Lieben

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Ich lese andernorts über das Vergehen der Liebe und über das Entlieben.
Darüber, wie es ist, wenn man versucht nicht mehr an den geliebten Menschen zu denken, wie traurig es macht und wie unendlich viel Kraft es kostet.
Das Abebben bestimmter Hormone, das Meiden sozialer Netzwerke und gemeinsamer Freunde. Keine Anrufe, keine sms. Keine Fotos anschauen.
Wie man sich auf einmal frei und stark, oder aber hart und ganz verloren fühlt.

Die Zeit vergeht, der Schmerz mit ihr. Bilder verblassen.
Immer seltener denkt man an den Anderen, den Menschen für den das Herz schlug.
Und eines Tages erwacht man und ist geheilt. Frei. Der Bann ist gebrochen.
Man hat sich die Welt rückangeeignet. Das Café, ein Lied, eine Straße.

(Wie sollte das gehen? Ganz Berlin ist durchdrungen von dir)

Ich versuche mich zu erinnern und spüre, wie der leiseste Gedanke daran mich sehr, sehr traurig macht. Das Ende der Liebe erscheint mir als der größtmögliche Schmerz. Die Amputation eines lebenswichtigen Organes. So schlimm beinahe, wie der Tod des geliebten Menschen.

Dance me to the end of love

Und dann frage ich mich, was eigentlich los ist mit mir. Wieso tue ich mir solche Gedanken überhaupt an? Wir wollten schon nicht 45 years zusammen gucken, uns nicht betrüben mit anderer Leute Kummer (es gibt genug davon im eigenen Leben, und es nützt ja niemandem, schon gar nicht, wenn es sich bloß um ein Filmpaar handelt. Aus dem gleichen Grund schaue ich fast keine Nachrichten mehr: I can´t help it).
Nicht im Schatten frieren, während die Sonne scheint. Das haben wir gesagt. Wir haben es so schön zusammen, in jeder Hinsicht.

Was ist es, dass ich selbst in den glücklichsten Phasen meines Lebens an ihr Ende, an das Unglück, das zwangsläufig über mich kommen wird, ja kommen muss, denke?

Ist es die Gewohnheit der Katastrophenchronistin, habituelles Leiden also, oder die Einsicht, dass alles was entsteht in jedem Fall zugrunde geht, oder ist es vielleicht prophylaktisches Leiden, Vorleiden sozusagen, um das, was auf mich zukommt schon in Gedanken zu durchleben und auf diese Weise gefeit zu sein, wenn es wirklich einmal so weit ist. Mich impfen gegen den zu erwartenden Schmerz.
Sollte man es dann nicht gleich sein lassen? Unter der ständigen Erwartung des Verlustes kann es nicht gut werden, bzw. gut bleiben.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Hier zeigt die Redewendung ihren tieferen Sinn.

Vor Jahren erzählte mir ein neuseeländischer Freund von einer wunderbaren Frau, die er getroffen habe. Sie hatten eine tolle, besondere Zeit miteinander, verstanden sich gut, lachten viel, führten interessante Gespräche, begehrten sich leidenschaftlich, aber er konnte nicht mit ihr zusammen bleiben. Nach ein paar Wochen beendete er die Liaison und brach den Kontakt vollständig ab.

Wieso das denn, frug ich ihn.

Weil sie fast vierzig war.

Aber sie gefiel dir doch.

Sehr. Aber bald ist sie alt, und dann gefällt sie mir nicht mehr.

Vorbeugendes Schlussmachen also?

Sozusagen.

Hast du ihr das gesagt?

Nein.

Natürlich war das keine Liebe, sonst hätten ihn die Falten der Zukunft nicht interessiert, die Liebe liebt auch die Schwielen an den Füßen und die Krähenfüße unter den Augen, aber es hätte Liebe werden können. Vielleicht beschwört man die Dinge erst durch seine Gedanken.
Es ist beinahe schon eine Binse, aber der einzige Weg glücklich zu sein ist das Leben im Hier und Jetzt. Sich an dem erfreuen, was ist. Es nicht betrauern, solange es währt.
Achtsam umgehen mit dem, was einem gegeben ist. Keinen Horizont zeichnen, wo keiner ist. An die Ewigkeit glauben und das Beisammensein nicht mit bangem Hoffen beschweren.
Je weniger Lebenszeit vor mir liegt umso zuversichtlicher werde ich, dass ich sie im Glück und in Liebe verbringen werde.

