Die Vollzähligkeit der Sterne

Whistler_James_Nocturne_in_Black_and_Gold_The_Falling_Rocket_1875

Nichts auf der Welt, das über mich hinausweisen würde. Nichts, was nicht ich wäre. Sämtliche Motive, jede Regung, alles Elend und Glück. Abgründe, Morde, Sterben, Geburt. Jeder Sturm, der sich zusammenbraut, sich auftürmt und herniedergeht, immer auch ich.

Das schwarze Loch verschlingt den Superstern: mich.

Die Geschichten anderer. Kenn ich weiß ich war ich schon.
Mir Gedanken aneignen, die meine sein könnten.
Die Cloud, universelles Wissen, greifbar für jeden, größer als wir.
Das Wunder des Korbflechtens.
Unsere Ahnen, unsere Erinnerungen, unser Weg.
Der ewige Pflug.

Ein Sommerabend an der Oberen Altmühl. Der Dreiseitenhof aus dem 17. Jahrhundert.
Die einzige Straßenlaterne im Dorf ist schon um 11 Uhr erloschen. Nun ist es Nacht, der Himmel schwarz, die Glut meiner Zigarette das einzige Licht.
Schweigend sitzen wir im Innenhof, die Anwesenheit der Anderen fühlbar wie die vertraute Wärme der ruhenden Herde. Geborgenheit.

Ich blicke nach oben und suche etwas, woran das Auge Halt findet.
Ein Licht, ein Flackern, ein Nebel. Fern und klein, aus einer vergangenen Zeit, einer fernen Galaxie. Ein Punkt und noch einer. Ein weiterer, unendlich viele, je länger ich schaue.
Hell und heller wird es und ich immer kleiner.

Den Kopf in den Nacken gelegt spüre ich den Sog des sich ausdehnenden Nichts und eine gewaltige Angst überkommt mich, die auf mich drückt, dass ich kaum atmen kann.
Ein Tiefensog, Bedeutungslosigkeit, Selbstauflösung bis hin zum schieren nackten Sein, das Verschwinden und Aufgehen im All, in Allem.

Kein Oben und Unten, kein ich und Du, nur Demut und Gnade.

Titel: Hans Blumenberg „Die Vollzähligkeit der Sterne“

13 Kommentare zu “Die Vollzähligkeit der Sterne

  1. Wie machst du das nur? Kommen deine Worte von dort oben, dem gestirnten Himmel? Der Blick nach oben ist ja eigentlich ein Blick in die Vergangenheit. Nur wo wir stehen ist die Gegenwart und die Zukunft liegt irgendwo vor uns.

    Unsere persönliche Vergangenheit hat ihre Heimat in unserem Kopf gefunden. Wir sind nur eine Ansammlung von subatomaren Teilchen die eines Tages von uns weichen.

    Genieße die Beziehungen zwischen deiner Vergangenheit im Hirn und der Vergangenheit die vor dir, am gestirnten Himmel, liegt. Das ist eine Zwiesprache die wir alle haben sollten.

    Gefällt 1 Person

  2. Das klingt, gerade ab ‚Den Kopf in den Nacken gelegt‘, nach einer sehr besonderen Erfahrung und erinnert mich an etwas, das ich einmal bei Tag hatte, auf einem sommerlichen abendlichen Feldweg spazierend, in den Himmel blickend, wo’s wie eine durchsichtige große halb spiegelnde Kugel erschien, die sich dann (und die ganze Welt und mich selbst) von innen nach außen stülpte, alles umfassend, alles in sich schlingend und vernichtend und vereinend zugleich.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..