Mittenmang

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Manchmal ist Bloggen wie Klassenfahrt. Man verreist zusammen, sitzt abends in Grüppchen in den Stockbetten, hat Spaß und vielleicht sogar Freude, lacht, spielt irgendetwas und manche flirten ein wenig miteinander. Ohne Absichten, versteht sich. Ist ja nur Internet.

Es gibt, wie im richtigen Leben, die enigmatischen Einzelgänger und, als das andere Extrem, die geselligen Frohnaturen, die hier und da zu einem Plausch verweilen und zu jedem Thema etwas beizutragen haben. Es gibt jene, die bewundern und die, die bewundert werden wollen. Der eine trinkt, der andere raucht und eine backt Kuchen und reicht Schnittchen. Das sind die Mütterlichen, die braucht es in jeder Gruppe, so, wie es den Klassenclown geben muss. Außerdem sind da noch die Trolls, die Spaßverderber, die durch ihr regelwidriges Verhalten für einen noch größeren Zusammenhalt sorgen. Jeder füllt seine Nische, fühlt sch mehr oder weniger wohl darin, und irgendwann macht man die Kiste aus, die Reise ist vorbei und alle gehen nach Hause. Jeder für sich. Man verabschiedet sich, ein bisschen erfüllt und ein wenig leer vom vielen Reden und Lachen und den langen Nächten. Ausgelaugt und müde ist man. Man schläft erstmal, ernüchtert langsam und dann setzt man sich wieder an den Schreibtisch, geht an die Arbeit und braucht ganz dringend Rückzug und Zeit für sich.
So geht es mir.

Nach quirlig-heiterer Geselligkeit zieht es mich ins Private. Ich brauche dann Ruhe, muss vor allem schweigen, kann mich schlecht auf andere einlassen, ihnen zuhören, mich auf das konzentrieren, was sie sagen, bzw. schreiben. Ich muss meinen Gedanken nachhängen, mich auf die Woche vorbereiten und mich sammeln. Und sei es auch nur für das Schreiben des nachmittäglichen Einkaufszettels, für das fachgerechte Kraulen von Kater Ludwig, für die kleinen Dinge des Alltags. Für mich.

Um den Kopf freizubekommen gehe ich gerne hinaus in die nebligfeuchte Stadt, die mich aus grauen Fassaden mit hängenden Lidern anschaut, bewege mich durch einsame Straßen, blicke in die nackten Bäume, beobachte die Krähen, die die öffentlichen Papierkörbe plündern, über den matschigen Boden hüpfen und sich schimpfend um die besten Beutestücke balgen – räh räh – und trotte ganz langsam mit meinem Hund am Wasser entlang bis zur chinesischen Botschaft und dann die tosende Alexanderstraße rüber zum Alexanderplatz.
Wenn mir kalt ist, gehe ich kurz in den S-Bahnhof, trinke dort einen Kaffee, oder ich hole bei Saturn noch schnell ein paar Bürstenköpfe für die elektrische Zahnbürste und wärme mich dort auf.
Wenn mir sehr, sehr kalt ist steuere ich die Haartrockner-Abteilung an und föne mich solange warm, bis jemand kommt um mich zu beraten. Das Gespräch nehme ich noch mit, erfahre viel über Ionen und über die Schweinefirmen, die tun als wären sie deutsch, in Wahrheit aber längst us-amerikanisch sind, und verlasse heissgefönt und gut informiert den Elektroniktempel.

Mit hochgezogenen Schultern geht es wieder durch die müde Stadt zurück, die brave Hündin immer an meiner Seite, die ich auch deswegen so liebe, weil sie wenig redet.
Zuhause rubbele ich sie mit dem Handtuch ab, sie knurrt und fletscht und wedelt und entreisst mir schließlich das Tuch, weil sie viel stärker ist als ich und sehr gefährlich.

