Cellar Door

Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verräterisch einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst nicht betreten haben würden – gibt es eine solche Macht, so muß sie in uns sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur so glauben wir an sie und räumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen.

E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann

Ein weiterer Nachmittagscappuccino am Potsdamer Platz. Dieses Mal gibt es endlich wieder Brezeln, sogar mit Butter, und dann auch noch knusprig (knusprig titten hitler).
Wäre ich auf der Suche nach guten Vorzeichen, so wäre dies eines.
Ich bin mit Freund K. verabredet. Wir wollen in den Großen Tiergarten gehen und die Hunde laufen lassen.
Der Himmel ist bewegt, die Luft klar. Schnell ziehende Wolken wechseln sich mit tiefblauen Feldern ab aus denen die Frühlingssonne (immer noch Frühling) auf uns herab scheint und selbst diesen unwirtlichen Ort beinahe schön macht.
Wir unterhalten uns über dies und das.
K. interpretiert seine erlittene Abfuhr bei einer Klientin als ageism und lookism.
Ich identifiziere sie als Notwehr bei Lüsternheit in einem Abhängigkeitsverhältnis. Wir lachen.
Über den großen Vorplatz der S-Bahn laufen die Menschen. Allein oder in Grüppchen.
Ich schaue herüber auf das Beisheim Center. Ein Gebäudekomplex wie aus einem Fachmagazin für totalitäres Bauen.
Hinter den dunklen Fensterreihen residieren millionenschwere Anrainer, mit dem Notwendigsten stets versorgt durch das aufmerksame Servicepersonal des, ebenso im Haus befindlichen, Ritz-Carlton-Hotel. Was für ein Leben.
Als mein Blick über den Platz schweift, erhellt sich die ohnehin gute Laune schlagartig um ein paar weitere Töne.
Ich freue mich. Ein regelrechtes Entzücken, das ich mir selbst nicht erklären kann, überkommt mich
„Guck mal, wer da ist!“
Mein Finger zeigt in Richtung zweier lebensgroßer Plüschmaskottchen, die dem Krümelmonster aus der Sesamstraße nachempfunden sind.
Das eine rot, das andere blau, schlendern sie mit starrem Blick und fröhlich geöffneten Mündern Arm in Arm über den Platz.
Ich erinnere mich dunkel an eine Liste mit Phobien, auf der, neben allerlei ungewöhnlichen Ängsten, wie beispielsweise jener vor Erdnussbutter die am Gaumen anhaften könne, ausgerechnet auch die Furcht vor genau solchen, lebensgroßen Maskottchen aufgeführt war.
Was mich zu der Geschichte von dem rosa Kaninchen bringt, das vor einigen Jahren im Görlitzer Park sein Unwesen trieb, indem es bei Einbruch der Dämmerung unvermittelt aus einem Gebüsch hervor trat und sich Radfahrerinnen in den Weg stellte, die den Park, trotz fortgeschrittener Stunde, als Nord-Süd-Passage nutzen wollten. Keiner der Frauen soll jemals etwas geschehen sein. Der Schreck allerdings, muss ihnen noch lange in den Knochen gesteckt haben.

Während ich die beiden Monster beobachte, die vor den S-Bahneingängen auf und ab flanieren, erzählt mir K. von seinem Traum, dessen Hauptrollen, neben einem weibliche Robot, der die Gesichtszüge jener ihn zurückweisenden Klientin trug, und dem ganze Kabelbündel aus dem aufgeklappten Rücken hingen, auch Mickey und Minnie Maus, sowie Goofy spielten.
Während die beiden Mäuse eine Art Kontrollfunktion für eine grob zusammen gezimmerte, hölzerne Achterbahn zu haben schienen, betätigte sich Goofy als Lotse, der ihn wiederholt aufforderte den Zweiten Weg zu finden.
Am Ende des Traumes stecken K.s  Hände in dem Rücken des überaus attraktiven, weiblichen Robot und er stellt fest, dass selbst die dort austretenden Kabel und Schläuche sich organisch und warm anfühlen und von einem Material ummantelt sind, das weich und seidig ist, wie menschliche Haut.
Nachdem sein Traum einen kurzen Augenblick zwischen uns hängt, wie ein großes Rätsel, fragt er mich ganz unvermittelt:

„Weisst du eigentlich, dass ich dich das erste Mal an dem Tag sah, an dem Prinzssin Diana starb?“
„Nein, das wusste ich nicht.“
„So war es aber. Und dann spülte der Zufall dich knapp drei Monate später, als meine Klientin, wieder in mein Leben.“
„Ich erinnere mich.“

„Was für ein Zufall, wenn man denn an Zufälle glaubt.“
„Dann ja.“

(Hier endet die Geschichte, deren Titel und vorangestelltes Zitat möglicherweise erst dann Sinn ergeben hätten, wenn sie fertig geschrieben worden wäre.
Als nächstes wäre von einer Erzählung Borges´ die Rede gewesen, im Anschluss dann von einer tschechischen Nummerologin, von dunklen Wolken, die durch ein Arbeitszimmer ziehen und dafür sorgen, dass die Eiswürfel für den Gin Tonic von Freund K. trotz funktionierenden Eisfaches tagelang nicht gefrieren, davon, wie jene Wolken ihn am Ende sogar auf den Stufen der S-Bahn zu Fall bringen, wo er sich eine derartig schwere Stirnverletzung zuzieht, dass er verarztet werden und den anschließenden Termin mit einem argentinischen Ganoven absagen muss.

