Reden heißt töten

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–  Wie war dein Tag
, frage ich den Einen, als er schwer beladen Nachhause kommt, warst du erfolgreich?
–  Geht so
.
–  Hast du schon was in dein neues Heft geschrieben?
–  Ja, das habe ich
, sagt er und lächelt. Meine wiederkehrende Frage amüsiert ihn, deshalb stelle ich sie.
–  Dann war der Tag doch nicht vergeblich. Ich nehme seine Hand.
–  Naja, 220 Seiten und zwei Exzerpte, das is schon büschen wenich
.
–  Zeig mal!

Die Benennung ist das einzige Ding, bei dem wir uns sicher sind, dass sie ein Loch macht.

steht da.
Sagt Lacan.
Der ist gerade dran.
Schon seit einer Weile.
Nietzsche, Wittgenstein, Foucault, Rancière usw. immer im Hintergrund.
Ganz weit hinten natürlich auch Kant. Immer noch. Sowieso immer.
Jetzt Lacan (der schräge Vogel).

Wieso macht die Benennung Löcher? will ich wissen und muss lachen, weil ich idiotischerweise die Polonäse Blankenese im Kopf habe und mir vorkomme wie Gottlieb Wendehals in weiblich.
–  Weil es das Ding an sich nicht gibt. Erst durch die Benennung löst man es aus dem Gesamten heraus und so entsteht ein Loch.
–  Das Ding gibt es gar nicht?
–  Nein, natürlich nicht. Es gibt keine Dinge.
–  Natürlich?
– Klar. Sie entstehen erst, dadurch, dass wir ihnen einen Namen geben.
– Und durch das Benennen von etwas, was es nicht gibt, entsteht ein Loch? Da sind wir uns sicher?
– Absolut, ja. Eine viel interessantere Frage wäre aber doch,
fährt der Eine fort, was mit einem Loch passiert, sobald es benannt ist.
– Naja, da entsteht ein Loch, schätze ich.
– Richtig. Durch die Benennung ermordet man das Ding. Etwas, das vorher nicht da war und erst dadurch hervortritt aber zugleich auch getötet wird, weil man ihm einen Namen gibt.

Das ist wie geboren werden und gleich beim ersten Schrei mit einem Kissen erstickt zu werden, denke ich. Man könnte vielleicht annehmen, dass der Benennende (der Namensgeber) ein Recht darauf habe seine Kreation, seine Schöpfung wieder zu zerstören, so, wie ein Künstler sein Werk vernichten darf (darf er das wirklich? Ist es sein Eigentum?). Aber Mord bleibt Mord, auch wenn der Erzeuger höchstpersönlich sein Geschöpf eliminiert. Es sei denn er heißt Gott. Der darf das. Dann nennt man es „zu sich holen“. Mit Gott ist man nachsichtig, damit er einem nichts tut.
Wenn es stimmt, was Lacan sagt, dann wüten wir umso schlimmer in der Welt, je mehr wir reden und einzelnen Dingen in dem Gefüge einen Namen geben. Auf diese Weise reißen wir sie heraus aus dem unversehrten Unbenannten und hinterlassen überall Löcher.

Erschaffen und zerstören

Eine wunderbare Welt wäre das, in der alle schwiegen, auch in Gesten und auf dem Papier, denke ich, als ich später im Bett den regelmäßigen Atemzügen des Einen lausche, und merkwürdigerweise habe ich das Bild der kleinen Schweinswale, der Vaquitas, vor Augen, einer aussterbenden Gattung, die aussieht als trüge sie Mascara. Weniger als hundert sind noch übrig von ihnen. Der Rest starb als Beifang in den Stellnetzen der Fischer, die im Golf von Mexiko auf der Jagd nach einem ganz anderen Fisch, dem Totoaba, sind, weil dessen Schwimmblase in China als Suppenzutat beliebt ist.

Wenn gar nicht erst das Wort Totoaba in die Welt gekommen wäre, überlege ich, und folglich niemand eine Bestellung für seine Schwimmblase hätte aufgeben können, dann hätten die Fischer  keine Netze installiert, um diesen Fisch zu fangen, dessen Fleisch nicht zum Verzehr geeignet und darum wertlos ist. Und dann wären auch die Wale nicht gestorben und ihr Bestand nicht in Gefahr.

