Dexter

Dead toad

Wegen eines aufgekratzten Muttermals am Arm gehe ich in die Hautklinik. Der Hautarzt dort behandelt mich mit ausgesuchter Höflichkeit und überaus großem Interesse.
Ausziehen. Überall, auch an den entlegensten Stellen, nachschauen ob alles in Ordnung ist.
Er ist in meinem Alter und sieht gut aus. Das macht es noch unangenehmer.
Am Ende der Untersuchung fragt er mich, ob ich aus Frankfurt komme.
Ja.
Wir kennen uns.
Tun wir das?
Ich war ein paar Jahre mit Sabine zusammen.
Sabine?
Die Malerin.
Sabine! Klar!
An sie erinnere ich mich, an ihn nicht.
Er ist neu in Berlin, kennt sich nicht aus. Ob wir uns mal treffen wollen.
Ich gebe ihm meine Nummer.
Wenige Tage später gehen wir zusammen aus. Es wird ein netter Abend. Mehr nicht.
Die Folgeverabredungen treffe ich eher aus Höflichkeit.
Er kennt niemanden, ich lebe seit einigen Jahren hier.
Bei unserer dritten oder vierten Verabredung sitzen wir in meiner Küche und unterhalten uns.
Ich frage ihn, wieso er eigentlich Arzt geworden ist.
Das, erklärt er mir, sei eine schwierige Geschichte, denn tatsächlich sei der Arztberuf nur ein Kompromiss, bzw. eine Kompensation für seine eigentliche Leidenschaft.
Es sei nämlich so, dass er als Kind schon unglaublich gerne Blut gesehen habe. Auch das Leiden anderer, habe ihn auf merkwürdige und unheimliche Art interessiert und erregt. Er habe davon nicht genug bekommen können und war deswegen dazu übergegangen kleine Säugetiere und Amphibien zu Tode zu quälen.
Seine Eltern hatten schnell erkannt, welche Gefahr von ihrem Sohn ausging und hatten versucht die Neigungen ihres Kindes in eine andere Richtung zu lenken. Ohne Erfolg.
Als junger Erwachsener habe er die Entscheidung getroffen nicht Massenmörder, sondern stattdessen entweder Schlachter oder Arzt zu werden.
Sein gutes Abitur entschied diese Frage für ihn.
Eine Zeit lang hatte er in der Rettungsstelle eines Krankenhauses gearbeitet, bis sich mit der Hautarztstelle in der Klinik die Möglichkeit auftat nach Berlin zu gehen.
Diese Stelle sei aber alles in allem so derartig unbefriedigend, weil blutleer, dass er inzwischen schon ganz nervös sei und dringend wieder zurück zur Akutmedizin wolle. Dorthin, wo es um Leben und Tod, um Blut und Knochen, statt nur um ein paar läppische Muttermale ginge.
Ganz offensichtlich sei er damit nicht allein.
Ob ich nämlich von dem Fall des gut aussehenden, jungen Hautarztes aus dem hiesigen Benjamin-Franklin-Klinikum gehört habe, der in seiner Freizeit mit einer schwarzen Lederhose in Kleidergröße 36, also doch offensichtlich genau meiner Größe, unterwegs war, und sich gezielt Prostituierte suchte, denen diese Hose passte. Die Frauen sollten sie anziehen, sich oberhalb der Hüfte entkleiden, und sich auf den Bauch legen. Nachdem sie seiner Aufforderung nachgekommen waren, strangulierte er sie von hinten und zertrümmerte schließlich ihren Schädel mit einem Hammer.
Eine der Frauen schaffte es, mit einer schweren Schädelfraktur zu entkommen, und so flog das Ganze auf.

 Nein, von dem Fall hatte ich noch nichts gehört. Das sei ja allerhand.
Sicher habe er Recht, und er sei irgendwo in der Chirurgie besser aufgehoben, vielleicht sogar im Unfallkrankenhaus. Um einen solchen Posten würde ich mich an seiner Stelle dringend bemühen, wenn die Dermatologie ihn so derartig anöde.
Kurz nach Mitternacht verabschieden wir uns.
Er bedankt sich für den netten Abend.
Wir telefonieren.
Ja.


