auf verderb und verdei

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Vorgestern habe ich mein Haarkleid freiwillig auf Pixie-Cut herunterraspeln lassen, bin mit einer großen Sonnenbrille aus dem Laden getreten und habe mich anflirten lassen.
Ich fühle mich wie Jean Seberg.

Es geht weiter.

Auch das Fell des Hundes lichtet sich, hier allerdings ein Hinweis auf hormonelle Störungen. Schilddrüsenunterfunktion oder Hypophysentumor. Die Ärztin tippt auf letzteres. Lotto, oder was?
Heute laufen den gesamten Tag Untersuchungen in der Klinik in Zehlendorf, wo wir auch gestern schon waren und vergangenen Freitag und überhaupt. Inzwischen denke ich beinahe, dass mir jedes Ergebnis lieber ist, als dieses ständige Bangen.

Die Wartezeit vor der Klinik haben wir uns gestern mit einem Cappuccino und Gebäck von der nahegelegenen Tanke vertrieben. Auf dem Dach des einstöckigen Flachbaus aus den 70ern stand ein bellender Mann, der sich als einer von drei Facility-Managern entpuppte, die einem diffizilen Facility-Problem auf der Spur waren. (Zuerst schrieb ich „haben wir den Facility-Managern beobachtet“, ein Satz, so falsch, dass er angenehm weh tat. Zu gerne hätte ich ihn stehen lassen, doch dann kam das Sprachgewissen und er darf nun nur durch die Hintertür diesen Beitrag betreten).

Noch schöner wäre es gewesen, wenn ich gestern in einer buntgestreiften Satinpluderhose, einer roten Ronald-Mc-Donald-Perücke mit Hütchen oben drauf, einer Clownsnase  und riesengroooßen Onkel-Schuhen in den Warteraum der Kleintierklinik spaziert wäre (wie Claire der Clown bei Short Cuts) um dort mit quietschigquäkender Kleinkindstimme aus  meinem tüdelbunten Bauchladen kostenlos Tröten, Kekse und Getränke an die besorgten Tierfreunde zu verteilen und jeden einzeln und mit schiefgelegtem Kopf zu fragen: Naaaaa? Wo hat der tleine Wauzi (die Mauzi) sein böses Aua?
Endlich mal regressiv sein, um das zu kanalisieren, was sich in mir zusammenbraut. Das stelle ich mir überaus entlastend vor.
Stattdessen overdressed und dunkel bebrillt auf einer Bank in der Sonne gesessen, Coolness ausgestrahlt  und gewartet.

(Der Tierneurologe sieht aus wie der junge Cat Stevens. Sääähr attraktiv).

Neben uns eine schluchzende Endzwanzigerin mit blutbesudeltem Shirt, ernstgesichtigem Umarmfreund und einer künftigen Schwiegermutter, die Proviant für 3 Tage im Körbchen mitbringt, damit wenigstens für das leibliche Wohl gesorgt ist. Keinen Bissen brachte die Verzweifelte herunter, stattdessen wischte sie auf ihrem Smartphone herum, schaute sich Fotos an und brach immer wieder in haltloses Weinen aus.
Ich hätte glatt mitheulen wollen.

Irgendwie schaffte ich es aber doch den ganzen Tag ohne Tränen zu verbringen, selbst dann noch, als die Ärztin auf einen Hypophysentumor tippte und ich mich den Satz sagen hörte: Müssen wir sie dann einschläfern?

Erstmal nicht, nein. Tabletten oder Chemotherapie wären die erste Variante, operieren würde man nicht, und solange der (mutmaßliche) Tumor nicht aufs Gehirn drückt und zu epileptischen Anfällen führt, muss man nicht euthanasieren.
Bislang sinds ja nur Verwirrtheitszustände und außerdem nur ein Verdacht.

Ich hoffe immer noch, dass es nur die Schilddrüse ist, und, dass die Haare wieder nachwachsen.
Ihre, nicht meine.

Vielleicht weiß ich heute Abend mehr.

 

 

 

 

GIF: Source GIFake.net/ via giphy

30 Kommentare zu “auf verderb und verdei

  1. Gekonnt geschrieben, gekonnt gelebt, so gut`s geht. Besonders den schönen Herrn Tierneurologen würde ich mir gern anschauen. Ich hatte mal ein Vorgespräch mit einem Anästhesisten, der sah so ähnlich aus, er hieß Herr Hund, welcher Name dem Neurologen auch gut stünde, glaub ich.

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    • Ein attraktiver Anästhesist ist doch reine Verschwendung. Lieber eine Disziplin, in dem man schön viele und lange Tests machen muss.
      Herr Hund wäre sicher ein passender Name für den Neurologen, würde aber in mir den Verdacht erwecken, dass weniger die Begabung, als vielmehr die frühkindliche Bahnung das Motiv für die Berufswahl war.
      Ach, ich will einfach, dass alles gut wird. Meinetwegen kann der Arzt dann auch Herr Wurst-Wampe heißen und aussehen wie Donald Trump.

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  2. Da hätte ich Dich gerne angesprochen so als Jean Seebach -. Eine Anästhesisten im Programm kann jeder zum geräuschlosen abtreten brauchen. Der hat bestimmt Doc Dragula geheissen.

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  3. wir hätten da noch eine Handauflegerin am Ort….
    oder wir bitten das Universum gnädigst, Tumore zu verbieten.
    Bis Antwort von oben….. schließen wir uns dem kollektiven Hoffen an (und Chapeau….vor der neuen Haartracht).

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  4. Das Bild drückt die coole Haltung aus – sehr gelungen – alles andere stimmt mich traurig und da möchte ich einfach mit dir hoffen, dass es doch „nur“ die Schilddrüse ist. Hört sich ein bisschen nach Roulettespielen an, hat er, hat er nicht?
    Weisst du nun schon mehr?

    herzliche Grüsse
    Ulli

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  5. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Manchmal die Coolness fahren lassen, einfach auf der Couch zusammenrollen und losheulen – was spricht dagegen? Auch das kann heilsam sein, wenn auch nur in Quentchen…

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      • Tja, hmm… einer der Hauptglaubenssätz dieser Gesellschaft ist, scheints, Gefühle zu verbergen. Betrachtet man das aber ganzheitlich energetisch, verfremdet oder unterbindet man den natürlichen Energiefluss von Körper und Seele…

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        • Ich glaube wir missverstehen uns hier und ich denke nicht, dass meine privaten Coping-Strategien die gesamtgesellschaftliche Verfasstheit zum Ausdruck bringen, denn um verbergen geht es mir nicht. Ich muss mich nicht in fremder Umgebung hemmungslos den Tränen hingeben. Das schwächt mich mehr, als dass es mir helfen könnte.
          Raum für Trauer und Gefühl ist wichtig, aber eben nicht immer und überall.
          Nichts im Übermaß.

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          • Nein, so wollte ich das auch nicht missverstanden wissen. Ich sehe das genauso wie Du, deswegen schrieb ich eingangs von der Couch zuhause (oder einer nahestenden Person). Fremde geht das freilich nichts an…

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  6. ach verdammt … es tut mir so leid … tierdrama ist immer hässlich (hier: duktales adenom, immerhin „nur“ frühes stadium) und tut weh. die pelzkinder *seufz* – man leidet nicht weniger als bei zweibeinigen kindern. (also ich.)
    glückwunsch und respekt zum pixie und zum schönen kopfgefühl. irgendwo muss ja auch was erfreuliches herkommen.

    ich drück die daumen für ein gutes outcome.

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