Körperfresser und Tinnitus

 

SAMSUNGGentrifizierung!
Will das überhaupt noch jemand hören?
Denkt nicht jeder: ach, die schon wieder! Alles verändert sich. So ist das eben. Und in New York, Frankfurt oder München ist es viel schlimmer, da brauchen wir uns gar nicht aufzuregen.

Tue ich aber. Ich rege mich auf. Nicht spezifisch dieses Mal, sondern allgemein. Und nicht immer, aber wiederkehrend. Es gibt einen Grundton, ein Störgeräusch, das Kreischen des sozialen Tinnitus, das sich in die Melodie meines Lebens eingeschlichen hat und mehr und mehr alle anderen Noten übertönt, so wie ein Presslufthammer das Jubeln einer Klarinette.

Ich rege mich auf, wenn ich die Immobilienangebote von Ziegert Immobilien, Wilkanowski und anderen via Mail geschickt bekomme, und dort „Stuck & Co“ direkt am Görlitzer Park für teuer Geld angeboten wird.  Ja, es ist nichts Neues: mein Kiez wird an die Höchstbietenden verscherbelt, die dann als Erstes eine Standleitung zum Ordnungsamt herstellen und alles, was ihnen zu laut, zu schmutzig, zu Kreuzberg erscheint kaputtdisziplinieren und wegstrafen lassen.
Nach den Verdrängten, den ehemaligen Mietern, die nicht das nötige Kleingeld auf Tasche haben, um ihr Zuhause mit Geldsäcken zu verbarrikadieren, oder die nicht das Glück haben als ehemaliger Triple-Agent mit dem Oberbürgermeister Schampus schlürfen zu dürfen, fragt ja niemand.
Ich ertappe mich immer häufiger dabei, dass ich ganze Straßenzüge in meinem Viertel meide. Schnell durch, nicht nach links und rechts schauen. Es tut so weh.

Die Markthalle beispielsweise betrete ich nicht mehr, seit die Röhrenhosenträger und die bedruckten Stoffbeutelhäschen die Luft mit ihrem verrokokotetem Shabby-Stumpfsinn unatembar gemacht haben. Ich kann sie schlicht nicht sehen, die aufgeblasenen Visagen, in deren Augen sich nichts regt, als das mechanische Rotieren ihrer auf Konsum drehenden Festplatte. Dass ein 750 g Roggenbrot (bio, na und) 4,30 € kostet kommt erschwerend hinzu. Das kann ich mir nicht leisten. Und ich will es auch nicht. Andere kleine Bioläden schaffen es auch, das Kilo Brot gewinnbringend für 3,20 € unter die Leute zu bringen.

Szenig, anspruchsvoll und immer teurer.

Wenn ich an einem Frühlingstag wie diesem das Haus verlasse, treffe ich nur selten noch auf alte Kreuzbergerinnen und Kreuzberger. Menschen, die wie ich vor langer Zeit hierher gezogen sind, weil sie den Kiez mitsamt seiner Einwohnerstruktur genau so mochten wie er war, und nicht wie er sein könnte, wenn man erst mal alle raus gemobbt und den neuen Spielplatz entsprechend seiner Bedürfnisse angepasst hat.
Wie Gitti und Heinz auf Malle.
Wann immer wir uns in den Straßen von Kreuzberg zufällig treffen, freuen wir uns.
T. aus dem Trinkteufel, A. vom Elefanten, M. aus der Madonna, oder T. vom Franziskaner.
Ach, wie schön, dich gibt es noch!
Der zweite oder dritte Satz gilt meist schon der Veränderung unseres Viertels. Wer gekommen ist, wer gehen musste, welche Kneipen und kleinen Läden verschwunden sind, dass Michael Stipe mehrfach gesichtet wurde, was die aktuelle Miete kostet, welche Häuser von Investoren aufgekauft wurden, wo ein neues Dachgeschoss mit Glaskuppel aufgesetzt wird. Welche Wohnwagen, Locations oder Supermärkte den Flammen zum Opfer gefallen sind, und wer davon profitiert.