*
Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Seine Anrufe auf meiner Mailbox blieben unbeantwortet.

31 Kommentare zu “Dexter

  1. honestly, I don’t like such stories. Such guys are…terrible. It makes me feel physicians are untrustworthy. It is not a good feeling. Sorry.Maybe this is what motivates them. It is frightening though.

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    • Ich fand es auch gruselig.
      Wie kann ein Ty, der Arzt ist, mir überhaupt eine solche GEschichte erzählen?
      Muss ihm doch klar gewesen sein, dass mir das Angst macht, und ich kein Interesse an weiteren Treffen habe.

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  2. Danke, Tom.
    Ich glaube, dass alle Vertrauen zu ihm haben, schließlich ist er ein netter Kerl. Er wird die Geschichte ja auch nicht jedem erzählen.
    Möglicherweise ist er durch die Energie, die hinter seiner Tätigkeit steckt ein besonders guter Arzt.
    Ich weiss nicht, wo er jetzt ist.
    Berlin hat er irgendwann verlassen, wie ich durch eine Frankfurter Quelle sicher weiss.

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  3. Du erlebst so viele merkwürdige Geschichten. Wobei die vielleicht alle erleben, aber sich das nicht so vergegenwärtigen.

    Das Sadistenthema ist ein interessantes. Kürzlich in einem Film über die Diktatur in Argentinien. Massenhafte Folterungen. Vermutlich suchen die Machthaber sich solche Leute aus. Und warum sind die so? Eine Laune der Natur oder eine verkorkste Kindheit? Oder was anderes?

    Wer bestimmt hochgradig sadistisch ist: Die Frauen in den Schlachhöfen, die kleinen Ferkel die Eier abquetschen. Es wäre interessant zu erfahren, ob den Job auch Männer machen können und was dann in ihnen vorgeht.

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  4. @genova

    Ich befürchte, dass die Mehrzahl der Menschen das Talent oder die Neigung zum Foltern hat.
    Dass Sadsmus ein Wesenszug sehr vieler Menschen ist.
    Dass es genügt sein Opfer zum Unmensch oder Tier zu erklären, um es misshandeln und töten zu können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.

    Von den Frauen in den Schlachthöfen habe ich noch nie gehört.
    Das massenhafte Foltern stumpft vermutlich erst recht ab.
    Und außerdem: ist ja bloß ein Tier.
    Männer werden sich vielleicht schwerer tun mit der Zerquetschung von Hoden.
    Obwohl. wieso eigentlich? Solange es nicht ihre eigenen sind.

    Ich kann nicht mal eine Mücke töten, und selbst Motten lasse ich durch Schlupfwespen erlegen.
    Wäre interessant zu wissen, ob man auch mich zur Sadistin formen könnte.
    Ich hoffe nicht, kann das aber nicht 100prozentig ausschließen.

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    • „Erich Fromm beschreibt in seinem Werk Die Kunst des Liebens den Sadismus auch als das Verlangen uns selbst und unsere Mitmenschen zu kennen. Dieses kann auf der einen Seite durch Liebe, auf der anderen Seite durch Grausamkeit und Zerstörungslust geschehen. Ein Beispiel hierfür ist bei Kleinkindern das Zerbrechen von Gegenständen, um diese dadurch kennenzulernen.“ (wikipedia)

      Man will jemandem näherkommen und quält ihn dafür. Das bringt zumindest authentische Reaktionen, was Zärtlichkeiten aber auch hervorrufen könnten.

      http://www.welt.de/wissenschaft/article117413914/Hoden-werden-ohne-Betaeubung-herausgeschnitten.html

      Das sind solche Skandale, die keinen interessieren.

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      • Wohlweislich klicke ich Deinen Link erst gar nicht an, weil mir schon beim Titel ganz blümerant wird.
        Geht es wieder um Schweinehoden?

        Ich glaube, dass Zärtlichkeit nur selten solche Reaktionen hervrrufen kann, wie Grausamkeit und Sadismus.
        Die Frage die bleibt: was will man mit solchen Reaktionen?
        Der Hautarzt, der die Prostituierten tötete, muss demnach kirre gewesen sein, vor lauter Verlangen, seine Opfer näher kennen zu lernen.
        Er wollte ihnen sprichwörtlich ins Hirn schauen, könnte man meinen.

