Kadaver

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Al fin de la batalla,
y muerto el combatiente, vino hacia él un hombre
y le dijo: «¡No mueras, te amo tanto!»
Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo.

Masa, César Vallejo

 

Der Bauschaum in meinem Gehirn härtet langsam aus, kalt wird’s im Oberstübchen, doch ich verbiete dem Hypochonder in mir „Gift + Bauschaum + Geruchshalluzinationen“ zu googlen.
Solche nämlich verfolgen mich in Form von Verwesungswahn, seit ich mit der S-Bahn in Richtung Westkreuz unterwegs war und sich dort schlagartig ein widerwärtiger Pestilenzgestank breit machte, der selbst die Gruppe der rülpsenden Saufprolls  aufschreckte und in den benachbarten Teil des Wagens trieb, wo sie laut röhrend über den unerträglichen Gestank abkotzten.
(Alta, isch kotz ab!)

Ich selbst, geschützt durch partielle Geruchstaubheit, nehme zunächst nur die Bewegung, den kleinen Tumult, den Aufruhr im Wagen wahr, registriere wie es leer und leerer wird um mich herum, sehe mit einem Auge, dass einige Fahrgäste auf Zehenspitzen ihre Nase den gekippten Fenstern entgegenrecken, und wundere mich, ohne weiter darüber nachzudenken, dass der Eine oder Andere sein Halstuch über Mund und Nase schiebt, das Kinn auf die Brust legt und den Blick ganz tief nach innen richtet.

Und wie ich mich so leise wundere, erwischt auch mich, völlig aus dem Nichts heraus, die Welle, brandet in meine Wahrnehmung hinein, drückt sich in die Nase, in die sich zusammen ziehenden Schleimhäute, nach oben ins Gehirn, löst dort einen tiefen, sehr heftigen Ekel und Würgreiz aus, den ich nur mit höchster Konzentration niederzukämpfen vermag, so sehr hebt es mich, meinen Magen, rührt in den Eingeweiden herum, zieht mir die Mundwinkel nach unten und raubt mir den Atem. Die Zunge ist kurz davor aus meinem Rachen zu springen, wie Kai aus der Kiste, das Entsetzen hinauszuspeien, das Schütteln, das Grauen, dass sich pastös noch oben schiebt und mein Denken lähmt.

Die Quelle des unerträglichen Gestanks ist schnell ausgemacht:
ein Mann Mitte Dreißig, der beim letzten Halt zugestiegen sein muss, einer, wie man sie häufig in der S-Bahn antrifft, mit ausgefranstem Bart, schmutzigem Gesicht, schwarzgeränderten Fingernägeln und lumpiger Kleidung, nichts Ungewöhnliches an sich, hockt mit angewinkelten Beinen vor der hintersten Tür des Waggons und schaut durch die Scheiben nach draußen in die vorbeiziehende Tristesse.
Scheinbar unberührt von der Bestürzung um ihn herum sitzt er dort, das Licht bricht sich in seinen hellen Augen und die Jeans die er trägt ist bis zum Saum hinunter mattbraun und steif von getrocknetem Kot.
Ich zucke zusammen.

Weiß er denn gar nicht; kann er nicht; ist er krank?

Doch es riecht nicht allein nach Exkrementen, das ginge beinahe noch, sondern, und das ist das viel Schlimmere, nach Verwesung, nach faulendem Fleisch, nach sich zersetzendem Körper, sterbenden Zellen, nach Botulinumtoxin, stickigschwüler Süße, nach Moschus und Tod.

Kaum sehe ich ihn, gesellt sich zu meinem Ekel auch gleich das Gefühl hilflosen Mitleids und großer Ratlosigkeit.

Verfault dieser Mann etwa bei lebendigem Leibe? Verbirgt sich unter der verdreckten Jeans eine schwärende Wunde, Wundfraß, nekrotisches Gewebe? Ist er schon unrettbar verloren? Hat er Schmerzen, oder ist er diesen Zustand inzwischen so gewohnt, dass er sich nicht mehr krümmen oder halb bewusstlos saufen muss, um ihn zu ertragen?

Muss man ihm denn nicht helfen, die Feuerwehr rufen, einen Arzt, etwas unternehmen? Irgendetwas, Hauptsache schnell.
Wie ist es bloß möglich, dass ein Mensch in unseren Breiten, trotz unseres Reichtums und medizinischen Fortschritts, einfach so von Bakterien aufgefressen wird, wie von einem wilden Tier? Gibt es denn niemanden mehr, der auf ihn acht gibt?
Niemanden, der sich zuständig fühlt? Wer ist hier zuständig?
Wenigstens ein paar saubere Klamotten. Ein warmes Bad.
Ob bereits Maden sich in der Wunde tummeln?
Mir ist schlecht.

Der Zug fährt in die nächste Station ein. Der Mann steigt aus und verliert sich sofort im Getümmel.
Immer noch trage ich sein Bild im Kopf und seinen Geruch in der Nase.