Das Wort tötet, denke ich, als ich schon am Einschlafen bin, und eine Zeile aus einem Gedicht Stefan Georges  kommt mir in den Sinn:

Kein Ding sei, wo das Wort gebricht.

Was keinen Namen hat, das gibt es nicht
,

ergänze ich im Halbschlaf und hoffe, dass ich mich morgen noch daran erinnern werde.

 

 

 

 

Bild: Screenshot LaLinea

25 Kommentare zu “Reden heißt töten

      • Du ermunterst mich zu „morden“ liebe Tikerscherk. ;)
        Ich glaube, der „starke Tobak“ ist intellektuelle Falschmünzerei, auf den ersten Blick wohlklingend, aber auf den zweiten Unsinn. Die Wörter unserer Sprache sind geistige Produkte, quasi Verallgemeinerungen, die eine Sprachgemeinschaft an Wahrnehmungen heftet. Wenn wir von einer physikalischen Realität ausgehen,die wir durch Sprache zu verstehen versuchen, dann könnte ein Wort auf die physikalische Realität, die Dingwelt, nur einwirken (also ein Loch reißen oder Dinge morden), wenn das Wort selbst Teil der Dingwelt wäre. Diese Idee ist sprachmagisch, die vom Zauberwort.

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        • Ach, ich weiß nicht Jules. ich glaube so einfach sind die Gedanken Lacans nicht abzutun. Schon in der Bibel steht „Der Buchstabe tötet“ und das aus gutem Grund. Das Wort macht statisch, nimmt die fließende Dynamik und darunter erstirbt das Lebendige. Wir kennen das besonders gut von sinnentleerten, abgenutzten Worthülsen und Phrasen.
          Das Loch, welches die Benennung macht ist natürlich nicht gegenständlich zu betrachten, aber das Herausgreifen aus einem Ganzen, kann man schon als solches begreifen.
          Ehe ich mich aber hier um Kopf und Kragen rede obwohl ich völlig ahnungslos bin, lasse ich Deine Gedanken und die Lacans weiter auf mich wirken. Mal sehen, was dabei herauskommt.

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  1. Hm. Wenn ich ein Ding nicht benennen kann, es aber dennoch wahrnehme (die Form, die Farbe, den Geruch)… was ist dann? Wenn Dinge nicht existieren ohne Namen, sehe ich da einen Widerspruch in Lacans Theorie/Philosophie/wasauchimmer.

    Oder weicht diese dahingehend auf? Ist ‚einen Geruch benennen können‘ schon ‚einen Namen vergeben‘?

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    • Ich habe Lacans Theorie, bzw. die Bruchstücke, die ich davon mitbekomme, wenn der Eine sich Notizen macht, frei interpretiert, auf die tikerscherksche, ahnungslose Art.
      Etwas benennen können heisst ihm einen Namen geben, ja, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Geruch oder ein Kaninchen handelt. Dadurch löst man es aus dem Gesamten heraus.
      Wenn ich etwas sehe, was ich nicht kenne, was folglich (für mich) keinen Namen hat, dann ist es doch mindestens „etwas“. Auch das ist ein Name.
      Nach Lacan existiert nichts, was keinen Namen hat.

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          • Ich hänge mich an der Begrifflichkeit ‚Name‘ auf… Wenn ein Ding streng riecht, beschreibe ich es, benenne es aber nicht – nach meinem Verständnis der Begrifflichkeit ‚Name‘.

            Nach Lacans Verständnis schon.

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              • Nach meiner Vorstellung habe ich es umschrieben, nicht benannt. Ich könnte auch sagen: Ich habe einen Geruch benannt (‚Streng‘, wobei auch das nach meiner Auffassung kein wirklicher Name ist) und damit irgendein Ding (das gerucherzeugende) umschrieben.

