Der blaue Engel, oder Farbenblind

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Beim Onlineshop des großen Automobilclubs habe ich mir Reisezubehör bestellt.
Für´s Zelt eine Leselampe mit integriertem Ventilator (leider Umweltschweinerei weil Batteriebetrieb), für´s Haus gelbe Flip-Flops mit schwarzer Aufschrift (erinnert an die Delial-Werbung aus alter Zeit und passt zufällig ganz prima zu meinem bananengelben Küchenboden) und für den guten Schlaf eine absolute Innovation, eine Weltneuheit, eine Sensation: ein Flatback-Reisenackenkissen gefüllt mit Styropol-Kügelchen, statt wie üblicherweise mit Luft.

Denn, man kennt das:
auf Autofahrten oder Zugfahrten (fliegen tue ich seit meines Beinahe-Absturzes auf dem Rückweg von La Habana nicht mehr) sitzt man und denkt und guckt und atmet sich in die vorbeiziehende Landschaft hinein, lässt sich ein wenig schaukeln, lauscht dem Rattern der Schiene oder der Stoßdämpfer, dong dong dong, die Lider werden schwer und immer schwerer, und unversehens schnorchelt man sich nach und nach in den Schlaf, aus dem man jedoch schnell wieder wegen plötzlicher Nackenschmerzen hochschreckt, sich umschaut, Haltung annimmt und die Mundwinkel unauffällig auf etwaige Speichelreste überprüft. Der haltlos zur Seite gesackte Kopf hat die Halswirbelsäule in eine unnatürliche Position gebracht. Das tut weh, das soll nicht und trotzdem passiert es gleich nochmal und wieder und wieder und zerknittert, mit steifem Nacken und sprichwörtlich gerädert, erreicht man das Reiseziel.

Um genau das zu vermeiden und die Zeit dennoch für einen erholsamen Schlaf zu nutzen, nehmen viele Leute Nackenkissen mit auf Reisen, deren Sinn sich mir allerdings noch nicht erschlossen hat. Zwar fällt der Kopf durch die seitliche Kissenwurst nicht mehr nach links oder rechts, dafür wird er aber unnatürlich nach vorne gedrückt, was zu einer anderen Nackensteife führt, die auch nicht viel schöner ist.

Deswegen jetzt: Innovation Flatback. Hinten flach und seitlich Wurst.
Ein solches Kissen also habe ich mir bestellt, und zwar für den Dauereinsatz Zuhause, denn ich schlafe zwar schon immer ohne, hatte aber in letzter Zeit häufiger das Bedürfnis meinen Kopf seitlich anzulehnen (put your head on my shoulder).

Nachdem ich durch gezielte Internetrecherche herausfand, dass eine findige Forschergruppe tatsächlich ein Kissen erfunden hat, das genau dieses Bedürfnis der Nackenfreiheit bei gleichzeitiger seitlicher Anschmiegung erfüllt, und dass nur der Onlineshop der gelben Engel ein solches in einer nichtaufblasbaren Variante führt (Katzenkrallen, Sie verstehen) bestellte ich es mir dort in der einzig verfügbaren Farbe: in braun. Na gut.

Gestern, nach ca. einer Woche des ungeduldigen Wartens, kommt endlich der DHL-Mann und bringt gleich mehrere Pakete.

Eines kommt aus Großbritannien und enthält einen kühlenden Hundemantel, mit dem ich hoffe Töle Erleichterung in der Sommerhitze zu verschaffen, ein zweites liefert Frauenzubehör und das dritte, das größte, ist blitzeblau, kommt von Pelikan und enthält laut Abbildung eine Druckerkartusche.
Hä?

Ich habe doch gar keinen Tintendrucker, denke ich mir, und mein Laserteil ist noch voll, und bestellt habe ich sicher nichts von Pelikan, das wüsste ich. Außerdem ist der Karton ziemlich abgeschabt, dann kann es sich eigentlich nicht um Neuware, sondern nur noch um ein Geschenk von irgendwem handeln.
Neugierig geworden schaue ich nach und finde einen Aufkleber, der den Absender des ominösen Paketes verrät. Es ist tatsächlich der ADAC, der seine Ware in einem alten Pappkarton versendet.

Wie ist das möglich? Ist der Allgemeine Deutsche Automobilclub nach seiner betrügerischen Pannenstatistiksauerei tatsächlich so am Ende, dass sie alte Kartons benutzen müssen, die zufällig sowieso noch in dem abgeranzten dunklen Hinterhofbüro herumliegen, um der spärlichen Kundschaft ihre Ware zu schicken, oder setzt man bei den Gelben auf komplementär und schickt deswegen einen blauen Karton. Sind gar heimliche FDP Sympatisanten hier am Werk, oder hat der ADAC inzwischen sein Herz für die Umwelt entdeckt und möchte mit der Wiederverwendung alter Umverpackungen einen Ausgleich schaffen zur freien Fahrt für freie Bürger? Oder war jemand am End so strackendicht, dass er gelb und blau verwechselte, weil ihm selbst so war?

Man weiß es nicht.

Verwundert lege ich mein neues Kissen ins Bett, schnappe mir den Hund, setze mich ins Auto und chauffiere sie in den Tiergarten, wo wir eine kleine Runde drehen. Unterwegs sehe ich gleich drei Mal die gelben Engel bei der Arbeit. Hier Starthilfe, dort Abschleppen, und jedes Mal denke ich: Pelikan.

Was genau wir daraus lernen können, weiß ich nicht und ich befürchte das war eine stinklangweilige Geschichte, die dennoch aufgeschrieben werden wollte.

Das Kissen jedenfalls bietet guten Seitenhalt bei absoluter Nackenfreiheit und ist ganz wunderbar, auch wenn der gelbe Pelikan es mir in schwarz statt in braun geschickt hat, was mich letztlich zu der Überzeugung bringt, dass man beim ADAC vielleicht nicht nur arm, sondern auch farbenblind ist.

 

 

 

 

 

 

Bild: Tobias Sieben, Lunch Time
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

21 Kommentare zu “Der blaue Engel, oder Farbenblind

  1. Nicht stinklangweilig sondern vielleicht endlich das Ende einer Suche nach dem perfekten Nackenkissen. Danke! ;)
    Das mit dem Karton hat doch bestimmt ein Praktikant versaut bzw. gerade richtig gemacht. Er las einen Artikel über Nachhaltigkeit und fing gleich mal damit an.

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  2. Um deine Texte (die langweiligen, wie du sie nennst) zu umschreiben, gibt es im englischen ein komplettes Genre-tag (lies: schonre tägg): slice of life.
    Mag ich sehr, dieses unbeschwert dokumentierende.

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    • Guck an, das wusste ich gar nicht.
      Als mein Großvater noch lebte, sollte ich ihm immer Briefe schreiben. Ich wusste aber nicht, was ich ihm erzählen könnte. Da gab mein Vater mir den Rat einfach draufloszuschreiben und von allem zu berichten, was mir einfiel. Das machte ich dann auch und schrieb ihm bis zu seinem Lebensende ein Mal die Woche einen langen Brief mit kleinen Scheibchen meines Lebens.

      Danke!

      Gefällt 2 Personen

  3. Pingback: Der blaue Engel, oder Farbenblind — kreuzberg süd-ost | Ganzheitlich Schlafen

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