Zweite Reihe

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Du und ich sind bei der Beerdigung meiner Mutter (oder war es Dein Vater).

Ich bin beinahe sicher, dass es meine Mutter gewesen sein muss, denn die Frauen, die in der ersten Reihe des düsteren Raumes mit rotschwarzem Hochflorteppich stehen und klagen, sind Russinnen, zumindest singen sie auf russisch und sie sehen auch so aus.

Eine große Vase steht auf dem Boden, darin befinden sich pinkfarbene, voll aufgeblühte Lilien. Ihr Aussehen ist auf eine merkwürdige Weise obszön, ihr Duft betäubend wie Aas.
Sie sind sehr lang und stehen so dicht vor mir, dass ich nicht an ihnen vorbeischauen kann um einen Blick auf den eichefarbenen Sarg meiner Mutter zu werfen.

Ich bitte die Frau, die links vor mir steht, und die ich wegen ihres Auftretens für die Anführerin der Gruppe halte, die Blumen beiseite zu stellen, doch sie hört mich nicht und lamentiert, den Blick geradeaus, singsangend weiter. Da greife ich selbst nach der Vase und schiebe sie ein Stück nach links. Augenblicklich rückt die Klagende sie zurück und blickt dabei unbeirrt nach vorne.

Während der Trauerfeier erfahre ich, dass ich im Lotto gewonnen habe. 17 Millionen. Ich kann es kaum fassen und schaue immer und immer wieder auf meinen Kontoauszug. Es stimmt. 17 Millionen steht dort. Zur Sicherheit gehe ich sofort zum Bankomaten und ziehe 200.000 in Hunderternoten. Ich blättere die Scheine durch, wie ein Daumenkino. Dann lege ich mir die Bündel in den schwarzen Schoß.

So erleichtert bin ich, dass ich darüber ganz vergesse wo ich bin. Ich habe im Lotto gewonnen! Ich bin reich!
Das vertreibt zwar nicht alle meine Sorgen, aber doch einen großen Teil davon. Die Katzen können bei mir bleiben, ich kann mir die Behandlung des Hundes problemlos leisten. Doch allem voran werde ich mich nicht weiter der Missgunst meines Bruders aussetzen müssen. Ganz im Gegenteil. Ich werde dem neidgemarterten Menschen Scheine zu essen geben, bis er Muh macht und ich ihn an einem Nasenring durch die Arena führen kann, die rote.

Den weiteren Verlauf der Trauerfeier habe ich vergessen. Ich erinnere mich nur, dass Du irgendwann, nach dem soundsovielten Hin- und Herrücken, die Vase umgetreten und die Blumen auf den Boden geworfen hast. Mir zuliebe.

Was dann geschah weiss ich nicht mehr.
Ist auch nicht so wichtig, denn ich habe  im Lotto gewonnen. Da kann ich mir künftig soviele Beerdigungen leisten, wie ich will.

Ach, und Käse kam noch drin vor, in meinem Traum.
Schließt den Magen und macht dick, wenn man jeden Abend 18 reichlich damit belegte Brote isst. Zwanzig Kilo würdest Du auf Dauer zunehmen, wenn Du das nicht berücksichtigtest. Und ich hätte Dich nicht weniger gern. Weisst du ja.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Lilien, Ting Chen, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

19 Kommentare zu “Zweite Reihe

        • Weder noch.
          Eigentlich habe ich mein Leben lang Angst vor Beisetzungen gehabt. Bei der Beerdigung meiner Großmutter ging ich hinter ihrem Sarg her und schlug mich irgendwann in die Büsche, um mich dort zu erbrechen.
          Als ich auf einem Friedhof in Bad Arolsen stand und dort die Grabsteine von Angehörigen fand, wurde ich an Ort und Stelle krank. Fieber, Erbrechen usw.
          Der Tod und alles was damit zusammenhängt hat mich früher über die Maßen erschreckt und erschüttert.
          Meine beinahe obsessive Beschäftigung damit (nicht erst seit meinem Herzstillstand), ist eine Art selbstgebastelter Konfrontationstherapie. ich möchte dem Ganzen damit den Schrecken nehmen. Mit Erfolg, übrigens.
          Zum Grufti mit eigenem Sarg statt Bett, werde ich es aber wohl nicht bringen.

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          • Kennst Du „Schultze get’s the Blues“ mit Horst Krause? Herrliches Märchen über Musik und Vergänglichkeit. Und die zickige Volksmusik wird ohrenfreundlich vom Akkordeon übernommen anstelle der Fiedel.

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            • Kenn ich nicht. ich guck ja weder fern, noch gehe ich ins Kino, netflixe o.ä.
              Hab derartig viele Bilder im Kopf, dass ich nur selten noch mehr ertragen kann.

              Ist nicht Horst Krause der Polizeiruf-Darsteller? Der ultranaive kräftige Dorfpolizist, der ein Gespann fährt in dessen Beiwagen sein Schäferhund sitzt?
              Wenn ja, dann hab ich den Film schon ein Mal empfohlen bekommen und sollte mir vielleicht doch mal überlegen ihn anzuschauen (zumal fiddelfrei)

              Du bist echt ein sehr aufmerksamer Leser.

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              • Jup. Genau der. So wie Du Dein Medienkonsumverhalten beschreibst, sieht das aber nicht gut aus. Is ein sehr ruhiger Film, hatte das Glück, dass mich eine Feundin ins Kino mitgeschleppt hat. Wenn man zu Hause rumhibbelt, kommt man eher schlecht rein.

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                • Mein Medienkonsumverhalten sieht nicht gut aus?
                  Ich bin froh um alle Ablenkungen, auf die ich keine Lust mehr habe. Ernsthaft.
                  Ich frag mal den Einen, ob er den Film mit mir anschaut. Das dauert dann ca. 3 Abende auf DVD, denn mehr als 30 Minuten am Stück gucken wir fast nie.
                  Ist vorgemerkt, und er liest ja eh mit (glaube ich).
                  Danke für den Tipp!

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  1. Bei der letzten Beerdigung, an der ich teilnahm, ging mein Schwager neben mir in der Trauergemeinde. Er wollte ein Haar von mir, um, wie er sagte, mich mit den darin enthaltenen Informationen nach meinem Tod wieder herzustellen. Er ist Biochemiker. Ich winkte ab: kein Interesse.
    Beerdigt wurde seine Großtante. Mit der bin ich hinter so manchem Sarg hergeschritten, und jedesmal ulkten wir, wer von uns beiden wem die letzte Ehre geben würde. Sie wurde steinalt, aber es half ihr alles nichts, ich ging hinter ihrem Sarg.
    Der heimliche Charme von Beerdigungen ….

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    • An einer Beerdigung teilnehmen ist schön doppeldeutig.
      Erst übt man als Statist und irgendwann ist man die Hauptdarstellerin.
      Ich fühle mich der Rolle noch nicht gewachsen und übe lieber noch ein wenig.
      Du bitte auch. :)

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  2. Inzwischen habe ich schon an zu vielen Beerdigungen „teilgenommen“…Manches hätte auch in einem skurrilen Traum vorkommen können: bei meinem Großvater stand ich irgendwo am Rand und im Nachbargrün stritten sich drei eisgraue alte Männer, wer von ihnen für den reaktionären Schlesierverein die Grabrede halten durfte… beim Vater vor einem halben Jahr standen wir vorne neben der LAG, die filmreif schluchzte und sahen zu, wie sich ihre Freunde vor uns umdrehten und uns komplett mit Nichtbeachtung beglückten. Traumhaft…

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