Ein neues Hotel entsteht an der Westseite des Oranienplatzes. Ein Münchener hat das alte Kaufhaus Maassen gekauft, und möchte dort, für Jeden erschwingliche, Zimmer anbieten. Ab 110 € die Nacht.
So ist das. 110 € werden inzwischen als preiswert erachtet.
Ich könnte mir einen Ausflug in meinen eigenen Stadtteil nicht leisten.

Aber noch wohne ich hier, und fühle mich mehr und mehr an den genialen Science-Fiction-Thriller von 1978 Die Körperfresser kommen mit Donald Sutherland und Jeff Goldblum erinnert, in dem Investoren Invasoren die Bewohner San Franciscos durch seelenlose Duplikate austauschen, während die Originale zu Staub zerfallen und von der Müllabfuhr entsorgt werden.
Nach und nach werden so fast alle Menschen ersetzt. Die Verbliebenen assimilieren so gut sie können, werden aber dennoch von den Ausgetauschten, den Körperfressern entdeckt, die Ihresgleichen mit einem schrillen Signalruf und mit ausgestrecktem Arm auf die unerwünschten Relikte menschlichen Daseins aufmerksam machen.
Die Jagd hat begonnen, und sie wird erst enden, wenn alle Bewohner der Stadt ausgelöscht sind.
Zu weit hergeholt die Assoziation?
Mir egal.
Mein Blog, mein Kiez, mein Schmerz.

 

59 Kommentare zu “Körperfresser und Tinnitus

  1. Es ist mehr als die „Aufwertung“ unserer Häuser bis zum Ausschluss der Bewohner. Die „Exklusivität“ – das Ausschließen ist im laufe der letzten 3 Jahrzehnte zu etwas wünschenswertem geworden.

    Wir haben die Volksvertreter gewählt, die privatisieren und Europas grenzen befestigen. Wir haben uns dafür entschieden jeder für sich allein in einer eigenen Wohnung zu wohnen, mit je einem eigenen Herd, Kühlschrank, Auto. Wir haben uns dazu entschieden für uns nur das beste Essen zu kaufen, und den Rest zu verbuddeln. Wir haben uns dazu entschieden, statt den Überschuss des letzten halben Jahrhunderts zu teilen, alles zu konsumieren bis auf den letzten Cent, und darüber hinaus. Wir waren das. Sonst niemand. Und nur wir könne es wieder zurück geben. Die die dafür unser Auftrag angenommen haben alles unter Schloss und Riegel zu bringen, tun nur wozu sie geheißen werden. Es ist müßig, und unredlich sie dafür zu beschimpfen.

    Wir müssen grundsätzlich anders handeln, und denken. Dann wird das auch anders. Oder wir müssen lernen mit den Folgen unseres Handelns zu leben. Auch das ist eine Option.

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    • @Babewyn- Obwohl ich verstehe, was du sagen möchtest, und du dem Grunde nach Recht hast (eigene Wohnung, eigenes Auto etc.),so stimme ich nicht mit dir überein, dass „Wir“ den Auftrag genau so an die Regierenden gegeben haben. Da hat sich inzwischen einiges verselbständigt, und das System in dem wir leben, hat mir einer Demokratie nicht mehr viel zu tun. Die Wahlen empfinde ich als Täuschung und Farce.
      Anders Denken ist das Eine, anders Handeln innerhalb vorgegebener Strukturen nicht einfach.
      Wie stellst du dir das andere Handeln vor?

      Ich beschimpfe niemanden. Ich maule manchmal rum. Nämlich dann, wenn ich besonders traurig und hilflos bin. Der Verlust von „Heimat“ ist schmerzhaft- hier verschaffe ich mir ab und an Luft.

      Aber es ist müßig, da hast du noch einmal Recht

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      • Die Volksvertreter sind sich über unseren Bedürfnissen im klaren. Wir möchten, das sie unsere „Lebensweise sichern“, ohne das wir damit konfrontiert werden, was das für folgen hat. Das tun sie mit einer Hingabe und Überzeugungskraft, dass wir ihnen auf Knien danken sollten, dass sie unsere kleine Maskerade für uns weiter spielen.