                Ich dilettiere eventuell auch… ;)

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                • Es bleibt aber doch dabei, dass Du etwas benennst (von Benennung spricht Lacan ja auch). Damit greifst Du es aus dem Gesamten heraus. Du hast etwas wahrgenommen, es ist Dir aufgefallen und Du hebst es durch Dein Darüberreden hervor. Schon das Reden darüber ist benennen. soweit ich es verstehe.
                  (Zwei Dilettanten untethalten sich über Lacan. Er würde wahrscheinlich gnädig dazu schweigen, wenn er noch lebte)

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  2. Aber hat denn der Eine auch darüber nachgedacht, dass Löcher so mächtig sein können, dass, wenn sie in über einer Milliarde Lichtjahren von der Erde entfernt aufeinanderstoßen, diese noch immer mit Gravitationswellen überspülen? Oder tun sie dass, weil wir aus lauter himmelschreiender Unwissenheit ihnen jegliche Farbe absprechen?

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    • Das ist eine sehr gute Frage.
      Ich glaube die Löcher sind viel zu schlau und zu mächtig um sich in die himmlischen Karten schauen zu lassen. Und wir sind viel zu unwissend um derart gravierende Sachverhalte zu erfassen.
      Ob der Eine darüber nachgedacht hat kann ich leider nicht sagen. Er schweigt darüber, weil er so friedfertig ist.

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  3. Auf meinem Stapel ungelesener Bücher liegt seit geraumer Zeit eines mit dem Titel „Wer schweigt, wird schuldig“. Ich glaube, ich muss noch nachdenken, bevor ich das Buch lese – nämlich über die Frage, ob Dada nicht doch eine feine Erfindung war. Man muss sich nicht des Schweigens schuldig machen und benennt dennoch nichts – jedenfalls solange man niemandem verrät, was man gemeint hat.

    Und könnte man das jetzt Philosophie nennen?

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    • Ein sehr interessanter Gedanke. Dada als Brücke zwischen zwei scheinbar unversöhnlichen Verhaltens-Anforderungen.
      Reden und nichts sagen ist allerdings nicht nur Dada vorbehalten. Diese Kunst beherrschen erstaunlich viele Menschen, die selbst dann, wenn sie die Dinge beim Namen nennen immer nur `Ich´ rufen und dabei tiefe Löcher in die Welt reißen, in denen man sie gerne verschwinden sehen würde.

      Danke, dass Du nicht geschwiegen hast!

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  4. Da möchte ich mich dem Philosophieren doch gleich mal anschließen, allerdings nicht ohne zuvor von hier weiter unten aus in der Kommentarleiste dröhnend mit der Faust gegen meine Kommentarbox zu klopfen in Richtung von Jules, den ich zufällig hier wiedertreffe?! Was für ein Zufall! (Ich verspreche weitere Besuche in seinem Teestübchen!)

    Zum Thema: ich muss Jules, was Lacan betrifft, durchaus beipflichten: wenn Lacan Löcher in der Welt hätte vermeiden wollen, hätte er selbst nicht derart viel Verbaltrommlerei betreiben sollen, zumal er wie viele Strukturalisten zugleich auch noch Weltmeister im In-die-Welt-Zaubern von irrwitzigen Neologismen war. Wer im Schweigesaal sitzen mag, sollte also nicht mit Worten auf andere feuern, so to say. Oder salopp: wer keinen Badeschaum mag, sollte also konsequent nicht Schaum schlagen.

    Nun muss ich gestehen, dass ich so aus dem Stand das von Dir aufgeführte Zitat, liebe Tikerscherk, nicht kontextualisieren kann: was genau meint Lacan hier mit dem doch sehr allgemein klingenden Begriff “Benennen“? Jegliches Benennen? Oder ein Benennen, das auf das verborgene Wesen der “Dinge an sich“ anspielt? Aber bevor wir uns im Kantischen Kategorien und nominalistischen Debatten verlieren, die definitiv Löcher in die Welt setzen und Schaum erzeugen, möchte ich noch auf einer ganz anderen Grundlage Monsieur Lacan widersprechen:

    Er sagt ja selbst, dass das Unbewusste eine Matrix oder “Grammatik“ bildet, die sich mit Sprache vergleichen lässt. Also müsste doch eine Übersetzung einer solchen Grammatik erst richtiges Bewusstsein! schaffen. Oder ich fasse es einmal anders:

