Kennen Sie sich aus mit Postfaschismus?, fragt die Frau, als sie von hinten an uns herantritt und legt dabei eine Hand auf M.s Schulter.
Sie spricht mit einem weichen Akzent, den ich nicht einordnen kann. Eine Französin vielleicht?
Nein, sagt M. freundlich und ich staune wie entspannt sie bleibt.
Nein? die Stimme hat jetzt mehr Nachdruck und auch der Griff wird fester.
Sie kennen sich nicht aus mit Postfaschismus?
Am Ende des Satzes schreit sie beinahe und die Stimme droht ins Hysterisch-Schrille zu kippen. Wortlos dreht M. ihre Schulter aus der Umklammerung und wir gehen weiter ohne uns umzudrehen. Die Frau lässt nicht locker. Keifend läuft sie uns, inzwischen mit sich überschlagender Stimme, hinterher, und ich glaube ein leichtes Zittern darin zu hören, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie wild gestikulierend mit den Armen herum fuchtelt.
Sie kennen sich nicht aus? Sie kennen sich nicht aus? Nein? Sie postfaschistische Hure! Sie Hure! Sie instrumentalisieren Andere! Das machen Sie!
Sie postfaschistische Hure!
Schweigend gehen M. und ich weiter und lassen die erzürnte Frau hinter uns am Boule-Platz zurück.
Ein Frühlingstag in Kreuzberg.
Dieser Zorn – was soll er? Was denken sich diese Leute? Warum ein neues Wort (Postfaschismus) mit Hure verbinden? Es erscheint mir, diese Dame hatte eine Tablette zuviel genommen.
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Berlin halt, nicht weiter bedeutungsvoll. Das ist dort und speziell am Boule-Platz Alltag. Schlichte Normalität.
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Tatsächlich?
Mir ist das in 20 Jahren gestern zum ersten Mal passiert. Vielleicht war ich vorher einfach mit den falschen Leuten unterwegs.
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Oder eine zu wenig. Es gab Zeiten, in denen man sich in Kreuzberg in den Postfaschismustheorien auskennen musste, um nicht beschimpft zu werden. Vielleicht ist die Dame da hängen geblieben…
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interessant, deine Bebilderung
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Die Härte im Ausdruck fand ich ganz passend.
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Pik Schokalskowo… nie gehört, aber jetzt weiß ich es. Dachte zunächst an einen russischen Revolutionär und einen möglichen Bildungsabgrund. Vergletscherte Flanken… hätte ja sein können. Deine Überschriften sind jedenfalls eine Wissenschaft für sich.:-)
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Beinahe hätte ich mich damit abgefunden, dass überhaupt niemand jemals über den Sinn oder Unsinn meiner Überschriften nachdenkt.
Ich freue mich, dass Du es tust.
Es war wie so oft: auf der Suche nach einem passenden Bild zum Beitrag ergaben sich die merkwürdigsten Suchergebnisse. Zu “Postfaschistische Hure” fand sich nichts, dafür stieß ich auf eine Wiki-Diskussion in der darüber beraten wurde, ob man nun ein Genetiv-S an den Namen des vergletscherten Berges hängen könne/ solle oder nicht.
Das gefiel mir so gut und erschien mir obendrein zu der surrealen Situation, die ich beschreibe zu passen, dass ich den diskutierten Satz kurzerhand als Titel wählte.
Lange Erklärung. ich hoffe sie erhellt mein Vorgehen ein wenig.
Meistens sind echte Bezüge zum Text vorhanden, dieses Mal musste ein guter Klang reichen.
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Über eine Deiner Überschriften bin ich mal an den Hersteller von Aufzügen geraten, in Gebäuden wie dem Empire State Building oder so, wenn ich mich richtig erinnere, bot jedenfalls Stoff für jede Menge Geschichten über den eigentlichen Text hinaus..;-)
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Ah, Flohr-Otis meinst Du.
Dieses Wort gehörte zu den ersten, die der Eine als Kind las, als er in einem Aufzug stand und auf das Bedienfeld schaute.
Er wusste nicht was es bedeutete, aber er fragte auch niemanden, sondern trug es wie einen Schatz mit sich herum. Es gehörte ihm.
Ich mag diese Geschichte und ich mag diesen Menschen.
Deswegen Flohr Otis.
So wusste er, dass meine Worte (auch und vor allem) an ihn gerichtet sind.
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Flohr-Otis, genau. Ich liebe ja solche Geheimbotschaften, die für Außenstehende eigentlich nicht zu entschlüsseln sind, um die sie nur ihre eigenen Geschichten spinnen können..:-) – Daraufhin muss ich den Text doch direkt noch einmal lesen…
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Es war ein Liebesgedicht. Natürlich.
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