Die Tage vergehen, und schon ist es Sommer.
Bis zu unserer Hochzeit in Dänemark sind es keine 6 Wochen mehr.
13. August, Tag des Mauerbaus.
Eine Vollmondnacht.
Queremos compartir con vosotros la última luna llena antes de nuestra boda
Wir haben die Papiere übersetzen lassen und die Einladungskarten für den Junggesellenabschied verschickt. Die Trauzeugen sind geladen, das Hotel auf Nykobing Falster, die Fähre dorthin, sowie der Flug für D.s Mutter sind gebucht. Sie wird aus Lima anreisen und bei mir wohnen, bis D. und ich Berlin verlassen und nach Dänemark fahren.
Unsere Trauzeugen, Anton, und Xavier mit seiner Frau Dolores werden uns auf dieser kleinen Reise begleiten.
Der eine aus Freundschaft, die anderen aus Überzeugung.
Lieber wäre mir, seine Mutter hätte sich für eine Pension irgendwo in der Nähe entschieden, aber D. zuliebe wird es genau so laufen, wie sie es möchte. Keine Eskalation auf die letzten Meter.
Bereits der erste Eindruck, als ich sie auf den Fotos sah, die D. mir damals in Barcelona zeigte, legte einen Schatten auf alles, was noch kommen sollte.
Wir teilen nicht nur die Liebe zu ihrem Sohn, wir haben auch das gleiche Gesicht.
Sie mag dich, erzählt er mir Wochen später. Sie findet dich schön.
Seitdem ist sie Schritt für Schritt ein wenig näher an mich heran gerückt, und inzwischen schickt sie mir alle drei Tage Mails, die meist um sie oder ihren Sohn kreisen.
Wenn sie es sich leisten kann, ruft sie an.
Einmal am Telefon reden wir über die Katzen, und sie erzählt mir die Geschichte von ihrem Kater Puchy, der vor Jahren bei der Kastration verstarb. Nie wird sie sich das verzeihen können, niemals. Ein so junges und bezauberndes Tier. Ein harmloser Eingriff. Eine unbekannte Herzerkrankung. Wer konnte das ahnen? Plötzlich bricht sie in Tränen aus, und schluchzt eine kleine Weile in die Muschel.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Da gibt es ganz andere Dinge, die du dir nicht verzeihen solltest, denke ich, und merke, wie erneut Wut und Ekel in mir aufsteigen.
Mit kraftloser Stimme versuche ich ein paar tröstende Worte auf spanisch, die sie derart anrühren, dass sie gleich wieder geschüttelt wird von vergangenem Leid.
Ich hasse sie, diese Irre, dieses Monster. Unser Unglück.
*
Seit meinem letzten Aufenthalt in Barcelona ist die Stimmung zwischen mir und D. angespannt. Verzweiflung macht sich breit.
Wir halten einander nicht mehr, wir umklammern uns. Unsere Küsse sind Bisse, sein Griff hart, der Sex grob. Oft weine ich, nachdem wir uns geliebt haben und er sich zur Seite rollt. Ohne mich zu umarmen. steht er auf und geht in die Küche, wo er eine Zigarette nach der anderen raucht. Den Ascher, wie einen Teller vor sich auf dem Tisch.
Sein Blick ist kalt. Er ist enttarnt.
*
„Ledig, junge Frau, sind sie nur genau ein Mal im Leben, sagt der Mann vom Einwohnermeldeamt zu mir. Danach sind sie verheiratet, geschieden oder verwitwet, aber nie wieder ledig.“
Ein Gefühl, als müsste ich meine Jungfräulichkeit auf einem Beamtenschreibtisch opfern.
Jeder mögliche Fehltritt in der Zukunft wird kein Ausrutscher, sondern gleich Ehebruch sein.
*
Seine Mutter. Ihre Hassnachrichten auf dem Anrufbeantworter, wenn sie ihn nicht erreicht.
„Eres una mierda! Du bist ein Stück Scheiße!“
Das ständige Einfordern von Mails, Fotos, täglichem Kontakt.
Oft ist D. so erschöpft, dass er mit dem Gesicht nach unten auf das Bett fällt und sofort einschläft.
Seine Haut ist fettig der Rücken voller Furunkel.
Er raucht Kette, die Hände sind schwitzig, seine Augen glasig geädert vom Druck.
