Mittwoch-Scheune

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Als Kind war für mich Punsch und Putsch in etwa dasselbe: eine Erwachsenensache.
Für uns Kleinen gab es Matsch und Quatsch, oder Bratwurst mit Pommes. (Schranke war in unserem Teil Deutschlands unbekannt oder überhaupt noch nicht erfunden).
Manchmal gab man uns auch Uhu und Pattex, oder war´s Pritt, was so köstlich duftete, wie Sprit aus der Zapfsäule?
Neben der Chevron-Tankstelle arbeiteten Männer mit blauen Einteilern in einer Mittwoch-Scheune oder einer Dienstage-Montage-Halle? Rätselhaft.

Auch Touristen und Terroristen konnte ich nicht so recht auseinanderhalten, schließlich kannte ich keine, obwohl es viele zu geben schien, vor allem in Frankfurt, wo wir lebten. In jedem Postamt hingen Plakate, auf denen sie abgebildet waren. Schwarz-weiß-Porträts, rot eingekastelt, schön nebeneinander. Und wenn die Polizei einen Touristen gefangen hatte, wurde er durchgestrichen, wie beim Schiffe-versenken.

Als ich schon etwas älter war und mich in einer Mansardenwohnung vergnügte, tat es  plötzlich einen Knall und bald darauf hörte man das Martinshorn, bzw. eine sich nähernde Martinshornsinfonie. Der Ziegenhirte und ich warfen uns etwas über, liefen zum Fenster und schauten hinaus. Ein Tourist hatte im Haus gegenüber seine Knarre gereinigt und dabei versehentlich in die Zimmerdecke geschossen. Möglicherweise war´s auch ein Terrorist, der sich da so ungeschickt angestellt hatte (wie es die Berlin-Touristen auf der Rolltreppe tun). Oder wollte er etwa Selbstmord begehen, bei einer Partie Russisch Roulette, und war selbst dazu zu unbeholfen?

Unbeliebt schienen jedenfalls beide Menschengattungen zu sein, Terroristen, wie auch Touristen, soviel war klar. Die einen mehr, die anderen weniger.

Renitent war ich, wenn ich zu lange nachfragte oder frug, wenn ich es unbedingt wissen wollte, und zwar genau, mich für Feinheiten und Details interessierte oder Synonyme sammelte (nicht zu verwechseln mit Anonymen). Manchmal insistierte ich sogar (ohne zu wissen, was das bedeutete), wenn ich nämlich darauf bestand, dass es genauso gut Zebrastriche heissen könne. Zebrastreifen!, schimpfte meine Mutter dann, und ich weiss nicht beim wievielten Durchgang dieses Tauziehens sie die Nerven verlor. Zu Strichen kann man auch Streifen sagen, behauptete ich unbeirrt  weiter und plötzlich  gong! wackelte mein Kopf wie ein trudelnder Kegel und ich blickte in ihre zornigen Augen.
Der Preis der Renitenz a.k.a Eigenwilligkeit.

Weil sie es so schwer mit mir hatte, erwog meine Mutter beinahe täglich, mich ins Kinderheim zu stecken (Stecken? Hä, wie soll das denn gehen?), während mein Bruder für die Nervenheilanstalt vorgemerkt war.
Doch was ist eine Drohung wert, der keine Taten folgen? Nüschte!

Das hätten auch die Putschisten wissen können, die erst eine Ausgangsperre verhängen, das Kriegsrecht ausrufen und dann tatenlos zugucken, wie die Bevölkerung ihnen auf der Nase den Panzern herumtanzt.

Übrigens sind auch Putschisten Terroristen, solange sie keinen Erfolg haben. Mit der Übernahme der Macht ändert sich das. Doch so, wie es für sie ausgegangen ist, können sie jetzt nicht darauf hoffen, anderswo Asyl zu bekommen. Ihre Revolte ist gescheitert. Sie werden den gestohlenen Hubschrauber zurückgeben müssen. Persönlich.

Über den Amokläufer, der Touristen und Einheimische totfährt und nach Bekanntwerden seiner Glaubenszugehörigkeit augenblicklich  zum Terroristen erklärt wird, schreib ich nichts.

(Ich versuche hier nicht etwas zu verharmlosen und ich mache mich keinesfalls lustig über die grauenvollen Geschehnisse und die vielen Toten in diesen Tagen. Ich bin eher ungeschickt und unbeholfen im Umgang damit).

Meine Renitenz hat sich übrigens über die Jahre verwachsen, bzw. eine altersadäquate Entwicklung genommen und irgendwann war ich dann zu alt für´s Kinderheim (würden die Augen machen, säße ich heute noch auf ihren kleinen Stühlchen und äße von ihren winzigen Tellerchen, wie einst Schneewittchen, favourite Identifikationsfigur of my childhood).

Bei meinem Bruder kam es, nach Anstieg des Testosteronspiegels, zu einer Erstverschlimmerung seines Zustandes, die bis heute anhält.

Glauben Sie nicht alles, was sie hier lesen.
Ich weiss es besser.

 

 

 

 

 

 

Bild: Sludge G, flickr, Playground apparatus,Toadstool slide, Lloyd Park E17
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

23 Kommentare zu “Mittwoch-Scheune

    • Keine Ahnung was das ist, was ich da mache. Alles ein bisschen, aber doch am ehesten jonglieren, wie der Seehund den Ball. Oder war´s die Seekatze?

      Die Industrie ist ein Freund des Menschen. Selbst des Selbstmörders, obwohl dieser weder wiederkehren, noch sie weiterempfehlen wird. Das nenn ich selbstlos.

      (Linkdank!)

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  1. Und mir fällt spontan „Der weisse Neger Wumbawa“ * ein!
    Die vom KInd falsch verstandene Zeile aus „Der Mond ist aufgegangen“ :
    „und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel wunderbar“ … das Kind aber so verstand:
    „und aus den Wiesen steiget / der weiße Neger Wumbaba“.
    :-)

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    • Schönes Beispiel.
      Ich hab mal in dem Buch geblättert.
      Da erinnerte sich einer, dass er als Kind Griechischer Wein hörte und stattdessen

      Kriech nicht da rein,
      das ist das Blut der Erde

      verstand.

      Welches Welbild mag sich da wohl in der kleinen Kinderseele formen…

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  2. Das eröffnende Bild, das ich als kotzenden Zwerg interpretiere, gefällt mir so gut wie die Wortverwechslungen der Kindheit. Wenn ich mit der Mutter im Zug vom Niederrhein nach Hamburg fuhren, kamen wir immer durchs Rohrgebiet. Und der Niederrheiner an sich velwechsert ja auch als Erwachsener, wie Hanns Dieter Hübsch so schön kolportierte, gerne mal die Fremdwörter (‘Drainage’).

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  3. Eine herrliche Karusselfahrt der Zeiten und Gegebenheiten war das, der Kletterpilz streckt seine Rutschezunge raus und ich habe einmal richtig laut gelacht, wenn das nichts ist! Jedenfalls unbedingt mehr als nüschte, da kann ich mitreden, nur dass es bei mir Schwerstzuerziehenden-Heim hiess, dunkle Mauern, Gittern vor den Fenstern, aber wenn ja nüscht folgt verpufft der nett gemeinteste Kinderhorrorfilm auf Dauer- oder so
    herzliche Grüsse zum Sonnenuntergang
    Ulli
    die zehn Fragen haben jetzt zehn Antworten, nochmals Dank

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