Ach, Kreuzberg

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Kreuzberg ist der interessanteste und vielfältigste Bezirk Berlins.
Das haben inzwischen auch andere spitz gekriegt und sich nach und nach ins Paradies eingekauft. Weil sie es sich leisten können.
Eigentlich, so meinte K. neulich, sollte man Sticker drucken lassen. Darauf Jesus, wie er auf dem Esel reitet.
Den kleben wir dann auf die Scheiben der dicken Angeberkutschen, damit sie sich schämen.
Schämen
, lache ich. Dafür müsste man ja erstmal sowas wie ein Schamgefühl haben und wenn sie das hätten, würden sie erst gar nicht mit den Klunkern klimpern und Andere aus ihren Wohnungen verdrängen.

Manche kriegen den Hals gar nicht voll und bewohnen zu zweit ein ganzes Mietshaus. Mitten in der Stadt. Ja, das dürfen die, denn wer das Geld hat hat das Recht, das war schon immer so.
Zwar können sie auch nicht mehr als ein Schnitzel essen, wie ein Kollege von mir immer wieder behauptete, aber sie können dabei viel mehr Schaden anrichten als Menschen mit Durchschnittseinkommen oder sozialem Gewissen.
Inzwischen schwappt der Ungeist des Kapitals mehr und mehr auch über meinen Kiez und verändert sein Gesicht rasant. Es ist wie überall: das, was ihnen gefällt zerstören sie durch ihre Inbesitznahme.
Der Tauchausflug ins empfindliche Korallenriff.
Irgendwann ist alles tot. Wie am Prenzlauer Berg.

Die Grenze verläuft nicht zwischen dir und mir
Sie verläuft zwischen oben und unten

stand jahrelang als ungelenkes Graffiti auf einer Brandmauer am Bethaniendamm. Und tatsächlich ist aus dem einst dahin plätschernden Leben in Kreuzberg eines geworden, das nicht mehr zwischen Ich und Du, sondern zwischen Freund und Feind unterscheidet, zwischen oben und unten. Es gibt jetzt einen Gegner, einen Feind im Inneren, den man an seinen Insignien erkennt und, im Wissen, dass das nichts nützen wird, nach Leibeskräften bekämpft verachtet ablehnt. Immerhin sind wir moralisch im Recht, irgendwie.
Bis auch mein kleines Biotop für seltene Arten zerstört ist und das hässlich-einförmige Gesicht der bereits übernommenen Gebiete übergestülpt bekommt, nutze ich die Galgenfrist um das, was ist zu genießen.
Etwas anderes bleibt ja nicht.

Ach, Kreuzberg.

17 Kommentare zu “Ach, Kreuzberg

  1. Eigentlich warte ich auf die Yuppisierung des Kreuzberges schon seit dem Fall der Mauer. Die Lage ist einfach zu zentral. Selbst im fernen Neuseeland wurden wir neulich gefragt, ob wir aus Kreuzberg kommen, nachdem wir uns als Berliner geoutet hatten.

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    • Das stimmt. Lange Jahre habe ich mich gefragt, wieso Kreuzberg, und vor allem der süd-östliche Teil mit seiner zentralen Lage und der schönen Bausubstanz, nicht vom Geld heimgesucht wird. Es lag wie in einem Dornröschenschlaf. Und plötzlich schlug die Gentrifizierung mit einer Wucht zu, wie es bis dahin nur die Ostbezirke ertragen mussten.

      Dass man selbst in Neuseeland Berlin mit Kreuzberg gleichsetzt spricht Bände…

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      • Diese Ecke wurde aus meiner Sicht lange nicht heimgesucht, weil nach der Wende zunächst in den ganzen Stadtteilen, die im ehemaligen DDR-Teil lagen (wie eben Prenzlauer Berg) mit Modernisierung, Investition etc. begonnen wurde.
        Und ich glaube, dass zumindest diese Ecke (damit meine ich vor allem das alte Gebiet SO 36) von Kreuzberg auch recht wehrhaft war und ein in sich so geschlossenes „Geflecht“, dass da so schnell niemand hinein kam.

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        • Früher war SO 36 so wehrhaft, dass die Frühstücker am Heinrichplatz die wenigen Touristenbusse, die sich damals in den Kiez wagten, mit Eiern bewarfen, damit sie bekamen, was sie erwarteten.
          Hat lange gedauert, bis die ersten Invasoren kamen.

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      • Ich denke es gibt mehrere Faktoren, weshalb die Ostbezirke eher dran waren. Zum einen war dort der bauliche Zustand schlechter, d.h. man hat dort sowieso investiert, zum anderen sind halt weitgehend ausländerfreie Viertel für die mittlere und obere Mittelschicht weitaus attraktiver als eine Gegend, die für ihre türkische Wohnbevölkerung bekannt ist.