 

 

 

 

 

50 Kommentare zu “Kadaver

  1. mir ist er auch schon begegnet. und von vorn bis hinten: dieselbe reaktion. was macht man in dem moment? irgendwas weigert sich dann auch, jemanden abschleppen zu lassen wie ein kaputtes auto – oder müsste man…? ich bin so ratlos wie du.

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  2. „Der Bauschaum in meinem Gehirn härtet langsam aus“ Jo, so ist das.

    Würde ich jetzt sagen, Deine Texte werden immer besser und das ich das sehr erstaunlich finde weil Du ohnehin gut schreibst und das noch in massiver Geschwindigkeit, wäre das dann ein Lob? Ein Kompliment? Oder ist das nur die Tatsache, für die ich das halte?

    Kann man sich eigentlich mal für solche Texte, für diesen Blog bedanken? Keine Ahnung. Ich mach das einfach mal…

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      • Du kleine Untertreiberin. Bei Deinen Texten bist Du Perfektionist. Und dann noch dafür bedanken, dass Du uns so ein Geschenk machst. Tzzz Tzzz. Erzähl mir doch nix.

        Aber so bist Du nun mal. Wenn Du mich fragst, sei stolz darauf. Das ist wirklich erarbeitet und mehr als verdient. Wenn Du mich fragen würdest, dann würde ich dich als Schriftstellerin bezeichnen.

        Ich verrate Dir mal, was ich eigentlich geheim halten sollte.

        Ich wollte im Fall, dass Du Dich bedankst, Deinen Text vollkommen auseinander nehmen und das dann posten.

        Bis auf sehr wenige Stellen, selbst die könnte man diskutieren, kann ich das aber nicht. Es wäre falsch. Es gibt nichts zu meckern. Dafür aber eine ganze Menge … soziale Kompetenz, Textkompetenz um nur zwei unverfängliche Beispiele zu nennen.

        Ich denke, ich könnte das (überheblich wie ich bin) gut begründen.
        Aber vielleicht bin ich nur befangen. Ich mag Deine Texte.

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        Meistens jedenfalls ;-)

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  3. Von diesen Leuten gibt es nicht wenige. Sie haben sich verloren. Die Kleidung verwächst mit dem Körper. Beides fault zusammen.
    Manche heldenhaften Personen, meist Ärzte, verschaffen diesen armen Menschen noch etwas bessere Zeit. Wenn sie noch kommunizieren können.

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    • Gab es solche Menschen früher auch schon? Zum Beispiel vor 30 Jahren in Frankfurt?
      Dort übrigens habe ich besonders viele gesehen, die mit infizierten Wunden, sognannter Schleppscheiße, auf der Straße, in Hauseingängen, oder am Mainufer leben/ hausen/ vegetieren.
      Mit der Bereinigung des Bahnhofviertels werden es weniger werden, bzw. man wird sie nicht mehr sehen.
      Die müssen dann an den Stadtrand zum Sterben.

      Jeder, der diesen Menschen hilft, ist für mich ein Held.

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      • In Frankfurt ist es gerade ganz seltsam. Seltsam ist falsch. So.
        Es gibt ausgesprochen gepflegte Penner -JO! – um die Liebfrauenkirche. Auf der Zeil hat die rumänsch-/albanische Stumpfvorzeigermafia das Regiment übernommen.
        Diese lebenden Toten sind komplett weg. Das könnte daran liegen, dass es in Frankfurt eine sehr starke Helferfraktion gibt. Sie verteilen jeden Abend Eintopf aus ein Auto und ziehen so die Leute bei. Vlt. werden von dort einige weggeholt und behandelt. Die Behandlung macht meines Wissens eine iranische Ärztin für umme.
        Du hast recht: Das sind Helden!

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      • also vor 30 jahren in frankfurt, da fing ein freund von mir als doc an zu arbeiten. in der notaufnahme einer frankfurter klinik.
        von dem mann in deinem bericht hat er damals erzählt.
        das waren die einzigen ausnahmen, die er von seiner tätigkeit erzählte, als das schlimmste, was er je tun musste…. das baden, die maden entfernen usw. usw.
        ich hatte bis dahin auch gedacht….
        na wurscht….
        also ja…. vor 30 jahren war das auch schon so…..
        *kompliment zum text :-)…. *

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        • Vor 30 jahren also auch schon. Irgendwie ist das in den letzten Jahren mehr geworden udn überhaupt erst so richtig in mein Bewusstsein gerückt.
          Die Arbeit, die euer Freund da gemacht hat, ringt mir wirklich wahnsinnigen Respekt ab.

          Ich kannte eine Frau, die eines Tages einen Obdachlosen im Treppenhaus neben ihrer Wohnungstür vorfand. Er soll sehr stark nach Kot und Verweseung gerochen haben.
          Sie ging zurück in ihre Wohnung, holte einen Holzkleiderbügel und prügelte den Mann aus dem Haus, damit er nie wieder käme.
          Nach dieser Erzählung habe ich den Kontakt zu der Frau vollständig abgebrochen.
          Sie war übrigens Sozialarbeiterin.