Als nach Beginn der selbstausgerufenen Blogparade plötzlich so viele Menschen auf mein kleines beschauliches Blog kamen und ich vor lauter Trubel beinahe schwitzige Hände bekommen hätte, weil einer dem nächsten die Klinke in die Hand gab und alle angeregt plaudernd und scherzend bei Sekt und Häppchen in meiner Küche standen, während ich, ganz unvorbereitet noch im Schlafanzug und mit zerzaustem Haar durch die Wohnung tappte, habe ich mal wieder gemerkt, was ich ohnehin schon wusste: ich bin kein Gruppenmensch. Ich kann das nicht. Jedenfalls nicht mittendrin.

Nicht, dass ich es nicht auch sehr genießen würde, aber mir fehlt tatsächlich die Energie und die Kompetenz dafür mich auf soviele Leute gleichzeitig einzulassen. Dabei bin ich durchaus gesellig, nur eben nicht in einer verantwortlichen Rolle. Eher so gesellig am Rande, mit einem Fuß in der Tür. Wenn keiner was von mir erwartet, wenn ich nicht soll oder muss, wenn ich kann wie ich will, dann bleibe ich gerne. Dann gebe ich gerne, dann bin ich liebend gerne dabei.

Selbst an meinem Geburtstag halte ich es nicht anders.
Ich feiere jedes Jahr und bin immer und ausnahmslos kurz ehe es losgeht krank vor Lampenfieber. Mir ist schwindlig, ich schreibe im Kopf bereits die ersten bedauernden sms, rufe im Geiste in dem Lokal an, in dem ich Tische reserviert habe und denke mir Lügen aus, abstruse Begründungen, warum ich leider, leider alles abblasen muss. (Bei mir zu feiern käme sowieso nicht in Frage!)
Totenblass und schwer angeschlagen quäle ich mich dann schließlich doch aus dem Haus, schwöre mir nie wieder so viele Leute einzuladen – dieser verfluchte Geburtstagskult – und höre mich schon, wie ich der versammelten Gesellschaft noch ein paar Begrüßungsworte entgegenkrächze, ehe ich bewusstlos zusammensacke, ins Krankenhaus gebracht werden muss und bei mir Morbus Tikerscherk diagnostiziert wird, eine bis dahin vollkommen unbekannte Krankheit, die nur sehr sehr wackere Menschen überhaupt so lange und klaglos aushalten bzw. überleben können.
Und endlich werden alle wissen, dass ich weder exzentrisch, noch verschroben oder eigenbrödlerisch bin, sondern einfach nur eine sehr sehr tapfere tikerscherk. Seufz.

Auf diesen Tag in ferner Zukunft freue ich mich schon fast ein bisschen. Denn mit der Diagnose ist auch die Heilung nicht mehr weit. Absolute Ruhe verordnet der Arzt, bloß nicht zuviele Kontakte auf einmal. Sofort aufhören zu reden, wenn Sie die Lust verlässt und immer eine Hintertüre offenlassen, ganz gleich worum es sich dreht.
Lange Spaziergänge mit dem Hund sind Pflicht. Hier und da ein Nickerchen am Nachmittag, gerne auch zu zweit, am wichtigsten aber: keine Verantwortung übernehmen in Gruppen, immer schön am Rande bleiben, dann wird alles gut.

In diesem Sinne möchte ich allen danken, die bisher bei meiner Blogparade  Hauptsache händisch mitgemacht haben.
Es hat mir viel Spaß und oft auch Freude gemacht. Entschuldigt, wenn ich eine mittelmäßige bis lausige Gastgeberin war, die Schnittchen nicht fertig, die Getränke nicht kalt waren und ich die ganze Zeit im Schlafanzug mit strubbeligen Haaren Maulaffen feilbot, statt mich endlich um die Gäste zu kümmern, jeden einzeln  zu begrüßen, mich nach dem werten Befinden zu erkundigen und immer wieder Getränke nachzulegen.
Ich hab mein Bestes gegeben, ehrlich, besser kann ich´s leider nicht. Seht es mir nach, bitte!
Ihr wisst´s  ja jetzt: Morbus tkerscherk.

