ins Jenseits liken

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Kürzlich `likte´ ich den Kommentar einer inzwischen Verstorbenen und haderte anschließend mit mir, ob das richtig war.

Meine Blogstatistik zeigte an diesem Tag, dass ein alter Text von mir mehrfach aufgerufen worden war. Da ich nach fast 700 Beiträgen den Überblick verloren habe, was ich, wann genau, unter welchem Titel veröffentlicht habe, überflog ich rasch den Text, sowie die dazugehörigen Kommentare. Der letzte Kommentar stammte von einer verstorbenen Bloggerin, doch hatte ich ihn aus unerfindlichen Gründen als einzigen nicht beantwortet. Mein eben entdecktes Versäumnis dauerte mich. Es tat mir sehr Leid, dass ich ihr, trotz ihrer freundlichen Worte, kein Echo gegeben hatte. Nach einigem Zögern klickte ich deshalb das `gefällt mir´-Sternchen an. Das erschien mir besser als gar nichts und weniger absurd, als ihr, im Wissen, dass sie nicht mehr lebte, noch zu antworten.
(Damals, als der Kommentar veröffentlicht wurde, gab es diese Funktion bei wordpress noch nicht, sonst hätte ich vielleicht…)

Nachdem das Sternchen gesetzt war, fühlte ich mich noch miserabler. Es kam mir plötzlich idiotisch und vor allem unredlich vor, klammheimlich und von aller Welt unbemerkt, diese elegante Methode gewählt zu haben, mein schlechten Gewissens zu beruhigen. Die Verstorbene wird das `Like´ nicht mehr bemerken und sie kann sich nicht einmal mit einer ironischen oder scherzhaften Bemerkung dagegen wehren, dass ich im Nachhinein versucht habe mich besser zu machen, als ich war. Das Ganze nutzte also nicht ihr, sondern allein mir. Eine posthume Wiedergutmachung für versäumte Aufmerksamkeit, oder Achtsamkeit, wie man heute gerne sagt, kann es nicht geben und ich bezweifle auch, dass so etwas zu Lebzeiten eines Menschen möglich ist. Zudem stellte sich mir die Frage, ob da überhaupt etwas gut zu machen war. Wir waren schließlich keine Freunde und auch keine `best buddies´ gewesen, und ich hatte sicher nicht mit Vorsatz ihren Kommentar unbeantwortet gelassen. Was sollte also das Gelike?
Ich saß eine Weile da, überlegte hin und her und starrte das Sternchen unter dem Kommentar an. Sollte ich es jetzt einfach wieder wegmachen? Durfte ich das? Würde ich nicht spätestens in diesem Augenblick der Toten Unrecht tun, indem ich ihr etwas wegnahm?

Um es kurz zu machen: ich habe noch einmal die Seite der verstorbenen Bloggerin besucht, die bis heute in meiner Liste der abonnierten Blogs steht, ich habe mir ihr Gesicht angeschaut, ihren letzten Eintrag, habe die Abschiedsworte ihrer FreundInnen und LeserInnen gelesen und hatte das tiefe Gefühl, dass es richtig war ihr mit einem kleinen Sternchen einen Gruß zu schicken.

Ich habe nicht `geliked´, ich habe einen Stein auf ihr Grab gelegt.

 

 

 

 

 

Bild: Tony Takitani, Flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

15 Kommentare zu “ins Jenseits liken

  1. Manche Brücken sind schwer zu schlagen, so vermutlich auch diese hier:

    Ein jedes Ding hat drei Seiten:
    eine, die Du siehst,
    eine, die ich sehe und
    eine, die wir beide nicht sehen.

    Einmal dachte ich: es ehrt Dich, dass Du jedem antwortest.
    Ein anderes Mal dachte ich: manchmal muss man Dinge auch einfach stehen lassen können.

    Du bist ein Mensch, der nicht oberflächlich ist. Das ist es, was Dich ausmacht. Das ist es vielleicht, was Deine Gabe ausmacht – Dinge zu beschreiben, die wir vielleicht sehen, aber nicht wahrnehmen.

    Deine Texte geben das zurück, was im Sehen und dem Erinnern zusammenschrumpft auf einen banalen Satz. Aber dann ist es wie bei einem kleinen trockenen Schwamm, den das Wasser berührt und der zu etwas Großem wird und seine wahre Form entfaltet. Und plötzlich öffnet sich die Erinnerung, lässt Geräusche hören, Bewegungen sehen. Und manchmal berührt es auch das Herz, und bringt Gefühle zurück.

    Dafür sei Dir in diesem Jahr gedankt. Ich freue mich aufs nächste.

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  2. Uff, was für ein Problem. Ins Jenseits zu liken scheint mit nicht absurder als einen Nachruf zu schreiben. „Nachruf“ ruft man dem Verstorbenen was hinterher? Oder macht man es nicht sowieso für die Nachwelt? Ich habe im Teppichhaus auch eine verstorbene Bloggerin in der Blogroll. Ein Blogfreund veröffentlicht manchmal alte Beiträge unter neuem Datum. Da findet sich dann auch manchmal ein Kommentar der Toten. Mehrfach habe ich mich ertappt, ihren Tod einfach ignorieren zu wollen und ihren Kommentar als aktuelle Lebensäußerung zu nehmen. Menschen in den Medien sterben nie richtig. Zumindest deren mediale Existenz kann jederzeit auferstehen. Folglich könntest du auch den offenen Kommentar beantworten.

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  3. Bis zum letzten Absatz fragte ich mich, woher du wusstest, dass sie verstorben ist.

    Der Stern kann ruhig auch ein ‚Like‘ sein – die Tatsache, dass die kommentierende Person nicht mehr lebt, ändert doch nichts am Gehalt der Aussage!? Insofern… wobei der Stein auf dem Grab eine schöne Analogie ist.

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  4. Aber es ist doch alles, die Reden, die Blumen und Kerzen, die Schäufelchen Erde, nicht für die Toten, sondern immer nur für die Lebenden; und das erscheint mir sehr richtig so, denn die Lebenden können sich getröstet fühlen.

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  5. einen stein auf’s grab legen: das ist gut. ein zeichen der ehrerbietung oder würdigung, man muss den menschen, der da begraben liegt, nicht gekannt haben, um das zu tun … ich hab das interessiert gelesen, weil es mich von zeit zu zeit beschäftigt, wie man mit so virtuellen gräbern denn umgehen soll. es ist (noch) ungewohnt, seltsam, ein neues phänomen: der tod im netz …

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    • Als Würdigung habe ich das Sternchen auch verstanden. Darüber hinaus als ein Du bist nicht vergessen.
      Es geht mir schon ìm richtigen Leben´so, dass ich gerne mit den Toten in Kontakt treten und wenigstens noch ein Mal ihren Namen sagen möchte.
      Im Netz erschien es mir vielleicht auch deswegen noch merkwürdiger, weil wir uns ja nur körperlos kannten. Dieses unphysische macht anscheinend einen Unterschied und so lege ich keinen echten Stein auf ihr virtuelles Grab, wie auch, sondern eben auch einen unphysischen.

      Das Thema war mir bisher noch nicht unter gekommen.
      Wäre es nicht auch schön dann und wann ein paar Blumen auf ein virtuelles Grab zu legen?

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