Hinter dem Thron

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Wir fahren auf der Autobahn Richtung Hamburg. Stadtkoller und Sehnsucht nach dem vergangenen Sommer.
Noch einmal in den Märchenwald, einen Vollmond später. Rehe, Füchse, kleine Tiere im Scheinwerferlicht sehen.
Der Hinweg führt durch spätsommerliche Landschaft.
Autobahnbäume, deren silbrige Kronen sich im Fahrtwind der schweren Lastwagen hin und her werfen. Tosende Einsamkeit.
Später dann über Land. Abgeerntete Felder mit runden Heuballen.
Am Wegesrand ein kleiner Hof mit Verkaufsladen. Im Vorbeifahren sehe ich Ziegen und Zicklein, die sich um eine hölzerne Futtertraufe drängeln und mit gereckten Hälsen einzelne Halme aus dem großen Ballen zupfen.
Wenige Meter weiter bietet ein Schild Ziegenkäse, Ziegenmilch und Ziegenfleisch zum Verkauf an. Nutztiere.

Ihr seid nicht da um geliebt zu werden.

Eine Stadt im Osten, erbaut aus Backsteinen, glattsaniert mit EU-Geldern.
Ungenutzte Radwege, schattige Alleen, Kopfsteinpflaster, leere Straßen.
Vorbereitung auf ein Leben, das lange zurück liegt und niemals beginnen wird. Spielwelt.
Ein großer, lang gezogener See. Wasser soweit das Auge reicht. An der breiten Uferpromenade stellen die Schwäne die Flügel auf und fauchen die Hunde an, als wir vorbei schlendern. Möwen schaukeln auf dem Wasser, ein Blässhuhn jagt krächzend einer Ente hinterher.
In dem Pavillon am Ende des Stegs sitzen zwei Teenager ineinander verschränkt da und befummeln sich mit Krakenarmen.
Falling down
Kurz hinter dem großen Außenbereich der holzverkleideten Therme endet der Uferweg.
Ein Zaun, Zutritt verboten.
Auf der anderen Seite Wildwuchs, eine halbzerfallene Fabrik, Geröllberge, Glasscherben. Die typischen großen Bodenplatten, die ich nur aus dem Osten kenne und mit denen die Transitstrecke gepflastert war.
Mit ein paar Sätzen sind die Hunde im staubigen Dickicht verschwunden. Man hört es rascheln, hier und da schreckt ein Vogel auf und fliegt davon.
Gelb blühen Rucola und Goldrute, vereinzelt stehen trockene Ähren im wuchernden Unkraut. Zitronenfalter flattern paarweise umher.
September.

Hinter der Brache stoßen wir auf eine kleine Straße, die über eine verengte Stelle des Sees führt. Drüben bringt uns ein Hohlweg wieder hinunter ans Wasser.
Hintereinander laufen wir durch den grünen Tunnel. Erinnerungen an die Kindheit zwischen Schule, Schlingpflanzen und Schrebergärten.
An einer Stelle verbreitert sich der Weg zum See hin und eine quadratische Liege aus Holzlatten lädt zum Verweilen ein. Im Schilf liegen Prospekte, zerknüllte Alufolie und Fastfood-Verpackungen. Daneben lässt eine alte Trauerweide ihre langen Äste ins Wasser hängen, in ihrem Schatten stehen kleine Fische am sandigen Grund.
Wir essen einen Apfel und kraulen die Hunde, die auf die Bank gesprungen sind und sich neben uns gelegt haben.
So sitzen wir im Sommerduft. Die große Stadt ist weit entfernt, die Sonne brennt auf der Haut. Die Zeit plätschert gemächlich dahin.
Schön ist es hier. Das könnte man öfter mal machen. D. erinnert sich an ihren Liebhaber mit dem rostigen Cabriolet. Ob man den nicht doch nochmal aufleben lassen sollte um gemeinsam an den See zu fahren und sich den Wind durch die Haare blasen zu lassen? Ach was, das lohnt nicht; bald ist Herbst und dann nützt auch das Auto nichts, wenn der Mann nicht taugt. Wir lachen.
Am späten Nachmittag ziehen Wolken auf. Mit ihnen kommen die Boote. Ihre weissen Segel leuchten vor milchigem Graublau.
Weit hinten am Horizont fließen Himmel und Erde ineinander.

Gegen Abend gehen wir zurück zur Promenade und nehmen bei dem Biergarten unter den großen, orangefarbenen Schöfferhofer-Schirmen Platz. Am Nachbartisch trinkt einer ein frisch Gezapftes. Sein Glas ist beschlagen. Zum ersten Mal seit langer Zeit flackert Hopfendurst in mir auf und erlischt sogleich wieder. Ich bestelle einen Cappuccino. D. erkundigt sich nach Gebäck. Mandarinenkuchen gibt es, mit Stückchen. Ansonsten Fischbrötchen. Sie bestellt einen Kuchen.
Wir schauen auf den See, der ruhig vor uns liegt und unterhalten uns über den Islamischen Staat. Im Fernsehen haben sie gezeigt, wie die Krieger des IS eine Gruppe Ungläubiger erschießen. (Eure Morde sind barbarisch, unsere notwendig). Grund allemal für Waffenlieferungen an die Kurden.
Wir reden über die Brutkastenlüge. damals beim Zweiten Golfkrieg; herbeifabulierter Kriegsgrund. Über die Ukraine-Krise und die fortschreitende, immer unverhohlenere Macht des Kapitals. Über  affirmative Presse, neoliberalen Druck, Ausbeutung, Arbeitssklaven, Menschenhandel, Überwachung, Sozialabbau und über die vielen Kriege, die näher und näher rücken. Atem anhalten.
Schweigen.
Wir zahlen.
Auf dem Weg zum Auto, drehen wir noch eine kleine Runde durch die Stadt und begegnen gleich zwei Mal dem selben Mann, der mit Camouflage-Klamotten, Oberlippenbärtchen, ausrasiertem Nacken und weißem Terrier seinen Abendspaziergang macht und uns freundlich zunickt.
Ansonsten sind nur wenige Menschen auf der Straße unterwegs, an diesem lauen Spätsommerabend. Kein Lokal weit und breit.  Sämtliche Geschäfte geschlossen. Ein Schaufenster in der Fußgängerzone stellt Waffen und Schneidwerkzeuge aus, ein anderes gebrauchtes Kinderspielzeug. Daneben die Angebote des Immobilienmaklers, der ganze Häuser mit Grundstück zu Spottpreisen verschleudert.
Auf der großen Wiese im Zentrum lassen wir die Hunde noch einmal laufen, ehe wir uns auf den Heimweg machen.
Die Sonne steht tief, das Licht ist golden. Wir fahren zurück in die Hauptstadt.

2 Kommentare zu “Hinter dem Thron

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