    Man darf in einer Kritik an der Benennung von Dingen nicht vergessen, wieviel Trost die Benennung bestimmter Phänomene auch schaffen kann. Wieviele Menschen verspüren allein schon dadurch Trost in ihrem Empfinden, dass ein Dritter Worte für eine Gefühlslage findet, die sie bislang nicht benennen konnten und die ihnen dadurch vielleicht nicht einmal bewusst wurden. Wenn ich die Dinge angemessen benenne (gleich landen wir wirklich noch bei Eichendorffs “Zauberwort“;), dann liegt darin nicht immer notwendig Poesie (übrigens: wie sollte es DIE eigentlich ohne Benennung und Sprachspiel geben?), aber zumindest etwas wie Trost und ein Gefühl der Verbundenheit. Wenn zB der andere benennen kann, wie ICH mich fühle, dann steckt darin etwas zutiefst Verehrungswürdiges und Rätselhaftes und genau das Gegenteil von einem Loch.

    Wie oft erzeugt gerade die UNfähigkeit, zB diffuse Gefühle benennen zu können oder seiner Traurigkeit einen Namen zu geben, erst ein Loch in einem Menschen?
    (Das soll nicht heißen, dass man nicht auch ohne Worte sehr tief verstehen kann.)

    Nun, man merkt es gleich: ich bin allzu parteiisch, ich liebe die Wörter: jetzt habe ich hier ein Textgebirge/-monstrum erschaffen oder wahlweise Löcher in die Welt gesprochen.

    Grandioser Blog, by the way…

    Herzliche Grüße…Paul Duroy

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    • Hallo Paul!
      Ich freue mich, dich hier wieder zu treffen und natürlich freue ich mich auch, dass du mir beipflichtest, nicht weil ich Recht behalten will, sondern weil du einige Gesichtspunkte ansprichst, die mir im Kopf rumgingen, aber nicht niedergeschrieben wurden. Die Badeschaum-Metapher ist hübsch – doch wie wäre Sprachkritik möglich, ohne Schaum zu schlagen? Dann bliebe letztlich nur der Wittgensteinsche Appell zu schweigen, worüber ja auch Tikerscherk spekuliert. Womit wir bei der Frage sind, ob wir über ein Zitat nachdenken oder über die Paraphrase. Denken wir über Lacans Metaphorik nach oder ist sie ein Opfer der Übersetzung? Da jede Sprachgemeinschaft für die Erscheinungen der pyhsikalischen Realität unterschiedliche Bezeichnungen hat, die ja auch nicht deckungsgleich sind, müsste die Dingwelt überall perforiert sein und eigentlich nur noch aus Löchern bestehen.
      Bis bald mal wieder!

      Liebe Tikerscherk,
      oben habe ich versucht, meinen Einwand so kurz wie möglich zu halten. Jetzt sind hier soviele Worte gemacht, dass es schon schwer ist, den Überblick zu halten. Da stößt nämlich der Diskurs in der Kommentarfunktion an seine Grenzen. Deshalb werde ich es jetzt dabei bewenden lassen. Denn mehr Worte machen die Sache vermutlich nicht klarer. Aber danke für den inspirierenden Eintrag!

      Lieben Gruß,
      Jules

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    • Mit mir lässt sich leider nur schwer über Philosophie reden. Ich weiß zuwenig davon. Folglich kann ich Dir leider nicht beantworten, was Lacan mit benennen meint und aus welchem Kontext genau das Zitat stammt (kann es gerne rausfinden, wenn es Dich sehr interessiert). Es gibt eine interessante Seite über Lacan, die ständig aktualisiert wird.

      Ich weiß nicht, ob diese Löcher, die daduch entstehen, dass wir den Dingen einen Namen geben als etwas Negatives zu werten sind. Ein Loch ist ein Loch ist ein Loch.

      Auch ich liebe die Sprache, die Worte und Wörter, und ich betrachte es als Teil meines Menschseins Spuren in der Welt zu hinterlassen.

      Danke für Dein Textgebirge und Dank auch für das Kompliment.

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