Über die Leipziger Straße brettert ein Krankenwagen und noch einer und gleich der nächste in Richtung Potsdamer Platz. Das Gellen ihrer Sirenen legt sich über das Tosen der dicht befahrenen achtspurigen Piste. Der Tag flimmert und gleißt auf den kochenheißen Autodächern.
Was ist passiert? Ist es passiert?
In der Hauptstadt erwartet man den ersten Anschlag, schon lange, doch nach den Attentaten und dem Amok in Bayern verdichtet sich die Sorge zu Angst.
Der Bruder hat sich einen ehemaligen Bahnhof gekauft, irgendwo in Brandenburg. Sollte ich es ihm gleich tun und die Flucht auf´s Land antreten, wo ich dann bei der Gartenarbeit auf den Rechen trete, mir der Stiel mit solcher Wucht gegen den Kopf knallt, dass ich rücklings auf das gusseiserne Tor stürze und von einer der schön gedrehten Spitzen durchbohrt werde. Vielleicht ist es auch ein Jäger, bei der Treibjagd, der mich für eine Sau hält und mich mit Schrot durchsiebt. Kann passieren.
Wahrscheinlich käme es ganz anders, aber nicht minder qualvoll und ich stürbe den Tod der ewigen Langeweile, weil für mich, als Stadtkind durch und durch, das Land nur kurzzeitig Erholung bringt, langfristig aber den Untergang bedeutet.
Am sichersten ist man derzeit wahrscheinlich auf dem Kotti, scherzen der Eine und ich, als wir abends im Bett liegen. Wenn da einer mit einer Machete auftaucht ist er eine Minute später erstochen. Die haben da keine Lust auf solche Leute.
Wer hat schon Lust auf die, denke ich. Vielleicht muss man noch fertiger oder irrer sein, als jemand, der gewillt ist sein eigenes Lebenslicht auszuknipsen und dabei zusätzlich das Blut möglichst vieler Menschen vergießen möchte, um sich mit diesem Selbstmordfatzken auch noch anzulegen. Desperados unter sich.
Selbst Glauben schützt in diesen Tagen nicht mehr zuverlässig. Nicht mal einen 86jährigen Priester. Die Attenäter machen keine Unterschiede, sowenig wie die Bomber, die ihre Städte in Schutt und Asche legten.
Micromort heisst die Maßeinheit für Risiko und bezeichnet eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million zu sterben. Eine Mikrowahrscheinlichkeit (microprobability) ist eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt; ein Mikromort ist entsprechend die Mikrowahrscheinlichkeit des Todes. (Wikipedia)
Die Wahrscheinlichkeit durch ein terroristisches Ereignis zu Tode zu kommen, ist in Europa in den letzten Monaten messbar gestiegen.
Was waren das für Zeiten, als man es im urbanen Leben mit ganz normalen Säufern und Schlägern zu tun hatte, die noch halbwegs an ihrem Leben hingen und deren Risikoeinheit der alkohol- oder betäubungsmittelinduzierte Microfight war.
Hier und da uferte eine Schlägerei untereinander mal aus, ein paar Nasen brachen, dreckige Flüche wurden ausgespuckt und am nächsten Tag stand man zugerichtet wie Bolle wieder gemeinsam auf dem Platz, rotzte ab und an auf den Boden und versuchte, soviel Rauschmittel wie möglich in seinen gemarterten Körper hinein zu bringen.
Früher war alles schöner.
Das mit dem Stiel vom Rechen klingt fantasievoll. Ja, früher sagte man noch Sachen wie: Sind wir nicht alle ein bisschen Fanta oder Bluna oder so…
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Die Afri Cola Werbung!
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früher: war mehr lametta …
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Ja!
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Auch in kartographischer Maximalentfernung vom Kotti und in Maximalidyllen ist es nicht ungefährlich. Auf engem Weglein an der Kuh vorbei, und man passt schon durch, aber passt es ihr? Microcow werde ich das ab sofort nennen, danke für’s Wort. Manchmal schaut eine so (und du schaust auf die Hörnchen) da bist‘ gefühlt schon bei Milli. Millicow.
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Ich würde das Risiko des hurtigen Hikers auf einem schmalen Bergpfad von einer Kuh auf die Hörner genommen und anschließend von ihr zertrampelt zu werden sogar noch höher einschätzen. Was halten Sie von Centcow oder vielleicht sogar fifty/fiftycow?
Millicow ist das Kälbchen, oder war das Minicow?
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Genau! Was? Na, alles!
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An mein Herz!
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Früher konnte man am Schlesischen Tor vor Langeweile sterben, so wenig Leute kamen da vorbei. Jetzt wird man von Touristen zu Fuß oder mit dem Rad umgeschlagen. Dann muss man schnell aus dem Rinnstein bevor die „Familie“ einen mit getuntem Wagen überfährt.
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Deswegen lebe ich so gerne hier.
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„Die Wahrscheinlichkeit durch ein terroristisches Ereignis zu Tode zu kommen, ist in Europa in den letzten Monaten messbar gestiegen.“ Klar, es ist aber noch immer wahrscheinlicher, dass man wie von dir geschildert im Garten letal verunfallt oder in der eigenen Wohnung (jährlich 8.000). Letal kann auch die Hysterie sein, mit der uns die Medien tagtäglich plagen. (Selbstmord aus Angst vorm Sterben)
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Volle Zustimmung, lieber Jules. Genau das sollte mein Text sagen. Leider gelingt mir Ironie so schlecht…
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Ganz schön feist – früher
Bin grade zu faul am Mobilophon den Link zu suchen zum Lied.
Schön zu lesen, dass es ironisch sei.
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„Schön zu lesen, dass es ironisch sei.“
Seufz. Wenn ich es nicht dazu sage, scheint man es nicht zu merken. Schade.
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Hm. Doch schon. Wenn man dich „kennt“. Da du ja sehr ironisch bist. Aber aus dem Text heraus eher nicht zu erkennen. Nein.
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Früher waren wir schöner.
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Und geblendet von unserer eigenen Anmut und deshalb so blind.
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