Love you, darling.

 

 

 

 

 

 

27 Kommentare zu “Lieben

  1. Mal wieder so ein Kleinod. Und die Links sind ebenfalls so lesenswert. Passt zu meiner momentanen Gefühlsgemengelage, obwohl es sich nicht um die Liebe zu einem Mann handelt. Aber man kann auch um Freundinnen trauern, ist fast kein Unterschied.

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    • Und wie ich das kenne. Freundschaften zu verlieren ist beinahe noch schlimmer. Schließlich sind sie irgendwie auf Ewigkeit angelegt. Bei mir zumindest.
      Vor Jahren wandte sich mein bester Freund von mir ab. Wir waren unzertrennlich bis dahin. Es war einer der schlimmsten und langanhaltendsten Schmerzen, die ich je durchlitten habe.
      Ich hoffe bei Dir ist es nicht ganz so grundlegend. Vielleicht besteht noch Aussicht auf Versöhnung. Und wenn nicht, wünsche ich Dir viel Kraft für die schwere Zeit.

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  2. Liebe Tikerscherk, ich weiß nicht, ob ich hier schon mal kommentiert habe – aber ich lese hier, seit ich den Blog entdeckt habe.
    In den von Dir verlinkten Posts stand der Satz: „Die Hoffnung ist die zerstörerischste Kraft überhaupt.“
    Ich empfinde es nicht so! Wenn wir keine Hoffnung mehr fühlen könnten – was wären wir dann noch?? Es meint doch nicht allein die Hoffnung darauf, dass der-/diejenige sich doch vom Partner trennt und zu einem findet. Es meint nicht allein die Hoffnung darauf, dass der/ die Angebetete doch noch erkennt, welches Kleidod man selber ist.
    Für mich bedeutet Hoffnung vor allem das Tragen über die Untiefen. Das Überwinden von Kummer und Leiden, die Hoffnung darauf, dass alles gut wird, besser wird – völlig losgelöst davon, wer einem auf diesem Weg an der Seite steht und mit wem sich am Ende die Liebe findet, die einen auch wirklich erfüllt. Wenn ich keine Hoffnung mehr auf mein eigenes Glück im Leben hätte – wofür will ich dann einstehen, kämpfen – und überhaupt weitermachen? Für ein desillusioniertes Dasein??
    Ich für mich glaube, dass Hoffnung nur dann zerstörerisch wird, wenn sie sich an eine bestimmte Person/ eine bestimmte Sache klammert. Wenn man sich selbst abhängig macht von jemandem oder etwas.
    Doch Hoffnung so pauschal als zerstörerischste Kraft zu beschreiben – nein, das sehe ich nicht so. Ganz und gar nicht.

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    • Liebe Helma, endlich komme ich dazu zu antworten.
      Also, ich fasse es mal grob so zusammen: es gibt die Hoffnung die trägt, die Mut macht und Kraft gibt, als eine der christl. Tugenden, zusammen mit dem Glauben und der Liebe.
      Dann gibt es aber auch die Hoffnung i.S.v. Erwartung, die in der Starre hält, die uns Dinge erdulden lässt, die wir nicht erdulden sollten, die Leiden verlängert usw.
      Diese Erwartung ist ein Übel, dem würde ich zustimmen.
      Die Hoffnung, die trägt und Mut macht ist hingegen ein Segen.
      So in etwa.

      Wenn man zurück blickt auf vergangene Lieben, hätte man vielleicht das eine oder andere Mal eher aufgeben und sich nicht durch (trügerische) Hoffnungen leiten lassen sollen. Dann wäre einem u.U. viel Kummer erspart geblieben.

      Ist das so einigermaßen zu verstehen, was ich sagen möchte?

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    • Herzlichen Dank! Ich hoffe Du behälst Recht mit der ewigen Liebe.
      (Gerade kann ich mir überhaupt nichts anderes vorstellen und nach sovielen Katastrophen war mein Glück wirklich überfällig)

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  3. Pingback: So lala | gretaunddasleben

  4. Ein interessanter und wirklich schöner Text. Irgendwo kann ich das nachvollziehen und ich schließe mich etwa sunflower22a an.

    Auf der anderen Seite… ich mag ja in einer elaborierten Position sein und kann das nicht einschätzen … auf der anderen Seite frage ich mich, worum geht es denn?