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  4. Ich lebe in der Nähe von Sydney. Fast überall ist Rauchverbot. Wenn jemand im Zug raucht, wird er sofort vom Zug verwiesen. Wenn jemand, der nicht bezahlt hat, von der Bahnpolizei erwischt wird, und wenn seine Personalien nicht festgestellt werden können, wird er bei der nächsten Station von Polizisten in Empfang genommen. Wenn jemand im Zug belästigt wird, kann mit dem Emergency phone des Zuges der Zugbegleiter herbei gerufen werden, der Hilfe organisieren kann, dasselbe wenn einer krank umfällt.
    Dieser total hilfsbedürftige Mensch, der einem Kadaver gleicht, war wohl nur für eine Station im Zug. All die Menschen, die ihn im Zug ‚gerochen‘ haben, mussten ja wohl das Gefühl bekommen haben, dass er auf jeden Fall dringend ärztliche Hilfe benötigt. Dieser Mensch hat wahrscheinlich seit geraumer Zeit im Untergrund gelebt und alle möglichen Tricks angewendet, um nicht in die Hände von Untersuchungsbefugten zu fallen. Es mutet ganz unheimlich an, dass so etwas möglich ist inmitten einer Grosstadt.
    Die ganze Scene im Zug ist herzerweichend beschrieben und gibt Anlass zum Nachdenken. Danke, Tikersherk, für diese Beschreibung. Wirklich einmalig!

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  5. Naserümpfend gelesen, dabei den Kopf bedenklich in die Hand gelegt, geschaudert – dann verschwand er ganz schnell. Aus meinem Gedächtnis braucht es länger – nicht nur aus meinem. Danke, gute Arbeit!

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    • Hier wird niemand beschimpft und schon gar nicht Du.
      Ekelerregend ist es. Doch dahinter sehe ich die menschliche Tragödie, und da kann ich nicht anders als mitzufühlen.
      Nützt dem Mann gar nichts, das weiss ich. Aber so ist das mit Gefühlen, sie nützen nicht und können uns doch zu Brüdern und Schwestern machen.

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      • Es gibt in dieser Stadt (hinreichend?) Einrichtungen für Obdachlose, wo sie sich und ihre Kleidung waschen können. Niemand muss so stinkend herumlaufen, es sei denn, es ist (aus welchen Gründen auch immer – darin liegt vielleicht die von Dir gesehene menschliche Tragödie) seine eigene Entscheidung.

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        • Ich nehme an Du meinst das nicht wörtlich, dass jemand die Entscheidung trifft zu verwesen, sondern eher so im Sinne von „kümmert sich nicht um sich selbst“, oder? Die Schuldfrage stellt sich mir eigentlich sowieso nicht (in unserem Sozialsystem wird sie übrigens auch nicht gestellt. Selsbt der Millionär, der sich an der Börse verzockt hat, hat Anspruch auf Leistungen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Das finde ich ausdrücklich gut.)

          Ich glaube nicht, dass jeder das Glück hat seelisch so intakt zu sein, und dass er zu jedem Zeitpunkt für sein leibliches Wohl sorgen kann. Und ist man erstmal so weit abgerutscht, wie dieser Mann, ist es sehr schwer sich da wieder heraus zu kämpfen.
          Ich glaube/ sehe auch nicht, dass es genügend Einrichtungen gibt. Jedenfalls wüsste ich, wenn ich in die Situation käme, nicht so genau wo ich hingehen müsste.
          Mitleid kann man nicht einfordern und es nützt auch niemandem, wenn es nicht tätig wird. Das eben habe ich nicht getan und insofern ist es für den Mann ganz gleich, ob ich oder Du neben ihm in der Bahn sitzen und sich ekeln. Unser Ekel zeigt ihm ganz einfach, dass er kein Teil der Gesellschaft mehr ist. Und das finde ich sehr traurig, selbst wenn er seinen Absturz ganz allein zu verantworten hätte.

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      • „Aber so ist das mit Gefühlen, sie nützen nicht und können uns doch zu Brüdern und Schwestern machen“

        Also nutzen sie doch. Ja, der Gedanke gefällt mir.

        Zu: vilmoskörte
        Selbst wenn es hinreichend Einrichtungen für Obdachlose gäbe, ich glaube, das Problem ist anders.

        Es gibt Menschen, die entscheiden, „Vagabund“ zu werden. Vor nicht all zu langer Zeit wurde das noch romantisiert. Heute ist das ein dummer Penner und Schmarotzer. Das zeigt gut, wie sich Ansichten und Meinungen ändern und auch, mit ein wenig Überlegung, wer Ansichten und Meinungen warum ändert.

        Diese „Konventionen“ sind für mich egal. Ich geben den „Pennern“ was, weil ich da eine Art Tradition und eine andere (teils unfreiwillige) Einstellung sehe. Es tut mir nicht weh. Und man hört schon mal echte Geschichten.

        Andere aber können nicht entscheiden, genau wie man nicht entscheiden kann, nicht krank zu werden oder kein Pech zu haben.

