn der Bekannte am frühen Morgen flucht und meckert. Wer mich so weckt, muss damit rechnen zumindest gedanklich von Schrot durchsiebt zu werden. Das Einzige, was ich mir zugute halten kann, ist, dass ich ihn nicht wirklich trete oder ihm das iPad auf den Kopf haue, wenn ich dann in die Küche komme. Lust dazu hätte ich schon, aber er entwaffnet mich halt einfach mit einem liebevoll zubereiteten Cappuccino. Wr wollte da noch nachtragend sein…?

      Schöne Grüße aus der dreckige, kalten Stadt!

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      • Nun, die Art wie er auf mich wirkt.

        Ich lese ihn von der einer anderen Seite aus: als Morgenmuffel (kein fluchender), der die erste Stunde im Leerlauf verbringt und kaum eigene Emotionen in diesem Zustand hat, außer jenen, die ich mir quasi vom jeweiligen Gegenüber ‚borge‘ und damit ihre/seine Befindlichkeit ein Stück weit spiegele.

        Was Du schreibst und wie Du es tust, stellt mein (teils trotziges) Unverständnis hart auf die Probe. Im Verlauf des Imaginierens & Nachdenkens konnte ich mir selbst, resp. den verschiedendlichen, widersprüchlichen und miteinander ringenden Aspekten meiner selbst – angereichert durch die lebhaften Bilder Deiner Sprache – zusehen. Zusehen beim spalten, oder viel mehr noch, eben: fragmentieren eines ehernen Bildes, das kaum je ein halbes war und nun – wunderschön – in Scherben liegt.

        Zu meinem Erstaunen verspüre ich nicht den (üblichen) Drang ein neues Bild zu schaffen.

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        • Gut, dass ich gefragt habe. Da hätte ich doch ohne Erklärung niemals drauf kommen können.

          Die Bilder kommen eh von selbst wieder. Du musst dann nur die Hand hineintauschen und schon verschwimmen sie darunter. Sonst mache ich das sehr gerne.

          Übrigens würde ich jemanden, der morgens ein wenig somnambul ist, so wie Du, nicht als Morgenmuffel bezeichnen.
          Nur, wer nach dem Aufstehen sofort flucht, meckert, grunzt um seiner Umwelt sein Missfallen zu demonstrieren, erfüllt für mich diesen Tatbestand. :)

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      • Danke, Dir, fürs Nachfragen und die anregende Antwort. :)

        (Meine Einstellung in Sachen Verständlichkeit werde ich überdenken, ist ohnedies an der Zeit.)

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      • Hach, Du Liebe! (Wenn Worte nur ungenügend sein können.) Falls mich – da sei der Sheitan vor – jemals wer danach fragen sollte, was das Herz des Punk ist, werde ich auf diesen Deinen Kommentar verweisen.

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