Online Bücher verkaufen, das könnte Geld bringen. Aber ohne Startkapital? Die Übersetzung der neuen Windows-Oberfläche ist ein Lichtblick.
Der Auftrag soll in Jena ausgeführt werden. Keine zwei Autostunden von Berlin. Wir werden uns also sehen in diesen drei Wochen.
*
In seinem fensterlosen Badezimmer ein Druck von Modigliani. Eine dunkelhaarige Frau mit dürrem Torso und Wespentaille.
Beinahe wie ich.
Ihr Gesicht geheimnisvoll, der Blick matt.
Ich suche nach einer Nagelfeile und finde mehrere halbausgedrückte Blister: Rohypnol, Lexotanil und Valium.
Als ich sie ihm hinhalte, ist er erstaunt.
„Das wusstest du nicht? Wie naiv du bist.“
Mein Kinn zittert.
*
Wir sitzen im Café und lesen. D. lässt das Buch sinken und schaut mit gerunzelter Stirn auf meine Beine.
„Jeder kann Dir in den Schritt schauen“, sagt er unvermittelt.
„Das stimmt nicht.“
„Doch, wenn ich mich bücke, kann ich deinen Slip sehen. Ich will nicht, dass du solche Kleider trägst. Wie eine Schlampe.“
Die Härte seiner Worte trifft mich. Ich tue, als würde ich es leicht nehmen.
„Nur Kleinkinder oder Hunde könnten mir in den Schritt schauen, und auch das nur, wenn sie sich extra nah heranpirschen und flach auf den Boden legen“, sage ich lachend.
Er verzieht das Gesicht und wendet sich wieder seinem Buch zu.
Es ist der Ekel vor sich selbst, das weiß ich, und trotzdem tut es mir weh.
In der Nacht werde ich wach. D. steht neben dem Bett und greift nach meiner Schulter.
„Hier! Schau her! Míra!“
Er hat ein großes Badetuch um die Hüften gebunden, darunter ist er nackt.
Breitbeinig setzt er sich auf einen Stuhl vor mich hin, so, dass das Handtuch um seine Oberschenkel gespannt ist, und ich direkt auf seine Hoden und seinen schlaffen Penis blicke.
„Was siehst du?“ fragt er mich und ich spüre seinen Zorn.
„Ich weiß worauf du hinaus willst, antworte ich, aber ich liege ja schließlich, und so habe ich nie da gesessen.“
„Sag mir einfach, was du siehst!“ Er hebt die Stimme.
„Ich sehe deinen Schwanz.“
„Exakt! Du siehst meinen Schwanz. Und zwar deswegen, weil ich breitbeinig und mit kurzem Rock, wie eine Nutte dasitze.“
D. springt auf und wirft mit einer schnellen Handbewegung den Stuhl um.
„Du kannst es doch wenigstens zugeben! “
„Was denn? Dass ich eine Nutte bin? Dass du eine Schlampe heiraten wirst? Was willst du eigentlich von mir?“
„Dass du es einfach endlich zugibst!“
Ich schweige und schaue ihn an. Er starrt zurück, und gleichzeitig durch mich hindurch.
Plötzlich schlägt er beide Hände vors Gesicht und setzt sich neben mich aufs Bett.
Ich streichle sein Bein.
Was bisher geschah: Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV und Teil V hier.
Seltsame Gefängnisse die Mensch sich selber schafft, Ketten die wir uns, und anderen, anlegen. Gefängnisse ohne (sichtbare) Mauern; Ketten schwer wie Ankertaue, obschon sie den feinen Fäden an Marionetten gleichend ungleich schwerer zu durchtrennen sind.
Von ‚außen‘ betrachtet: irre – von ‚innen‘: unausweichlich, unentrinnbar.
Und wenn sie ihrer Kraft beraubt, scheint es (fast) lächerlich einfach sich ihrer zu entledigen – wäre da nicht die (mal dumpf, mal klare) Erinnerung.
***
Der Text bereitete mir Schmerzen, nachgerade körperlicher Art, was aber nichts Schlechtes ist (sein muß – für mich).
Danke.
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@Stony
Danke für Deinen Kommentar. (Musste bei dem Text an die Unterhaltung neulich denken).
Vielleicht war es kein Zufall, dass wir uns als Hochzeitstag den 13. August ausgewählt hatten.