        Wir können das nicht wissen, wenn wir da jemandem gegenüber stehen, der vielleicht streng riecht. Wir können nicht wissen, was der alles schon erlebt und getan hat. Wir können den nur so behandeln wie wir jeden Menschen behandeln. Pech ist kein Makel. Krankheit auch nicht und Armut schon gar nicht. Wer uns braucht, das sind nicht die Starken.

        Vor einiger Zeit habe ich den Bürgermeister samt seinen Begleitern stehen gelassen (und der ist hier einer von den Guten), weil ich mich um einen „Penner“ kümmern musste. Möglicherweise redet der Bürgermeister nun nicht mehr mit mir. Doch dann hat der etwas missverstanden. Wieso sollte der Bürgermeister wichtiger sein, als der „Penner“? Die Frage war hier nur, wem geht es gerade gut und wem geht es schlecht.

        Mit „Nächstenliebe“ hat das so wenig zu tun, wie mit christlichen Werten. Ich will die Welt nicht besser machen, weil besser ist relativ und nicht objektiv. Es ist einfach meine starke und durchaus begründete Abneigung gegen alles, was diskriminiert.

        Für mich ist es auch eine Frage des Selbstbewusstseins. Ich muss mir in die Augen schauen können. Wenn ich mich schon „für so toll“ halte, dann muss ich das belegen können. Eine Konzeption von selbst belügen kommt für mich nicht in Frage.

        Habe ich nun die Eier oder nicht?

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  6. Tscha, Frau Tikerscherk, was soll ich sagen… mit dieserart Menschen arbeitete ich bis Mai exakt zehn Jahre. Als Wohnheimleiterin. Eines Wohnheimes für jene, die über den Tellerrand geschubbst und unter die Teppichkante gekickt werden*. *Weil sie verräterisch sind, weil sie jahrzehntelange Schatten dieser Gesellschaft ausplaudern, die Abgründe die hinter Pseydodemokratie und scheinheiliger Fürsorge lauern, die sich der Staat so gerne auf den AasGeier pappt.

    „Normalerweise“ werden die Outlaws ghettoisiert. Dann sieht sie keine-r. Hört sie keiner. Erinnert sie keiner. So existieren sie nicht. Unser Wohnheim steht am äußersten Rande Berlins. Abseits. Schlechte Bus- und Bahn-Verbindungen. Zu weit, als dass jemand der Wohnheim-Bewohner auf den Kudamm gelangte und nachhaltig Eindrücke erschütterte.

    Wollte nur sagen, Sie ahnen nicht, wieviel Verelendung es im deutschen Lande/ speziell Berlin gibt. Menschen, die durch sämtliche soziale Raster fallen/ gefallen werden, die keinen Anspruch (mehr) auf soziale Leistungen haben, Menschen, die keinen Anspruch (mehr) auf medizinische Grundversorgung haben. Menschen, die tatsächlich ohne Identität sind. Und wenn so eine-r – ungünstigerweise – in der Öffentlichkeit kollabiert, dann landet er/sie schon einmal in einem Krankenhaus, wird dort versorgt.. in der Regel solange, bis man feststellt, er/ sie ist nicht versichert… und dann güldet nur noch eines: so schnell als möglich abschieben… … und dann greifen so Auffangnetze wie „unser“ Haus.

    .. nicht nur, dass diese Menschen ohne Identität sind, nein, oftmals lebten sie über Jahre im Abgrund. Da gibt es Abwasserschächte, in denen es sich offensichtlich vegetieren lässt. Wälder. Parks. Höhlen. Nachts, wenn es keiner sieht, kriechen ihre Schatten auf die Straßen und winden sich in unseren Abfällen…

    Und, ja, möglicherweise hat Ihre Bahnbegegnung nach Verwesung gerochen. Es ist nicht so selten, wie man hoffen würde, dass vorsichtig versucht wird, Schuhle und Bekleidung zu lösen… und dann das Fleisch zerfällt, und/ oder von lebenden Maden durchsetzt ist. Ich habe später die Regel erlassen, dass wir nur BewohnerInnen aufnehmen, die garantiert keine Infektionen in das Haus bringen. Heißt: die wurden zunächst zur Notaufnahme eines Krankenhauses gekarrt. …und mussten entkeimt und zumindest grob grundversorgt werden… das ist nämlich – s.v.- ohne Identität nicht leicht zu erwirken. Da ist Vater Staat recht gestrenge… wenn denn die Medikation zu hohe Kosten verlangt… dann wird nicht weiterbehandelt. Fertig. Können sich ja nicht beschweren. Werden sich nicht beschweren. Die ohne Identität sind ohne Recht.

    Und, nein, ich erzähle Ihnen keine Horrormärchen. Wenn Menschenfleisch in unserem Staate keinerlei Rentabilität verspricht – und im Vorfeld nicht genügend erwirtschaftet wurde, wird es knallhart abgeschoben. Zum Beispiel zum Sterben. In ein Wohnheim wie das „unsrige“. Wobei das Sterben dann auch Jahre dauern kann.