        Sie stellen sicher, dass wir anstatt darüber zu diskutieren wer noch überhaupt ein Huhn zu essen bekommen könnte, wir darüber lamentieren, dass Amerikaner die Salmonellen mit Chlorbäder bekämpfen, und wir dieses Hühnerfleisch nicht auch noch zu den restlichen Lebensmitteln kippen wollen, die wir wegwerfen, weil wir sie zwar gar nicht mehr essen können, aber sie auf gar keinen Fall teilen wollen. Natürlich wöllten manche, „ja, aber die Infrastruktur gibt es nicht.“ So ein Zufall.

        Sie haben uns den doppelten Segen zuteil werden lassen den Weg dafür zu ebene, dass unsere dreckige Industrie nach Asien out-gesourced wird, und uns dazu noch das Feindbild der Umwelt verschmutzenden „Chinesen“ geliefert, die wir natürlich aus rationalen Gründen kritisieren, anstatt wie vor 150 Jahren wegen ihres unchristlichen Aberglaubens, vor 70 Jahren wegen ihrer rassischen Unterlegenheit, oder vor 50 Jahren weil sie rote Kommunisten seinen. Unsere Drecksarbeiten machen sie auch munter weiter, und wehen wenn nicht. Dafür tun wir so viel für eine saubere Umwelt, und schiffen denen aufs Dach in dem wir den Popanz und Steuerbetrüger Ai Weiwei hofieren, als wäre er Michelangelo. (Nicht, dass ich nicht auch in China Menschenrechtsprobleme sehe, die allerdings den Chinesen auch nicht verborgen geblieben sind.)

        Wir klopfen einem Herrn Fischer wegen eines „Mister Rumsfeld, i am not convinced,“ auf die Schulter, und wegen um die hundert Bundeswehrsoldaten wird getrauert(zu recht), während abertausende in Zentralasien, auf der Arabischen Halbinsel und Nord- bis West-Afrika sterben wie Fliegen noch nie gestorben sind, und es ist höchstens eine Fußnote selbst in der sogenannten „kritischen“ Presse wert. Aber die Bodenschätze weswegen sie alle sterben müssen sind für uns das selbstverständlichste der Welt. Jeder holt sich alle Paar Jahre das neuste Mobiltelefon wenn nicht zwei oder mehrere, hat dazu noch einen neuen Fernseher, eine Sterioanlage, einen Desktop, Laptop, e-Bookreader, Navi, mindestens ein Auto mit allem Computer gesteuerten Schnickschnack, und 130 PS in dem sie dann als Gutmenschen in den Bio-Supermarkt fahren um die neusten Fair-Trade Delikatessen zu holen, aber nicht ohne über das angeblich viel zu teuren Benzinpreise zu nörgeln. Es stimmt teuer ist das Benzin, aber nicht in Euro, sondern in menschlichem Leben und menschlicher Würde.

        Die Liste der Dinge die, „die Politik“ angeblich gegen unseren Willen tut geht munter so weiter.

        Und es ist nicht wahr, dass Menschen ihre Nachbarschaften so erhalten wollen wie sie sind, sonst hätten sie früher in den Geschäften im Viertel teurer eingekauft als wo anders, sonst hätten sie bei jeder Kürzung der öffentlichen Zuwendungen nicht „Hier“ geschrien, sonst hätten sie die Alten nicht ins bezahlte Heime abgeschoben, sondern sie in der Großfamilie selber gepflegt, sonst bräuchte nicht jeder ein Auto, und 2 Urlaube, und Essen im Restaurant, und jede Saison neue, gekaufte Kleidung, und 200€ Schuhe die nur dazu gedacht sind das Fett wieder abzulaufen, den sie sich vor lauter Gier an gefressen haben, und würden nicht um das alles was uns von einander trennt zu haben ihre ganze Zeit mit bezahlter Arbeit füllen, und kaum noch Zeit in ihren Nachbarschaften und mit ihren Leuten verbringen. Wir wollen unsere Nachbarschaften nicht wirklich, sonst hätten wir sie noch. Denn wir haben sie nicht mehr. Es ist zu spät. Sie sind schon tot, oder in den letzten Agonien. Was mich zu der Frage bringt, wie stelle ich mir es vor anders zu handeln?

