Bittere Asche

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Wir wollen nicht spalten – wir wollen versöhnen, vertöchtern, veronkeln, vertanten, verneffen und vernichten

(Peter Glaser)

 

 

Das Wort Versöhnung bekommt einen ganz neuen Klang, wenn ausschließlich der Sohn (also mein Bruder) der Seebestattung der Mutter beiwohnen darf, weil der Mutterbruder, auch Onkel genannt, mutmaßt, die beiden hätten sich (nach über 20 Jahren)  wahrscheinlich doch noch irgendwann versöhnt, wenn nur der Mutter nicht die blöde Demenz dazwischen gegrätscht wäre.

Die Vorsilbe „ver“ deutet zwar oftmals auf etwas negatives hin – verloren, verirrt, verwirrt– in diesem Falle soll es aber wohl was Gutes sein, die onkelseits gestattete Versöhnung des Sohnes mit der toten Mutter.

Vertöchtern gibt’s leider nicht, das sehen der Duden und das Leben (und der Onkel) nicht vor, und deswegen müssen die beiden Töchter sich dem letzten Willen der Mutter beugen und an Land bleiben, während deren Asche verstreut wird.
Ihre völlige Auslöschung wollte sie, nichts sollte mehr von ihr übrig bleiben, um uns Kindern keinen Ort der Trauer zu geben. Das war ihr letzter Wille.

Ich glaube ich werde nie wieder im Meer schwimmen können, ohne Angst zu haben mich an ihr zu verschlucken.

 

 

 

 

 

 

Bild: Uwe, Die Rückkehr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

35 Kommentare zu “Bittere Asche

  1. Ach wie schrecklich!
    Auch noch ein perfider Onkel. Hört das denn nie auf, dass die eine Hälfte der Verwandtschaft die andere tyrannisiert?
    Vielleicht ist es ja gut, dass Du nicht mitkommen durftest. So hat der Kopf keine Bilder.
    Trotzdem….umarme ich Dich ganz feste.

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  2. Ach, was soll man dazu sagen, wenn Menschen andere Menschern so behandeln und noch meinen gerecht zu sein.
    Besser man lächelt, zB über „veronkeln, vertanten, verneffen und vernichten“

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    • Vernichten werde ich zukünftig auch mit anderen Ohren hören. Mit lächelnden, wenn es das gibt.

      Mir fehlen auch ein wenig die Worte zu diesem Vermächtnis und zu dem richtenden Onkel.
      Is wahrscheinlich nur ein schlechter Traum.

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  3. Versuche dich an das zu wenden was noch bin euch gehen muss, ihren Geist. Vom Körper als Hülle darfst du ja nicht Abschied nehmen, doch von der Präsenz kannst du dich verabschieden. Vielleicht eine schwesterliche Trauerfeier in der ihr Wasser auf Asche kippt. Quasi Befreiung durch die Umkehrung. Ihr beide für euch, mit eventuell noch anderen ausgesonderten.
    Ich schicke Mitgefühl.

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    • Nette Idee mit der Asche.
      Ich treffe mich nächste Woche mit ein paar Freunden auf einem verlassenen Friedhof. Dort wollen wir feiern und ich werde ihr noch ein paar Dinge sagen. Zum Beispiel, dass man sich nicht auslöschen kann und dass man mit einem solchen Akt derat viel Kummer und Bitterkeit in die Welt bringt, die einen auf eine sehr schlimme Weise unvergesslich macht.

      Danke für Deine Anteilnahme.

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    • Das Ganze hat eine lange Vorgeschichte. Ich konnte mich im Laufe meines Lebens an diesen Umgang einer psychsich kranken Frau mit ihren Kindern gewöhnen.
      Eigentlich frage ich mich selbst, wieso ich erwartet habe, dass der letzte Akt versöhnlich enden würde.
      Das Absurde ist, dass niemand weiss, was sie uns nicht verzeihen konnte. Es gab kein Zerwürfnis und keine Anklage.
      Manchmal glaube ich, dass unsere schiere Existenz ihr eine Kränkung war.

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      • Ich glaube im Tod oder einem Sterbeprozess wünscht man sich Vergebung, weil es danach nichts mehr gibt. Keine zweite Chance. Psychich Kranke sind labil, sehen durch erhöhte Verletzbarkeit, Kränkungen oder Verletzungen wo es vielleicht keine gab. Viele isolieren sich und es hat den Anschein das andere ihnen völlig egal sind. Das ist aber in den wenigsten Fällen tatsächlich so. Doch die Mauer scheint bis in die nächste Galaxy zu reichen… Sehr schwer für alle Beteiligten.

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  4. Mein Güte, der Onkel scheint ein Entscheider zu sein.
    Entscheidungen müssen getroffen werden.
    Oder wie ich immer zu sagen pflege: Hmpff!

    Gruß an die einsamen Entscheider und ihre Claqueure.

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  5. das ist eine schwere situation, ketten, verkettungen von verletzungen aus bitterkeit, bedürftigkeit. verknotungen. verbannungen. friedlosigkeit. dynamiken, die über den tod hinaus weiter wirken möchten. — liebe tikerscherk, ich wünsch dir lösung(en).

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  6. Versöhnen leitet sich nicht von Sohn ab, insofern ist das Wortspiel hier etwas nebelkerzenwerfend. Es könnte natürlich sein, dass die „Sprachwissenschaftler“, denen wir die Rechtschreibreform zu verdanken haben, auch die Etymologie von Versöhnung umschreiben wollen.

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    • Ah! Versöhnen leitet sich also von Sühne ab. Danke für den Hinweis, der aber leider meine ganze Sprachspielerei witzlos macht. Deswegen muss ich ihn leider erstmal ignorieren. ;)
      Auf Dich ist in etymologischen Fragen echt Verlass. Wie kommt das? Steckenpferd?

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      • Sprachinteressiert, das reicht. Ich schüttle das etymologische Wissen nicht aus dem Ärmel, bei deinem Wortspiel kam mir nur der Gedanke, dass versöhnen nichts mit Sohn zu tun haben könne, und mir weiters auf einmal eine Verwandtschaft mit dem niederländischen Wort zoen (mit stimmhaftem s am Anfang, oe wird u gesprochen, ein anderes Wort für Kuss) möglich schien. Ein bisschen Nachforschen bestätigte mich dann in beiden Annahmen. Das Wort zoen stammt tatsächlich von zoenen (ursprünglich sühnen, Sühne leisten), die Bedeutung Kuss ist erst später entstanden (Versöhnungskuss). Sprache lädt gelegentlich auf Abenteuerreise ein.

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  7. Hm, hmm. *Kopf-hin-und-her-wieg* Es ist schon ein bitteres Bild, was sich bei mir bildet. Die Mutter, aufgelöst und nicht mehr greifbar und doch gleichzeitig überall. Fremdbestimmte Ohnmacht. Mir schaudert’s. Ich wünsch Dir viel Kraft und Zuversicht.

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