    Aber Schmerzen, Schmerzen bestehen meist nicht. Da kann ich Sie beruhigen. Wie soll auch Schmerz empfinden, was längst tod… wobei bei diesen traurigen Gestalten nicht nur Körper, sondern auch Geist und Seele oftmals nekrotisch sind.

    So- und jetzt hoffe ich, Sie verzeihen mir diesen ellenlangen Aufsatz in IHREM Blog. Es sind halt nur besondere Umstände, von denen ich denke, sie sind wert, erzählt zu werden.

    Ich hoffe, ich hab Ihnen das Frühstück nicht versaut… wenn doch, haben Sie eines bei mir frei.

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  7. Quintessenz des Textes ist letzten Endes dann ja doch „irgendwer – nicht ich – ist zuständig.“ Und das meine ich nicht mahnend oder erbost, sondern als Ursache, warum niemand zuständig ist.

    Denn alle sind ausgestiegen ohne zu handeln. Wäre ich auch. Aber ich frage da auch nicht nach der Zuständigkeit, ich weiß wo sie liegt: Bei mir. Und dir. Und ihr. Ihm. Und Ihnen. Bei niemand. Allen.

    Wir sind entweder für alle Menschen verantwortlich oder für keinen. Dazwischen ist nur Doppelmoral.

    Und ich möchte das noch mal betonen: ich sage das neutral. Denn ich habe auch für mich (trotz berufliche Ausrichtung aufs helfen) noch nicht entschieden wo ich stehe.

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    • Die Zuständigkeitsfrage, die ich im Text stelle, sollte eher die Hilflosigkeit und den Versuch Ordnung in das nicht einfach Wegzuverwaltende zu bringen, zeigen.
      Recht hast Du trotzdem: jeder ist zuständig für seinen Nächsten, oder aber niemand und jeder nur für sich selbst. Ich habe da eine ganz klare Position: ich trage Mitverantwortung für die Menschen um mich herum.
      In diesem Falle aber war überhaupt keien Zeit dafür und, ehrlich gesagt, mein Ekel so überwältigend, dass ich einen kängeren Anlauf gebraucht hätte.

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    • es hat Grund, dass der Mensch in die Verfassung geriet, in der er sich zum Zeitpunkt der Bahnfahrt befand. Und diese Gründe sind eine Verkettung von jahrelangen Umständen und Erlebnissen, in und an denen nicht nur der Körper, sondern auch Geist und Seele (oftmals) erkranken. Und oftmals wollen sie keine Hilfe (mehr), wie scheue Tiere in einer Bärenfalle – zu schwach zum leben, zu stark zum sterben und viel zu weit entfernt in Herz und Leib, um Hilfe überhaupt noch annehmen zu wollen/ zu können.

      Stellen Sie sich einen tollwütigen Fuchs vor, da laufen Sie eher Gefahr, in die Hand gebissen und infiziert zu werden. Das soll kein Appell sein, wegzuschauen, sondern eher an den richtigen Stellen und zur rechten Zeit zu helfen. Der Herr in der Bahn hat keine Hilfe erbeten. Es könnte seinen (verbliebenen) Stolz erschüttern, seine Angst füttern. Aber es gibt möglicherweise leise, oder stumme Hilfeschreie direkt nebenan. Da könnte man vielleicht feinhöriger werden, bevor… So sehe ich das – von meinem winzigen Espressotassentellerrand.

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  8. Es gefällt mir, liebe Frau Vibesbild, dass Sie so ohne weiteres aus Ihrer Erfahrung über Menschenschicksale berichten von denen die meisten Menschen wohl nicht viel Ahnung haben. Sie haben erfahren, dass die, die ohne Identität sind, keine Rechte haben langzeitig unterstützt zu werden. Hierzu habe ich eine Frage:
    Kann das Heim für alle Bewohner eine gewisse staatliche Unterstützung bekommen? Wenn das möglich ist, dann tut der Staat den Umstanden nach wohl alles, was möglich ist. Dass Menschen in die Lage kommen, so abzusinken, ist natürlich äusserst traurig. Sie führen da einige Beispiele an, warum es wohl dazu kommen kann.
    Ich nehme an, ähnliche Fälle wie die, die Sie beschreiben, gibt es hier in Australien auch. Auf jeden Fall haben wir hier in dem reichen Australien auch ein Problem mit Obdachlosen!

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    • Ui, dankeschön für das nette Feedback, liebe Aunt Yuta. Ja, es gibt Möglichkeiten, staatliche Leistungen zu erwirken. Dem geht die oft langwierige Identitätsprüfung zuvor und dann folgen ua die Übernahme der Kosten zur Unterkunft und auch die Übernahme der Kosten für medizinische Grundversorgung. Wir selber waren/ sind ein gemeinnütziger Verein, realisierten die Unterbringung zu einem Großteil von Spenden. Allerdings bekamen wir glücklicherweise derart viel zusammen, dass auch geregelte Mahlzeiten realisiert werden konnten.