 

 

 

Bild: Laura Loveday
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

26 Kommentare zu “Mittenmang

  1. Ich gehe mittags (allerdings ohne Hund) auch gerne am Fluss entlang, Ziel: Cappuccino trinken im Café mit dem besten Kaffee im Umkreis von fünf (vielleicht auch zehn) km, gelegentlich auch ein Stück Kuchen dazu. Heute schien die Sonne auf die Spree, keine grauen Fassaden mit hängenden Lidern (fand ich auch gut so, obwohl ich das Bild sehr schön finde).

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    • Haben wir es nicht gut in Berlin? Überall Wasser und Ufer. Den Cappuccino am Mittag haben wir gemein, wie den Spaziergang am Fluss. Auch heute scheint die Sonne über der Stadt, sie lächelt aus jedem blinkenden Fenster, und ich werde meine Hunderunde vorverlegen.
      (Schön Dich wieder zu lesen!)

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    • Geteiltes Leid. Mir scheint, wenn ich die Kommentare hier lese, dass ich gar nicht so eigen bin, wie ich immer dachte. Sehr schön. Freu mich schon auf die nächste Klassenfahrt und den Kater danach.

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  2. So schön geschrieben! So gut gebracht! Wehe, ich lese schon morgen wieder von Dir,
    NIcky, die stille Mitleserin
    P.S. Weil ich es bewundere, wie Du den Bauschaum zwischen engen Zeilen liest, herauspulst, in Sprache übersetzt, und die Zeilen dann fallen lässt!

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    • Das ist ein schönes Kompliment. Wobei ich mich frage, ob das nicht von einem sehr unsteten Charakter zeugt, wenn ich einfach immerzu alles so fallen lasse, nachdem ich es auseinander gerupft habe.
      Wie dem auch sei, schön dass Du mitliest und Dich hier so freundlich zu Wort gemeldet hast. Danke!

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  3. Ich kann gut nachvollziehen, was du hier in treffende Worte gefasst hast. Kollege Wortmischer weiß auch, wovon du schreibst, denn er hatte ja gerade erst ein lebendiges Mitmachprojekt zu handhaben. Bei nahezu jedem Mitmachprojekt tritt der Effekt auf, dass sich die Blogzugriffszahlen erhöhen, die Interaktion intensiviert, dass sich neue Leute einfinden. Der Kreis, in dem man sich als Bloggerin oder Blogger bewegt, entgrenzt sich und das soziale Netz dehnt sich auf unwägbarer Weise aus. Man hat das Gefühl, sich zu verdünnen wie ein Tropfen Essenz, der in einen gewaltigen See fällt. Dagegen hilft nur, sich wieder zu begrenzen, die Rückbesinnung, und du weißt, wie und wo sie zu finden ist, liebe tikerscherk.

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    • Ich freue mich, dass ich gar nicht so verschroben bin, wie ich befürchtete. Allein die Zugriffszahlen können einen schwindlig machen, da hast Du Recht..Ich fühlte mich wie ein kleines Kiosk am Tag als Lady Di starb, und alle reißen mir die Zeitungen aus den Ständern und sogar die Presse kommt und fotografiert mich, wie ich gerade in meien Stulle beiße usw. Irgendwie aufregend, irgendwie anstrengend, irgendwie schön.

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  4. Die befreiende Kraft der Namensfindung. Weiß man erst wie es heißt, geht’s gleich viel besser – kann ich so gut nachvollziehen! (leider nicht in so wundervolle Worte packen, die ich mir, wenn’s erlaubt ist, gleich mal ausgedruckt habe :)

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  5. Schönes Bild: Das Bloggen als Jugenherbergsausflug oder als Party. Macht mir die Sache gleich viel sympathischer, weil unverbindlicher. Mit der Verantwortung für Geselligkeit hab ich’s auch nicht so. Danke für deine Geschichte.