Die Zeit war zu knapp.
Die Autorin befindet sich beinahe auf dem Sprung zu einer Fachwerkstatt, wo einige Schrauben nachgezogen und gegebenenfalls Kabelbäume ersetzt werden müssen.
So bleibt der geneigten Leserschaft nichts, als dieses Fragment, ein wenig Phantasie, und die begründete Hoffnung, dass auch dieser Faden wieder aufgenommen und eines Tages zu Ende gesponnen wird).

Foto 2Auf bald.

18 Kommentare zu “Cellar Door

  1. In der Hoffnung, dass du diesen Kommentar bald freischalten oder verwerfen kannst, weil knusprig.titten.hitler nicht die letzte Inspiration sein sollte, die ich von dir bekomme…
    Auf dass sie dir dein Menschenkostüm ordentlich zurechtzuppeln.
    *Daumendrück*

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    • Danke, danke!
      In einer Stunde etwa muss ich los in die Werkstatt.
      knusprig titten hitler (grauenhafte Seite, ich weiss. Aber einprägsamer Name, eben) wird sicher nicht die letzte Inspiration bleiben.

      Jetzt erst einmal die Schafskälte auf dem Klinikbalkon genießen.
      Dir schöne Tage umme Ecke und anderswo.

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    • Herzlichen Dank.
      Bin wieder Zuhause, auf eigenen Wunsch.
      Etwas derangiert und müde. Wird aber wieder.

      Mal sehen, wann ich wieder schreiben kann. Gerade brummt der Kopf noch von den Medikamenten.
      Werde mal versuchen auf „Droge“ was zustande zu bringen. Heute oder morgen. oder so.

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        • Auf eigenen Wunsch deshalb, weil Wochenende im Krankenhaus sowieso nichts anderes ist als Notbetrieb. Und erfahrungsgemäß geht es mir Zuhause besser.
          Außerdem hab ich meinen Hund vermisst und die Katzen.

          Ich bin in meinem Zustand gar nicht in der Lage etwas zu überstürzen.
          Ich freue mich sehr über die herzliche Begrüßung und die lieben Worte. Danke.

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      • Bißchen fahrlässig das, aber nun gut. Wenn zuhause jemand nach Ihnen schauen kann, geht es ja.
        Und, wie war die Narkose? So schlimm wie sonst? Bin gespannt.
        Ansonsten wünsche ich eine frohe und vollständige Genesung.

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        • Ich bin hier bestens versorgt.
          Narkose war prima. Hatte sogar einen schönen Traum dabei, aus dem mich der Anästhesist mit seinen ständigen Rufen, ich solle endlich wach werden riss.
          Halsweh habe ich nun doch. Auch ohne Latex, aber das ist das Geringste.
          Die Schmerzmittel machen einen gleichmäßigen Drehschwindel, und auf dem Drogenmarkt könnte ich damit eine Stange Geld verdienen.

          Es wird.

          Vielen Dank für die lieben Wünsche!

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  2. Wie du weißt, war ich ein Weilchen weg. So viel hat sich bei dir getan! Liebe tikerscherk, ich werde wohl die nächsten Abende mit dir auf deinem Blog verbringen und hier und da kommentieren. Du bist ein Teil von meinem Berlin geworden, virtuell aber auch ganz echt. Ich hoffe, es geht dir gut! Ich freue mich, dass du zumindest die Narkose gut überstanden hast. Erhol dich gut, lass dich pflegen und lieben und schreib immer weiter!

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    • @asallime

      Wie war denn Eure Reise?
      Wie geht es Dir?
      Mir geht es inzwischen besser, die Wunden heilen langsam, und die ganze Angst und Aufregung vor der OP war zum Glück unbegründet. Ich habe die 5 Stunden in Narkose gut überstanden, und bin inzwischen auch schon wieder ganz gut bei Kräften.
      Ich schreibe, lasse mich pflegen und lieben, und zu meinem Wohlbefinden trägt ein so liebevoller und freundlicher Kommentar, wie der Deine natürlich auch bei.
      Danke dafür!
      (Dass ich ein Teil Deines Berlins bin ehrt mich sehr, und auch ich freue mich, dass ich auf Dich gestoßen bin, liebe Asal!)

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  3. Die Reise machen wir seit wir zusammen sind jedes Jahr (klingt spießig, aber es ist ein Ausflug zum Kern, in die Natur, weg vom Krach und Schmutz) und sie war sehr schön und hat auch ein paar Dinge beschleunigt. Etwa die Entscheidung, Berlin zu verlassen… dass du heute einen so schönen Berlintext geschrieben hast, nachdem ich gestern ein wenig wehmütig von meinem Abschied geschrieben habe, passt da sehr gut zusammen. Das ist Berlin… schön und schrecklich und für jeden etwas anderes. Mir geht es dementsprechend…. verwirrt, erleichtert, traurig, ängstlich, glücklich. Und müde, immer müde.
    Ich hab aus der Ferne ja Angst vor deiner OP gekriegt, vor allem auch, weil ich von meiner letzten Narkose eine kleine Phobie davongetragen habe… Ich bin sehr froh und erleichtert, dass du auf dem Weg der Besserung bist.
    Du bist tatsächlich auf mich gestossen, wer weiß ob ich dich gefunden hätte, ich bin da etwas faul bei der Suche nach Blogs. Wie meine bisherige Zeit auf meinem Blog ohne dich verlaufen wäre, kann ich mir gar nicht vorstellen.

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