        Wir müssen wieder anfangen zusammen zu leben, zusammen Dinge zu tun. Nicht jedes mal wenn einer sagt, „Mensch lass uns mal … “ darauf antworten, „Aber ich habe Stress und kann nicht.“ Wir müssen anfangen zufrieden zu sein mit was wir haben, und uns mit andern zu vergleichen, nicht um mit ihnen zu konkurrieren, sondern um zu überlegen was kann ich tun damit die anderen zumindest das haben was sie brauchen, was kann ich tun um ihnen den Schmerz erträglicher zu machen, was kann ich abgeben, los lassen, zurück geben. Bevor wir anfangen das zu tun wird es so bleiben wie in einem Stadion in dem einer aufsteht um mehr zu sehen. Bevor man sich um sieht, stehen alle und keiner sieht etwas.

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        • Vielem, was du in deinem Kommentar schreibst, kann ich folgen.
          Und sicher sollten wir auch mehr Zeit füreinander haben und uns gegenseitig unterstützen und miteinander teilen.
          Damit werden wir allerdings nicht das gierige Kapital bremsen (zu dem ich mich nicht zähle, und weswegen ich genovas Einwand sehr berechtigt finde). Wir werden damit nur das Subsidiaritäts-Prinzip bedienen, uns also auf unserer Ebene und mit unseren Möglichkieten selbst helfen, und das spielt den Gierigen nur in die Hände.
          Wir dürfen genau nicht zufrieden sein, mit dem was wir haben, sondern wir müssen fordern, dass diejenigen, die sich (überall in der Welt) bereichern teilen müssen.

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          • Ja mir ist dieses Denkmodell vertraut, ich kenne es aus meiner protestantischen Familie. Die eigene Rechtschaffenheit wird niemals in Frage gestellt, dafür möchte man „die Anderen“ dazu erziehen, und wenn nötig dazu zwingen so zu handeln, wie man selber nie in Erwägung ziehen würde zu handeln. Diese Denkweise zieht sich durch alle Ideologien bis tief in das 20. Jahrhundert hinein. Sie alle haben gemeinsam, dass man sauber trennen kann zwischen dem was wünschenswert ist und dem Nicht-Wünschenswerten, und sie suchen sich auch alle einen Buhmann, der das verkörpert und verschuldet was nicht wünschenswert ist. Die Geläuterten könne das Nicht-Wünschenswerte per definitio nicht an den Tag legen, und so marschiert man los um das zu besiegen, was man die ganze Zeit im eigenen Gepäck mit sich herum schleppt. Aber vielleicht fängt der Hund ja dies mal seinen Schwanz.

            Ich glaube nicht, dass wir anders leben werden bis wir anfangen anders zu leben. Über Aktionen um auf Willkür und Kurzsichtigkeit aufmerksam zu machen lasse ich mit mir reden, aber für die Bestrafung von Gier und anderen Untugenden, bin ich nicht zuständig, das Bestraft sich schon von selbst. Das habe ich durch meine eigene Gier und Untugend bestätigen können. Ich habe genug zu tun meine Eigene Gier und Maßlosigkeit zu bekämpfen, denn nicht „sie“ sind der Teufel, der Teufel bin ich selbst.

            Und wenn uns das nicht in den Kopf will, dann ist es vielleicht ganz gut wenn sich „die Gierigen“ über all auf der Welt bereichern, denn das Verhalten führt über kurz oder lang, dazu das wir uns gegenseitig auffressen werden. Vielleicht wird es einfach Zeit, dass wir das endlich tun. Ich würde keinen von uns vermissen, mich selbst eingeschlossen, und die Welt wäre uns los.