      So abzusinken geschieht dann doch oft dramatischer als gedacht und ist nicht zwingend eine freiwillige Entscheidung als mehr ein Reflex. Da gab es zum Beispiel die hochintelligente Dolmetscherin, die nach einer Arbeitsfeier von mehreren Kollegen vergewaltigt wurde, beim Wehren unglücklich stürzte, den Kopf verletzte und welche hernach nicht mehr auffindbar bar…. bis sie eines Tages mit Laub bedenkt in einem Waldloch gefunden wurde. Oder den jungen 25jährigen, den eine unglückliche Kombination diverser Drogen aus der Umlaufbahn und in eine nicht endende Wahnvorstellung katapultierte und der zu jung für ein Pflegeheim war… Auch den gesuchten Mörder, der abtauchte und sein Herz, seine Reue und seinen Verstand im Untergrund versoff. Unzählige, aber ich mag nicht noch unhöflicher sein als eh schon und noch mehr Platz für meine Gedanken in Frau Tikerscherks Blog beanspruchen.

      Nur soviel: Keiner hat sich freiwillig gegen Schönheit und Menschenwürde, für Armut und Verwesung am lebendigen Leib entschieden. Und ich schätze, dass jedes Land Probleme mit dieserart „Outlaws“ hat, bis auf möglicherweise jene, wo Familien einander noch hüten und füreinander da sind. Gibt es solche? Zumindest hier draußen in Brandenburg gibt es verhältnismäßig wenig Obdachlose, eben, weil die Familien greifen… aber das hat oftmals mehr mit Scham, denn Menschlichkeit zu tuen…

      Liebe Grüße nach Australien!

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      • Vielen Dank für die Grüsse nach Australien. Ich bin auch der Meinung, dass Familienzusammenhalt sehr wichtig ist. Aber selbst da, wo es dies noch gibt, kann Drogenabhängigkeit alles zerstören.
        Hier in Australien sind soziale Institutionen auch zum grossen Teil auf Spenden angewiesen. Wir müssen den spendenbereiten Menschen dankbar sein, denn der Staat hat ja nun mal für Hilfsbedürftige nicht genug Steuereinnahmen. Und ohne arbeitsbereite Menschen wie Sie könnte sehr vielen Menschen überhaupt nicht geholfen werden. Ihren bereitwilligen Arbeitseinsatz muss ich sehr bewundern. Hut ab! Zehn Jahre, das ist eine tolle Leistung. Ich weiss nicht, wie alt Sie sind, aber ich wünsche Ihnen einen recht angenehmen und erfreulichen Lebensabrend.

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      • @ vibesbild

        Mit diesem Kommentar beantwortest Du die Fragen, die ich noch hatte. Nach Kosetnübernahme und Identitätsprüfung (sicher auch nicht immer einfach). Bis bezahlt wird scheint also einiges an Zeit zu vergehen.

        Und was den letzten Abschnitt anbelangt stimme ich vollkommen mit Dir überien. So etwas sucht sich niemand selbst aus. Das hat immer eine lange Vorgeschichte. Dass Jeder seines Glückes Schmied sei glaube ich schon lange nicht mehr.

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  9. Eine Meinung bilden fällt bei solchen Extremen immer schwer – die verwesende Person ist unbekannt; ihr Werdegang, der im Aufeinandertreffen während der Bahnfahrt mündete, ist unbekannt. Die Beweggründe, die zur Entscheidung der körperlichen Selbstaufgabe führten: Unbekannt.

    Ekel? Mitleid? Ich kann keines dieser Gefühle empfinden – obwohl die Beschreibung sehr intensiv ist. Das lässt mein Verstand nicht zu, der mir sagt, dass es wichtiger ist, sich meiner Verantwortung für das eigene Leben und das der Personen, für die ich (Mit)Verantwortung übernommen habe bewusst zu werden und dieser Verantwortung nachzukommen.

    Man kann sich nicht um das ganze Leid dieser Welt kümmern. Wichtig ist: Dazu muss man stehen.

    Zur Entscheidung, nicht helfen zu wollen muss man stehen.

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    • @dasmanuel, ich sehe das etwas anders.

      „Das lässt mein Verstand nicht zu“ kann man logisch so oder so interpretieren. Das kam mir recht polemisch und unfair beim lesen in den Sinn.

      Richtig ist, zu Entscheidungen muss man stehen. Unterlassene Hilfeleistung ist eine Straftat nach § 323c StGB.

      Natürlich kann man nicht immer helfen. Besonders, wenn jemand plötzlich aussteigt. Dumm nur, wenn das alle denken. „Da kann man nichts tun“ ist nicht logisch. Es ist logisch falsch.

      Vibesbilds Beschreibung kann ich ganz gut bestätigen. Es ist ein gesellschaftliches Problem mit vielen Ursachen. Mir scheint, eine Ursache ist „keines dieser Gefühle empfinden“ zu können. Die andere Ursache ist Geld das man hat oder auch nicht. Man frage nur die Hilfsorganisationen und Heime.