    Kann man entlieben? Wenn man im Wesentlichem sich selbst liebt, dann sollte man vielleicht wirklich entlieben. Manchmal muss man jemanden einfach gehen lassen. Man kann keinen Menschen besitzen.

    Ich liebe bis heute Menschen, die ich seit Ewigkeiten nicht gesehen habe. Ich denke oft an sie. Es ist gut, dass sie mich nicht brauchen, dass sie ohne mich zurecht kommen. Doch wenn sie mich bräuchten, wenn ich davon wüsste (und es gibt manchmal Mittel und Wege dazu), ich würde nicht zögern. Keine Sekunde.

    tikerscherk, ich kann das nachvollziehen. Da ist ein wundervoller Gedanke. Doch irgendwie habe ich ein ganz anderes Konzept der Liebe.

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    • Lieber Joachim,

      ich glaube ich verstehe Deinen Einwand. Ich weiß nicht ob man wirklich entlieben kann.
      Menschen, für die mein Herz schlug bleiben ein Teil meiner Welt, auch wenn die romantische Liebe vorbei ist.
      Das Entlieben, das hier und in den anderen Texten beschrieben wird, ist ja eher der Entzug, der körperliche, wie auch der seelische, den man erlebt, wenn eine Liebesbeziehung auseinander geht.
      Und dieser entzug kann schon sehr sehr schwer sein.

      Was meinst Du mit: tikerscherk, ich kann das nachvollziehen. Da ist ein wundervoller Gedanke. Doch irgendwie habe ich ein ganz anderes Konzept der Liebe.
      Hab ich ein Konzept? Ich komme mir immer so planlos vor.
      Welches Konzept der Liebe stellst Du meinem gegenüber?
      Ist Liebe denn nicht einfach ein blindes Fühlen und vertrauen und sich hingeben und ein wunderbarer Rausch mitunter?

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      • Liebe tikerscherk, das ist mir einfach zu privat. Wieso? Ja, auch das ist recht privat. Eine Zwickmühle. Ist das ein Problem?

        Wenn das schon so anfängt, dann versuche es mit Impressionen. Zu lang? Natürlich. Dann ließ es nicht. Niemand sagt, es sei einfach. Und niemand sagt, es sei so, wie ich es sage.

        In einem klugen Song heißt es:
        „Komm lass die nicht erzählen, was du zu lassen hast.
        Du kannst doch selber wählen, nur langsam, ohne Hast“.

        Allerdings muss man die Wahl haben und die Optionen sehen.

        Vor Ewigkeiten, auf einer Klassenfahrt nach Berlin(!), damals waren wir noch bescheidener als heute, da sprudelten die Hormone. „Mädchen“ waren zugänglicher als üblich und „Jungs“ weit großmäuliger. Die Klassenlehrerin kam da nicht gut mit zurecht. Ich schätze, ihr „Konzept“ der Liebe war auch recht schmerzhaft, geprägt von trauriger Sehnsucht.

        Einer der „Helden“ der Klasse begann anzugeben. Es eskalierte immer mehr. “ Erlebnisse“ wurden ausgetauscht, das Ganze geriet zur Märchenstunden mit „obszönen“ Elementen. Es nervte immer mehr, die meisten wussten nicht, ob sie beeindruckt sein sollten oder ob das nur peinlich war.

        Kurz: Diese Angeberei baute einen mächtigen Druck auf der einfach nicht richtig war. Irgendwann, als über eine nette Klassenkameradin, nicht dem „Top-Modell“ (… was von mir ein „Kompliment“ ist – ich denke, das Schneewittchen-Zitat oben war irgendwo ihr Programm…), geredet wurde, da meinte ich, so dass es im ganzen Bus zu hören war, wer darüber spräche, der hätte sowieso nichts dahinter.

        Und Ruhe war. Und ich hatte ganz ohne Absicht eine Freundin gewonnen. Irgendwann war sie dann verschwunden. Damals dämmerte mir, dass in jedem Menschen ein geheimer Schatz stecken könnte.

        Damals erkannte ich die „Leichtigkeit des Seins“, ganz anders, eben nicht so „unerträglich“, wie in dem Roman. Jeder Augenblick ist einzigartig, wiederholt sich nie, muss und darf es auch nicht, um ein Schatz werden zu können.