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      • Geht es nicht immer darum, dass man etwas möglichst Authentisches bekommen will? Egal ob Dschungelcamp oder Folter. Menschen suchen Nähe, die einen mit Zärtlichkeit, die anderen, indem sie foltern oder indem sie zur langen Nacht der Museen gehen.

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        • @genova

          Also ich weiß nicht.
          Irgendwie finde ich den Begriff Nähe in Zusammenhang mit Folter total deplaziert.
          Mir die lange Nacht der Museen als Kuschelereignis vorzustellen erheitert mich, erscheint mir aber ebenso merkwürdig.
          Etwas „möglichst Authentisches“ zu bekommen, bedeutet anscheindend für die Einen, dass sie zuschauen, wie andere sich beinahe übergeben müssen, wenn sie Madenbrei fressen, für die Anderen bedeutet es zusammen auf´s Meer zu schauen und sich zu umarmen.
          Dass das alles unter dem Begriff „Nähe“ subsummiert wird, gefällt mir irgendwie nicht, und ich halte es schlicht für Quatsch.
          Oder meinst Du (bzw. Fromm), dass die Ferkelhodenquetscherinnen eigentlich auch nur zärtlichkeitsbedürftige Kuschelhäschen sind?

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      • Ich habe mir diese Theorie gerade beim Schreiben ausgedacht, aber je länger ich darüber nachdenke, desto toller finde ich sie :-)

        (Die Hodenquetschfrauen sind in meiner Theorie außen vor, denn die machen das zum Broterwerb.)

        Allen anderen Beispielen ist gemeinsam, dass die Hülle, das Verhüllende, das rein Formale, das Distanzierende, das Künstliche, das Zivilisatorische, das Dinghafte, das zwischen den Menschen steht, überwunden wird. (Wir Menschen sind darauf angewiesen, auch wenn einige es abstreiten. Aber das sind dann vermutlich die krassesten Fälle.) Sei es durch körperlichen Kontakt in Form von Zärtlichkeit, sei es durch sehr persönliche Gespräche und Bekenntnisse, sei es durch Folter, durch Zuschauen beim Madenbreiessen und so fort. Es sind alles ungefilterte Ereignisse, die allesamt die Menschen dahin bringen, jegliches affektiertes Verhalten ablegen zu müssen. Die Urform dieses Verhaltens ist vermutlich der Orgasmus.

        Wir leben alle dinghaft im Kapitalismus, Wohlfühlen und also Fühlen wird durch Konsum erreicht bzw. nicht erreicht. Man kauft sich seine Nespressomaschine für viel Geld, stellt fest, dass man damit nicht befriedigt wird, und überlegt sich anderes. (Stellt man fest, dass man durch die Nespressomaschine befriedigt wird, wird man vermutlich nie foltern, aber auch sonst nichts spannendes erleben.) Je nach Sozialisation und persönlicher Beschaffenheit, Erbmasse und was auch immer (ich würde die Sozialisation für entscheidend halten) neigt man zum Sadismus oder anderem. Oder eben auch dazu, dass man aufrichtig lieben kann und sich lieben lässt. Wobei diese Leute sich vermutlich gar nicht erst eine Nespressomaschine kaufen.

        Dir, tikerscherk, mag der Zusammenhang von Folter und Nähe absurd erscheinen, mir würde das auch nicht gefallen, aber ich kann es mir gut vorstellen: Du setzt jemandem die Hoden unter Strom und hältst dein Ohr an seinen Mund: Die Töne, die da rauskommen, sind so authentisch, authentischer geht es nicht.

        Natürlich ist das pathologisch, aber das steht auf einem anderen Blatt. Es geht mir ja nur um den Erklärungsversuch. Unternehme ich den nicht, kann ich diesen Menschen nur noch als ein Monster sehen. Dann aber wäre ich selbst auf dem Weg dahin. Also besser ein wenig theoretisieren, wenn auch holprig.