Rückblickend fragt man sich wirklich, wieso man sich aus diesem Gefängnis nicht befreien konnte, obwohl die Türen weit offen standen wie Scheunentore.
Wenn der Text Dir Schmerzen bereitete, die sogar beinahe körperlich waren, dann habe ich alles richtig gemacht.
Das soll er, denn genau so war es: die Hölle, in der man innerlich wie äußerlich verbrennt.
D. hat es selbst einmal so genannt: ein Feuer, dass nichts übrig lässt außer Asche.
Als Musik zum Text, wollte ich eigentlich dies hier posten, war aber unsicher ob es nicht zu heiter ist:
Nun hab ich es doch noch gemacht.
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Auf Rocko als ‚Musik zum Text‘ wäre ich wohl nicht gekommen, finde es jetzt aber, nachdem ich mit dem Text ja quasi (natürlich nicht) ‚durch bin‘, nicht verkehrt. Schöner Kontrapunkt (sagt der musikalische DAU). :-)
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Kontrapunkt sagt der Kenner. :)
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Ich weiß nicht. Also wirklich. Joachim, zu Hülfe! :D
Meinereiner hätte wohl bei Julia Kotowski tagelang gesucht, vllt. ohne fündig zu werden, wobei das keine vertane Zeit gewesen wäre, nur womöglich dem Thema nicht angemessen… wobei, wer weiß. Julia ‚taugt‘ zu allerhand, wenn nicht mehr! ;-)
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Kannte ich nicht, Julia Kotowski.
Abgesehen, davon, dass sie gut aussieht, habe ich mich beim kurzen Herumklicken noch nicht überzeugen können.
Gibt es ein Stück, das ich kennen sollte, bzw. das Dir besonders gut gefällt?
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Tut mir leid, ich weiß nicht recht warum ich das schrieb. Normalerweise mach ich den Browser zu wenn ich vorhabe mich zu betrinken, ist diesmal schief gegangen. Ich suche mir dann mal ’nen Loch zum verkriechen. :-(
***
Kennen muß man von ihr nix – ich mag einfach das Schlichte an ihrer Musik und die Stimme; Favoriten habe ich eigentlich keine, wenn ich Beispiele bringen soll, würde ich ‚Run‘ und ‚What you get‘ empfehlen.
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Ach komm! Ich habe ja nich mal gemerkt, dass Du einen im Kahn hattest, und selbst wenn.
Hoffe Du bist wieder aus Deinem Loch draußen und stößt bei Gelegenheit mal auf mich an. :)
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Merci. Mach ich. ;)
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Dieses Klicken auf „gefällt mir“ ist mal wieder irgendwie nicht richtig: die Art , wie du uns als Leser dicht einwebst, nicht mehr loslässt, fasziniert mich, gefällt mir also.. der Inhalt lässt mich mal wieder die Luft anhalten…
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Wenn ich „gefällt mir“ klicke, dann oft auch aus den Gründen, die Du nennst: weil mich ein Text fasziniert obgleich sein Inhalt vielleicht schrecklich ist.
Danke für´s Lesen und das Kompliment.
Einweben ist schön.
Die Geschichte geht noch weiter, demnächst, und es kommt noch viel schlimmer…
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Au weia!
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Ja.
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Puh!
(Lange drauf gewartet, und wieder umgehauen worden. Starkes Stück.)
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Ja, hat lange gedauert. Brauche Ruhe und Muße zum Aufschreiben.
Der nächste Teil ist in Arbeit.
Danke für Deine Geduld.
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Das Grauen ist manchmal ein Fass ohne Boden. Statt endlich auf dem Grund aufzuschlagen, fällt man immer tiefer und tiefer. Das zeigt auch, wie individuell der Verlauf jeder Schmerzgrenze sein kann. Und dass so mancher Kelch bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken werden muss.
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Das sind Kraftproben, von denen man sich später fragt, wieso man nicht ausgestiegen ist.
Ein Abraham-Experiment mit sich selbst. Wie weit kann ich gehen.
Zum Glück Vergangenheit. Lehrreiche.
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Hass-Liebe = grauenhaft. Manche stehen drauf bis zum Ende.
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Manche leiden bis zum Ende.
Drauf stehen trifft es nicht.
Vorbei, vorbei. Man wird zum Glück erwachsen.
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