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  2. Ich habe das ja schon mit Fhain hinter mir. Wenn ich nun drei Jahre nach dem Wegzug in mein Ex-Viertel gehe, bin ich fast froh, dort nich mehr zu wohnen. Ich vermisse immer noch den Blick über das Viertel vom Dach aus, inkl. Silvesterfeuerwerk.

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  3. Was mir an Kreuzberg fehlt, ist Toleranz! Es herrscht hier eine Art selbstgerechter Konservativismus, ein Denken in Klischees. Andersdenkende werden ausgegrenzt, „Besserverdienende“ stigmatisiert, Veränderungen nicht zugelassen. Ich wünschte mir mehr Offenheit, ein „Sowohl als auch“, Eigentums- und geschützte Sozialwohnungen, Wildheit und Eleganz, Altbau und Neubau …kein Ghetto, eine lebendige Mischung!

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    • Ganz ehrlich E., da muss ich wirklich laut lachen.
      Andersdenkende werden in Kreuzberg ausgegrenzt und Veränderungen nicht zugelassen?
      Gentrifizierung heisst das Thema und über nichts anderes schreibe ich in diesem Text.
      Die lebendige Mischung hatten wir, die musste uns nicht, wie das Licht in die Dunkelheit, gebracht werden. Im Bezug auf das Taut-Haus hatten wir das Gespräch über Vielfalt schon einmal: Vielfalt ist nicht, wenn lauter sehr wohlhabende Leute verschiedenen Alters in einem Haus wohnen. Es bedeutet, dass alle Schichten, Alter, Ethnien etc. zusammen leben.
      Ich glaube, da braucht Kreuzberg keinen Nachhilfeunterricht. Das konnten wir.
      Hier wohnten schon immer Arbeiter, Schauspieler, Angestellte im gleichen Haus.
      Was wir nicht brauchten waren die unverschämten, dreisten, ignoranten Geldsäcke.
      Und Eleganz? Wer Eleganz will kann doch bitteschön woanders hingehen. Berlin ist groß.
      Kreuzberg bleibt unhöflich.

      Dass Du Dich anscheinend von meinem Text angegriffen fühlst, bedaure ich, ändert aber nichts an meiner Haltung.
      Gentrifizierung ist keine Erfindung der Betroffenen. Sie ist ein Fakt. Wer am anderen Ende der Einkommensskala sitzt, weiß wahrscheinlich nicht, wie das ist, wenn der Ort an dem man Zuhause ist aufgekauft und nach den Vorstellungen der Leute, die das Geld haben verändert wird.
      Es gibt Dinge, die sollte man nicht kaufen dürfen. Dazu gehört der Wohnraum anderer Menschen.

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      • Bestehenden Wohnraum anderer Menschen nicht zerstören, Altbausubstanz und, unbedingt, Sozialwohnungen erhalten, sowie eine endlich wirksame Mietpreisbremse, damit rücksichtslose Spekulation verhindert werden kann, das ist auch mein Wunsch!.
        Zum Tauthaus (in Mitte, ehemaliges Bürohaus aus den 30ern, 10 Jahre Leerstand, Bauruine und Denkmal, war vorher kein Wohnhaus und wurde nie besetzt) Ausgerechnet da wohnen und arbeiten im Moment nicht nur „sehr wohlhabende Leute“, sondern auch Familien aus dem Mittelstand und Studenten (es gibt auch kleine Wohnungen).

        Belehren will ich niemanden, nur kritisch hinterfragen dürfen, ob das Stigmatisieren und Wegjagen sogenannter „Besserverdiener“ (es gibt auch Altkreuzberger darunter) den Armen vor Ort hilft.

        PS: Armut kenne ich aus eigener Erfahrung. Lange lebte ich unter dem Existenzminimum, in einer kalten Wohnung ohne Bad, ohne warmes Wasser, mit Klo im Hausflur und Holzofenheizung.