      Ich kann jedenfalls das „Gefühl hilflosen Mitleids und großer Ratlosigkeit“ nachvollziehen. Allerdings habe ich dieses Gefühl auch gegenüber denen, die dafür die Verantwortung durch ihre Entscheidungen und (Un-) Taten tragen. Unmenschen sind arme Menschen, selbst wenn sie viel Geld haben.

      Und wenn Du von Logik sprichst, dann ist logisches Handeln der Form „Konsequenzen aus einer Einsicht ziehen“ und „Problem führt zur Problemlösung“ die einzige sinnvolle Option. Ignoranz ist nicht logisch. Eine Gesellschaft, die Schwache „aufgibt“ ist sicher nicht logisch. Denn es ist nicht so schwer, selbst schwach werden zu müssen. Die oben beschriebene Situation ist für keinen Menschen akzeptabel, unabhängig davon, wie es dazu kam.

      Merkel meinte einmal, uns ginge es gut. Es stellt sich die Frage, wer „uns“ ist und ob es irgend ein wir noch gibt, wenn jemand nicht der Norm entspricht. Und es stellt sich die Frage, ob Reichtum und Macht nicht eine besondere Verantwortung bedeuten. Das Grundgesetz jedenfalls meint, Eigentum würde verpflichten und auch die Würde des Menschen sei unantastbar.

      Ein schöner Traum. Doch vielleicht geht es uns wirklich nicht mehr so ganz gut.

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      • Ich sage nicht, dass man nichts tun kann. Ich sage, dass ich mich in einer solchen Situation dazu entscheide, nichts zu tun.

        Keines dieser Gefühle empfinde ich, weil mir dieser Erlebnisausschnitt zu wenig Informationen über den Hintergrund der ‚gewollten Verwesung‘ liefert und nicht etwa, weil ich gefühlskalt bin. Die Gründe, diesem Individuum zu helfen sind bestimmt ebenso mannigfaltig, wie die, ihm nicht zu helfen.

        Sowas als gesellschaftliches Problem zu deklarieren… nun ja. Ich sage mal, das ist ein menschliches Problem. Im Sinne von ‚ein Problem der Spezies Mensch‘.

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      • @dasmanuel,

        schön, dass Du nach meiner (ein wenig) unfairen Provokation so antwortest. Meinen Respekt hier. Möglicherweise missverstehe ich auch.

        Ich finde allerdings, Gefühle, wenigstens spontane Gefühle benötigen keine Information, die Entscheidungen begründen könnten. Denn es sind ja Gefühle.

        Vermutlich hätte ich selbst nicht so anders als tikerscherk reagiert. Ich kenne diese Situation durchaus. So eine Situation macht ohnmächtig oder zeigt die eigene Ohnmacht auf. Richtig, in dem Sinn, dass diese (nicht) Handlung ein Problem löst, ist es deshalb trotzdem nicht.

        Wenn Du schon logisch vorgehen willst, dann ist nach den Ursachen zu fragen. Dann ist dementsprechend zu handeln. Und da existieren durchaus Möglichkeiten. Einsicht, vielleicht eine Ahnung was zu tun wäre, erzwingt aus meiner Sicht Konsequenzen. Das Wissen um die Dinge bedeutet Verantwortung.

        Das Problem für mich ist, Deine Aussage kann so verstehen, das es ganz allgemein legitim ist, nicht zu helfen. Das Problem ist, dass Entscheider und vor allen Dingen Populisten auch so argumentieren. Beispiel: Zu viele Flüchtlinge, das lässt sich nicht bezahlen, folglich reisen wenigstens die Frauen und Kinder der Flüchtlinge nicht ein. Man könne ja nicht der ganzen Welt helfen. Oder noch dummer, wir seien nicht das „Sozialamt“ der Welt.

        Weit zu kurz gedacht. Viel zu sehr nach dem Motto: erst komme ich, dann eine ganze Weile gar nichts, dann ein großer Misthaufen und dahinter sind die Anderen.

        Oder weniger polemisch: Wer keine Alternativen sieht, dem kann man keine Entscheidungen überlassen. Denn der findet mit Sicherheit keine Lösungen. Im Fall der Flüchtlinge oder bei den sozialen Problemen existieren durchaus mögliche humanistische (und mit dem Problem an Mächtigkeit zunehmende) Lösungen. Mit der „richtigen“ Lösung existiert kein Problem mehr. Nur weil man die Lösung selbst nicht kennt bedeutet das lange nicht, dass sie nicht existiert. Im Gegenteil: viele reden uns die Zunge aus dem Hals und niemand will zuhören. Es bleibt nichts, als hier selbst anzufassen (und danke an die vielen Helfer und Kollegen zu sagen).

        Ich halte es für Manipulation und eine für unredliche Methode, von Alternativlosigkeit zu reden. Es ist massiv anmaßend, die eigene Kurzsichtigkeit, Phantasielosigkeit und Unkenntnis als einzige Alternative darzustellen.