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        • @genova

          Abgefahrene Theorie.
          Ich halte mir noch immer den Bauch vor Lachen.

          „Du setzt jemandem die Hoden unter Strom und hältst dein Ohr an seinen Mund: Die Töne, die da rauskommen, sind so authentisch, authentischer geht es nicht.“

          Jetzt liege ich auf dem Boden.
          Gib mir bitte auch was davon ab!

          You made my day, wie man so sagt.

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      • @genova

        Ziemlich schillernde Theorien, die Du Dir da ausdenkst.

        „…neigt man zum Sadismus oder anderem. Oder eben auch dazu, dass man aufrichtig lieben kann und sich lieben lässt.“

        Ist diese entweder-oder-Konstruktion wirklich so gemeint? Demnach wäre ein Mensch mit sadistischen Neigungen außerstande, aufrichtig zu lieben und sich lieben zu lassen. Ich möchte das rundweg bestreiten.

        „Wobei diese Leute (also die zur aufrichtigen Liebe fähigen) sich vermutlich gar nicht erst eine Nespressomaschine kaufen.“

        Das hieße im Umkehrschluss, ein Mensch mit einer Nespressomaschine ist liebesunfähig. Was ist mit denen, die zuhause eine Lavazza-Espressomaschine stehen haben? Anders gefragt, welche Espressomaschinenmarke darf sich ein zur aufrichtigen Liebe fähiger Mensch überhaupt kaufen, um als solcher sozial anerkannt zu sein?

        Hingegen bin ich damit:

        „Unternehme ich den (Erklärungsversuch) nicht, kann ich diesen Menschen nur noch als Monster sehen. Dann aber wäre ich selbst auf dem Weg dahin.“

        hundertprozentig einverstanden. Vor allem mit dem letzten Satz. Kann man gar nicht intensiv genug unterstreichen.

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      • @genova

        Einer geht noch ;)

        Vermutlich bist Du grade absorbiert vom Fußballgucken, aber – ich kann’s mir nicht verkneifen – Dir als reflektiertem Menschen wird wohl nicht entgangen sein, dass Du den gemeinen Nespressomaschinenbesitzer zum liebesunfähigen, hm, Monster deklariert hast?

        Und – Tooor!

        Nüscht für ungut :)

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      • Mrs. Mop,
        die Nespressomaschine steht sinnbildlich für Konsum als Ersatzbefriedigung. Die Entweder-Oder-Konstruktion ist als Bzw.-Konstruktion gemeint, also eher als „und“.

        Ansonsten verstehe ich die Kritik nicht. Das, was ich geschrieben habe, sind basics, die sich bei Leuten wie Arno Gruen nachlesen lassen.

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  5. Sein Leidensdruck muss gross gewesen sein, wenn er sowas erzählt.
    Im Grunde genommen steckt aber das Quälenwollen tief in jedem von uns. Es muss jemand nur den Triggerpunkt erwischen.
    Der Lack der Zivilisation ist dünn, sehr dünn.

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  6. Puh… eine heftige Geschichte.

    Zu Männern in Schlachthäusern kann ich nur einmal ein gegenteiliges Beispiel bringen. Ich hatte beruflich mit einem kleinen, netten Mann zu tun, der eine sehr, sehr sympathische Familie hatte, fürchterlich an der Flasche hing und irgendwie aus dem Leben gefallen war. Er wollte in seiner Jugend „irgendwas mit Tieren“ machen und durch die Eltern in den Beruf des Metzgers gezwungen, landete schließlich im Akkordtöten im Schlachthof, einem richtig großen. Er ging daran zugrunde, nach Jahren. Er hat sich zu Tode gesoffen…

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  7. Zwar kenne ich mich mit solch pathologischen Typen nicht so aus ;-), aber es scheint mir ja höchst untypisch, dass er darüber geredet hat. Hoffentlich vergesse ich diesen Text schnell wieder, bevor ich nächstes Mal zum Arzt muss ;-)

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  8. Was Du so alles erlebst! Dieser Arzt, hat Dir wahrscheinlich seine eigenen Fantasien erzählt. Ich denke, Du hast Glück gehabt. Vielleicht würde sich die Ärztekammer für ihn interessieren.

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