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        • Selbstverständlich darfst Du kritisch fragen.
          Zum Taut-Haus: die Quadratmeterpreise waren damals, als die Wohnungen verkauft wurden, so exorbitant hoch und wären es für heutige Verhältnisse auch noch, dass es schwer vorstellbar ist, dass dort ganz normale Studenten zur Miete wohnen. Wohl doch eher Söhne und Töchter mit Geldhintergrund. Ist mir aber auch im Grunde egal. Es ist schlicht Fakt, dass nur Menschen mit sehr hohem Einkommen oder Vermögen sich die Wohnungen leisten konnten. Ob diese früher mal arm oder Altkreuzberger waren ist mir ganz gleich. Nicht die Herkunft, sondern das Handeln zählt und wie das genau mit Eurem Haus war, dass ja in Mitte steht, weiß ich nicht, deswegen schreibe ich nicht darüber.
          Gentrifizierung findet statt. Menschen werden verdrängt. Von diesen dann ein bisschen Toleranz einzufordern gegen die Verdränger ist, mit Verlaub, grotesk.
          Das Wort Stigmatisierung in Verbindung mit „Besserverdienern“, finde ich dann schon wieder schreiend komisch.
          Du hast echt Humor.

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    • Danke für den Link- kommt in meine Blogroll zu den anderen über Gentrifizierung.
      Alles was Innenstadt ist wird dieses Schicksal erleiden, befürchte ich.
      Wir sehen uns dann irgendwann am Stadtrand wieder. Nicht in den Grunewaldvillen, versteht sich, sondern in den Ostplatten.

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  4. Sorry, ich schätze Deinen Blog, Ich bin nur empfindlich bei Pauschalverurteilungen einzelner Bevölkerungsgruppen, egal ob Unter-Mittel- oder Oberschicht.

    Beim Tauthaus (ehemaliges Bürohaus in Mitte) hast Du Dich vermutlich zu spät informiert. Anfangs waren die Preise halb so hoch wie heute üblich, aber leider nur anfangs (die denkmalgerechte Sanierung war offenbar teurer als erwartet). Aber wenigstens konnte das Gebäude gerettet werden.
    Ich kenne da tatsächlich eine Wohnungsbesitzerin, die ihre kleine Wohnung an eine Studentin lediglich zum Preis der Nebenkosten-Pauschale vermietet (eine Ausnahme, aber immerhin).

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    • Ich bin über die Preise des Taut-Hauses vollumfänglich im Bilde, das kannst Du mir glauben. Es ist so etwas wie mein Hobby den Ausverkauf der Stadt zu verfolgen, zu recherchieren und Auskünfte einzuholen. Aber das spielt auch keine Rolle. Dann sind die Bewohner halt nicht steinreich, sondern sehr wohlhabend. Auch das ist mir egal.
      Denn ich habe nicht per se etwas gegen jeden der ein bisschen mehr Geld verdient. Es ist der Umgang damit, den ich manchmal abstoßend finde. und ich finde es schwierig, wenn dann versucht wird die Opfersituation umzukehren.
      Das erinnert mich wirklich sehr an diesen Unsatz: Stop bashing the rich.
      Ich kenne Dich nicht, ich will nicht über Dich urteilen. Dass ich zum Ausdruck bringe, wie ich darunter leide, dass mein Kiez aufgekauft wird kannst Du sicher nachvollziehen. Ich werde es mir nicht leisten können auf Dauer hier zu bleiben, weil immer mehr Leute kommen, die unsere Wohnungen bewohnen wollen und diese Leute uns verdrängen. Das prangere ich an, mehr nicht.

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  5. Das kann ich sehr gut verstehen! Das ist schlimm und beängstigend! Ich wünsche mir von Herzen, dass Du weiter in Kreuzberg wohnen kannst. Versteh mich bitte richtig:
    Ich will keine Opfersituation umkehren. Mir ist sehr klar, wo die Starken und wo die Schwachen sind. Aber ich sehne mich nach einer nachhaltigen, politischen Lösung, die ein Miteinander zulässt, die neue Arbeitsplätze schafft, gerade für die ärmere Bevölkerungsschicht, die Altsubstanz erhalteten hilft, um den Ausverkauf und die architektonische Verschandelung dieser Quartiere aufzuhalten, und die gleichzeitig den Verbleib der ärmeren Einwohner verantwortungsvoll mitträgt. Ein „Reichenghetto“ wäre fürchterlich, ein „Slum“ aber auch.
    Was mir in Kreuzberg und an der Grenze zu Mitte unangenehm auffällt, ist die Verhärtung und Agression auf beiden Seiten, dieser aufkeimende Kleinkrieg, die schwarz vermummten, gewaltbereiten und paramilitärisch auftretenden nächtlichen Truppen oder die glatzköpfigen Securitaswächter vor Hauseingängen, oder die Vergitterungen vor Neubauten und neuerdings die vielen Polizeistreifen. „Schäm Dich“- Kleber sind da aus meiner Sicht einfach unwirksam. Die verantwortlichen Politiker müssen endlich aufwachen und die Bewohner schützen, auch Dich!

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