        Denke daran, wenn die Politik das wieder einmal versucht. Sie versuchen Dich dann zu übertölpeln.

        Dieses Problem hier, diese soziale Kälte, ist definitiv ein gesellschaftliches Problem. Es ist ein Armutszeugnis für uns alle.

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    • Wie Du Dir denken kannst, glaube ich nicht daran, dass dem Zustand, in dem sich der Mann befindet, eine Entscheidung zugrunde liegt.
      Er hat einfach Pech gehabt, vielleicht auch das ein oder andere Mal die falsche Abzweigung genommen, und ist dann in einen Strudel geroten, aus dem er nicht mehr ohne Hilfe herauskommt.
      Genau da muss eine Gesellschaft handeln und den Menschen die Hand reichen. Ob sie sie dann nehmen ist ihre Entschediung, das denke ich auch.
      Die Angebote müssen jedoch so niederschwellig sein, dass die Betroffenen sie wahrnehmen können in der zweifachen Bedeutung des Wortes.

      Man kann sich nicht um das ganze Leid der Welt kümmern, das ist unbestritten.
      Aber man kann einen blinden Griff in die Menge tun und dort helfen. Man muss es freilich nicht.

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  10. Ein so starker Text, daß ich meine, ich täte ihn riechen. Ich spüre die Not, ich weiß, daß durch Abwaschen noch nichts gewonnen ist, manchmal lauert darunter die noch viel schlimmere Scheiße…und doch…ach, ich weiß auch nicht…Starker Text!

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    • Vielen Dank.

      Durch Abwaschen ist sicher noch nicht alles getan, aber es ist ein Anfang ohne den es überhaupt keine Zukunft geben kann.
      Das beseitigt nicht die Gründe für diesen Zustand, denen muss hinterher nachgegangen werden, aber es schafft überhaupt erst die Möglichkeit in die Gesellschaft zurückkkehren zu können.
      Ich weiß es auch nicht…

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    • Das habe ich auch gelesen. Ein Organ, das aussieht wie ein Nerv aber keines ist, und mitten hinein reicht in unser Gehirn um dort ganz unmittelbar Einfluss zu nehmen auf unsere Gefühle.
      Der Ekel vor Verwesung scheint so universell zu sein, wie das Behagen beim Einatmen von Zitrusnoten.
      Das Auge ist übrigens ebenso eine Ausstülpung des Gehirns. Zumindest beim Menschen.

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      • Jetzt wo du es erwähnst: Ekel wird angeblich anerzogen, von den Eltern ins Unterbewusstsein gebrannt. Ein Säugling schmeckt und schnüffelt vorurteilsfrei an allem, bis die Panik der Mutter es verbietet. Aleister Crowley empfahl wohl Ekel-Training zur geistigen Befreiung…

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      • Alice, das ist so (nach dem, was mir bekannt ist).

        Niemand würde sonst Stinkekäse mögen. Und wir essen keine Insekten, ganz im Gegensatz zu anderen Kulturen.

        Aber Ekel-Training muss ich nicht haben. Ich hatte einmal Nachtdienst in einem Altenheim. Eine alte Dame, sehr fein, fast zerbrechlich, klug und wirklich lieb, die klingelte mitten in der Nacht. Das tat sie sonst nie. Ich kam in das Zimmer, es roch streng und die Frau war fast nicht zu finden, in ihrem Bett. Sie war von oben bis unten mit Kot beschmiert. Und sie machte sich winzig klein.

        Was sollte ich tun? Ich habe sie beruhigt, ihr unter die Dusche geholfen und, da sie kaum stehen konnte, abgeseift. Geh mal mit 18 hin, zieh eine alte Dame aus und seife sie ab. Sieh, wie alt und dürr sie war. Man konnte ihre Scham förmlich fühlen.

        Ich habe ihr dann in das Gesicht gesehen, ihre Scham ausgehalten. Und da war etwas vollkommen anderes, als die Situation vorgaukelte. Da war ein ganzes langes und erfülltes Leben.

        Ich habe es geschafft, dass sie sich nicht mehr schämte. Ich habe sie nicht „verraten“. Es blieb unser Geheimnis. Alles war vollkommen normal. Da war nur ein Mensch, dem ich einmal helfen konnte.

        Wir haben später noch einige Gespräche geführt und ich durfte eine weise Frau ein wenig kennen lernen. Es war mir wirklich eine Ehre.

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  11. Pingback: Kadaver | VibesBild

  12. Partielle Geruchstaubheit, das habe ich auch, nur noch nie so genannt. (Ich rieche schlecht, sage ich immer. So schlimm isses gar nicht, ist dann oft die Antwort…) Das kann sehr hilfreich sein, manchmal aber leider auch das Gegenteil.
    Ich habe einiges (vllt. bald alles….?) bei dir hier aufgeholt, vieles hat mich mitgenommen. DU hast mich mitgenommen – mit deinen immer wunderbareren Texten. Danke! (Auch schon mal provisorische für das letzte Jahr in Gänze, es war mir eine Ehre).

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