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  6. Es berührt und bewegt mich, wie du schreibst. Mir geht es ähnlich und was das Geburtstagsfeiern angeht: genau so. Ich muss nur zugeben, dass ich durchaus auch schon vorher alles wieder abgesagt habe. Und irgendwie habe ich Schwierigkeiten Geschenke passend zu kommentieren- ich wünschte mir, dass mir beim Auspacken der Geschenke auch verpackte Dankesworte entgegen kommen würden. Meiner zwar offenkundigen Freude steht leider oft die Verlegenheit im Weg. Naja…ich gehe mal zum Arzt, eventuell kann ich dann auch in die Schublade der Diagnose des Morbus tikerscherk einziehen, oder in eine leicht abgewandelte Unterkategorie Morbus tiker-Papier, oder so…

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    • Da bist Du konsequenter als ich. Ich hab mich letzten Endes nicht getraut meinen Geburtstag jemals abzusagen. Im letzten Sommer hatte ich mal eine Situation, da fuhr ich stundenlang mit dem Auto durch die Gegend, weil ich Lampenfieber vor einem Treffen hatte und am Schluß musste ich die Verabredung deswegen abblasen, weil ich es gar nicht mehr geschafft habe pünktlich zu kommen. Und ich muss zugeben, dass ich zwar ein schlechtes Gewissen hatte, aber auch irgendwie erleichtert war.
      Das mit den geschneken kenne ich und es geht mir ähnlich. Mach dir keien Sorgen, das ist Teil des Syndroms ;)
      (Danke)

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      • ach irgendwie ist das beruhigend zu lesen, dass ich jetzt einen Syndrom-Namen dafür habe ;-) Ob es eine abgesagte Verabredung ist, oder ein abgeblasener Geburtstag- wichtig ist doch einfach, dass es irgendwie weitergeht, finde ich. So zu schauen, wann was gerade gut passt und sich dann neuen Herausforderungen zu stellen…

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  7. ich hab das ja mit gelesen und fand sie eine hervorragende gastgeberin!
    perfekte parties sind nur dann perfekt, wenn die gastgeber auf perfektion verzichten und sich die ein oder andere verschrobenheit leisten.
    und nun ruhen sie sich fein im straßencafé aus, streicheln das liebe tölchen, schweigen stille vor sich hin und bewundern ihre tapferkeitsmedaille.
    seien sie lieb gegrüßt und bitte antworten sie auf keinen fall (das ist wichtig für die regeneration), von der gästin
    (ja immer diese zaungäste, die mal vorbeischauen, aber den mantel erst gar nicht ausziehen und behaupten,s ie hätten ganz vergessen, dass sie gerade keine zeit haben undsoweiter und dann gleich wieder flüchten, oder diese gäste, die kurz vor her noch ihr kommen zusagen und dann doch nicht auftauchen – naja aber ehrlich: immer noch besser als die ungeladenen gäste…. grinz),
    die nicht kam.

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    • So ein Gast wie Sie bin ich am Liebsten. Einfach mal den Kopf reinstrecken, hallo rufen, sich auf die Stuhlkante hocken oder nur eben ein Küsschen in die Runde werfen, ganz nach Gusto und Zeit, und dann wieder ab in flüchtiger aber herzlicher Zugewandtheit.

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  8. Da bin ich auch nochmal ganz kurz hier um gute Besserung zu wünschen. Als Gast reicht mir ja immer ne stille Ecke, ne Flasche Sprudelblubber und das Beobachten der anderen Gäste…und schon bin ich wieder weg, bis zum nächsten Mal <3

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  9. Sehr schöner Beitrag – ich glaube, ich habe ihn auch, diesen morbus tikerscherk (und noch ein paar andere ;-) Oder bin ich vielleicht doch eher die Einzelgängerin? Ich weiss es nicht. Aber ich lese mit mehr und mehr Vergnügen hier mit – und das Stöckchen wird apportiert, versprochen!

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