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      • Im Hinblick auf Ai Weiwei, Babewyn, ist Deine Sicht von Kunst eindimensional und Du unterläufst jegliches Niveau: Das, was Du zu recht an diesem System kritisiert, das schlechte Allgemeine, das sich durchsetzt, reproduzierst Du genau. Da kannst Du dann als Wurm in Deinem Grabe zehnmal im Pseudo-Pathos herausstinken. Aber amusische Menschen sind keine Seltenheit. Interessant auch, wie Du als ach so kritischer Geist so schön die Propaganda Chinas nachtrompetest. Natürlich gibt es in der BRD eine verlogene Weise, die Ai Wei Wei hofiert und über Widersprüche in der BRD bequem schweigt und bestimmte Kunst hier erst gar nicht zeigt. Aber das hat nichts mit der Kunst von Ai Weiwei zu tun, die er nun einmal in China nicht zeigen darf, sondern nur im Westen. Du solltest die Kunst Ai Weiweis in bezug auf China sehen und nicht in Deinem verkürzten westlichen Blick.

        Und noch mal im Sinne Genovas gefragt: Wer ist dieses kollektive Wir? Hast Du Herrn Fischer auf die Schulter geklopft? Dann mach Dir mal Gedanken darüber. (Denn das impliziert sprachlich dieses „wir“ ja, ansonsten hättest Du sicherlich „ihr“ geschrieben.)

        @ tikerscherk
        Da könnt ihr sehr lange fordern. Forderungen, die sich mittels Macht oder einer bestimmten Basis nicht durchsetzen lassen oder für die es keine Mehrheit gibt, werden in der Regel nicht erfüllt.

        Wie wäre es, wenn Ihr Eure Trauer und Eure Wut in Widerstand umwandelt? Dein Satz aber „Denn wenn sich alle auflehnen würden, die unter den Verhältnissen leiden in denen sie leben, dann würde das seine Wirkung zeigen.“ trifft es. Genau das müßte geschehen und es kämpfen am Ende doch wieder alle für sich.

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    • Wer ist eigentlich dieser „wir“? Das ist die zentrale Falle, in die du tappst. Schau dir die Vermögensverteilung in Deutschland an, dann kommst du von dem wir ganz schnell weg.

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      • „Wir“ sind wir. Ich lasse mich nicht ausschließen, und ich werde nicht still sein, und weg kriegt man mich erst recht nicht, weder schnell noch langsam bis ich mich zu den Würmern geselle. Ich werde hier sein bis ich tot bin und selbst danach stinke ich hoffentlich noch ein wenig damit ich noch ein Weilchen in Erinnerung bleibe.

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      • Mrs. Mop,
        wer spricht denn in diesem Video? Hört sich nach Ken Jebsen an, Antisemit und Narzisst aus dem Elsässer-Clan. Vor solchen Leuten und deren „Widerstand“ sollte man sich eher in Acht nehmen.

        Wobei ich mit Jebsen nicht sicher bin.

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      • Schon gut, ich stolperte heute in aller Herrgottsfrühe über das gestern aufgenommene Video und hatte keine Zeit zu recherchieren. Bin auch mit dem Phänomen Montagsdemo (in Berlin) nur bruchstückhaft vertraut. Näheres dazu findest Du hier und hier (Blogger opablog, von dem auch die Videoaufnahme stammt).

        Du hast recht, es war Ken Jebsen, und ja, vor solchen Leuten sollte man sich Acht nehmen. Ob dieser Einwand allerdings ausreicht, um die gesamte Montagsdemo zu diskreditieren? Mit solchen pauschalen Schnellschüssen bin ich vorsichtig. Kennst Du die anwesenden Demonstranten und deren Motivationen? Ich nicht. Kennen die anwesenden Menschen den zweifelhaften Background von Ken Jebsen? Ich weiß es nicht. Weißt Du es?

        Mag sein, dass dort – wie Du sagst – der „falsche“ Widerstand ausgerufen wird. Okay. Dann bleibt immer noch die Frage offen, warum niemand kommt und den „richtigen“ Widerstand ausruft? Hm? Also, physisch auf dem Platz, wohlgemerkt, und nicht via Blogtastatur.