        Der unerträgliche Druck, diese unendlichen Schleifen der Leere sind dagegen heute normal, als seien alle in immer währender Pubertät. Das ist „normal“ in Werbung, Medien, im Beruf und in der Öffentlichkeit. Man will schön sein, sexy, der oder die Beste, immer auf Kosten der Anderen. Gestern im TV ging es über den „Wert“ eines Menschen. Es gibt sogar tatsächlich Kontakt- und Singlebörsen im Internet. Man will Sehnsucht, Schmerz, Romantik, ja sogar betrogen werden. Wie dumm ist das?

        Mit den Träumen der Menschen wird Umsatz gemacht. Menschen werden verkauft. Menschen verkaufen sich.

        Sind die alle irre? Der Wert eines Menschen? Das Sehnen der Menschen in Geld gemessen? Muss ich da mitmachen? Was ist mit der Liebe?

        Weißt Du, ich nehme die Dinge und auch die Menschen wie sie sind. Was schief geht wird unter Erfahrung abgebucht. Die guten Dinge kommen in eine geheime Schatztruhe. Gute Dinge bekommst Du, wenn Du Dich darauf einlassen kannst, mit Respekt, mit Liebe und mit Gemeinsamkeit. Jeder Mensch kann eine ganze Welt sein. Ich würde sagen, es liegt nur an mir, ob ein Augenblick eine Ewigkeit wird. Ich sammle Ewigkeiten. Ich würde sie niemals verraten.

        (das ist mehrdeutig gemeint! Du darfst interpretieren, aus Deiner Sicht)

        Erwartungen? Die gibt es nicht. Je mehr Du willst, um so weniger bekommst Du. Etwas plakativ gesagt; Liebe ist geben und nicht fordern, sehnen oder wünschen. Schon gar nicht ist Liebe das Konzept eines Anderen

        (und auch das ist doppeldeutig gemeint. Wir können keine Konzepte Anderer so einfach übernehmen und vor allen Dingen dürfen wir kein Konzept eines Anderen haben, um ihn in ein Korsett zu zwingen. Was wir von einem Menschen sehen, das ist nur ein winziger Teil dessen was wirklich ist. Genau deshalb kann man mit einem Menschen alt werden).

        Statt dessen: Tu es einfach. Liebe! Die Menschen sind so „gebaut“. Es gibt nichts zu verlieren dabei. Es zählt nur der Augenblick. Besitz zählt nicht. Wünsche zählen nicht. Reduzierst Du Dich auf Deine Wünsche, so wirst Du auch nicht mehr bekommen.

        Liebe ist es schon, jemandem einmal zu zulächeln, ohne irgend etwas dafür zu erwarten. Liebe ist im rechten Augenblick das Richtige zu tun. Liebe ist, authentisch zu sein. Liebe ist aber auch wie in „Wish you where here“ nur und aus genau dem Grund, weshalb dieser Song geschrieben wurde.

        Nein, romantisch ist das nicht gemeint. Es ist viel mehr (im Song geht es um den Tot eines Freundes). Manchmal ist es:

        Two lost souls swimming in a fish bow, year after year.
        Running over the same old ground What have we found?
        The same old fears. Wish you were here.

        Widersprüchlich? Ich hoffe es doch. Du kannst doch selber wählen. Nur langsam, ohne Hast.

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  5. Hhim letzten Jahr starb ein Mensch, von dem ich mich mal heftigst entliebt habe.
    Es tat furchtbar weh, trotzdem.
    Ich glaube, entlieben geht nur bis zum Selbstschutzlevel. Tiefer kommt man nicht.

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    • Das glaube ich auch.
      Als ich vom Tod eines früheren Weggefährten erfuhr, der abgründig ekelhaft zu mir war, war ich trotzdem tief erschüttert und traurig. Sie nehmen etwas mit von einem, die ehemals Geliebten.

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  6. Ach, der Neuseeländer! Er hat nur die Verpackung geliebt nicht den Inhalt. Er hat die Bindfäden geöffnet und inder Verpackung Verderbliches entdeckt. Er hat Angst vor seiner eigenen Zukunft bekommen.

    Er hat nur scheinbar in dem Moment gelebt.

    Da finde ich Deine Einstellung viel besser: „Keinen Horizont zeichnen, wo keiner ist.“ So läßt sich die Zeit mit der Geliebten (oder dem Geliebten) in das Unendliche ausweiten.

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  7. Pingback: Fremde Federn: Lieben | sunflower22a

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