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      • Mrs. Mop,

        ich wusste bis eben nicht mal, dass es wieder Montagsdemos gibt :-)

        Insofern kann ich sie nicht diskreditieren. Aber ich bin, was Widerstand angeht, komplett pessimistisch. Das ist auch eine Folge neoliberalen Agierens. Die Menschen sind verwirrt. Occupy war ein gutes Beispiel für die Verwirrtheit und die unglaubliche Harmlosigkeit junger Leute heute. Da geht derzeit nichts, machen wir uns nichts vor. Über die Zelte vor der EZB (ausgerechnet vor der EZB!) haben sich die vorbeischlendernden Banker der Deutschen Bank kaputtgelacht. Leute wie Elsässer oder Jebsen haben Zulauf, attac mit vernünftigen Ansätzen ist komplett in der Defensive und aus der Öffentlichkeit verschwunden.

        Es wäre heute die Stunde der Populisten, die ihre Schuldigen in Verschwörungstheorien suchen oder bei Minderheiten.

        Es wäre interessant, sich das einmal etwas näher anzuschauen. Wenn ich Zeit und Muße habe, versuche ich das demnächst mal bei mir, ein superinteressantes Thema: Die neoliberale Ideologie sorgt dafür, dass man Gesellschaft nicht mehr wahrnimmt und nur noch mit sich selbst und seiner Optimierung und Schuldzuweisung beschäftigt ist. Dazu Ablenkungen aller möglichen Art. Marx findet im Feuilleton statt, um Liberalität zu beweisen. Ein Blick in die USA reicht, dort ist die Entwicklung vermutlich 20 Jahre voraus.

        Es kommt zu gesellschaftlicher Verwirrung und Sprachlosigkeit. Verführer wie Jebsen haben da leichtes Spiel. Es gibt natürlich immer ein gewisses kritisches Potenzial, im Internet, Print, überall. Aber der Mensch hat offenbar die Neigung, in solchen Situationen zu einfachen Lösungen, zum Treten nach unten. Der Erfolg von Pirincci ist nicht wegzudiskutieren. Dass das Berliner Schloss aufgebaut wird, ist ebenfalls eine Folge dieser Verwirrung und des Tretens nach unten.

        Das kritische linke Denken hat derzeit und vermutlich auch auf absehbare Zeit keine Chance. Machen wir uns nichts vor.

        Interessant wäre auch, den Begriff der Öffentlichkeit zu untersuchen. Ich bin öfter in den Niederlanden unterwegs, dort ist auch Bahnhöfen und in Zügen kaum noch jemand zu sehen, der nicht ein Smartphone in der Hand hielte. Öffentlichkeit ist dort also auch im realen Raum in Wahrheit eine virtuelle.

        Das soll jetzt alles gar nicht so pessimistisch klingen, wie es das vermutlich tut und wie ich es am Anfang erwähnt habe. Es ist nur das, was mir auffällt.

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      • genova

        „Das kritische linke Denken hat derzeit und vermutlich auch auf absehbare Zeit keine Chance. Machen wir uns nichts vor.“

        Wieso hat das kritische linke Denken keine Chance? Macht es sich womöglich selbst etwas vor, wenn es sich für chancenlos hält? Solange das kritische linke Denken unfähig (oder nicht willens) ist, sich in kritischem Handeln zu materialisieren, sollte es sich nicht wundern, wenn andere sich das vorhandene Widerstandspotenzial unter den Nagel reißen – denen lässt es ja quasi den Vortritt. Um dann, aus der Deckung heraus, übellaunig über die „Populisten“ zu schimpfen. Statt sich aktiv einzumischen und sich auseinanderzusetzen und zu zoffen mit, jawohl!, auch mit den Populisten. Berührungsängste, wo man hinschaut; lieber in Schönheit (des linken deutschen Reinheitsgebotes) sterben als mal herzhaft die Fetzen fliegen zu lassen.

        Ja, schreib da bald mal was dazu, ich freue mich drauf.

        Noch was: Ich finde, Du solltest „die Jugend“ nicht mit dem Bade ausschütten. Es gibt so ne und so ne, es gibt Harmlose, es gibt Verwirrte (unterscheiden sie sich darin eigentlich von den Erwachsenen?) und es gibt noch ganz andere, die Dir bloß eventuell noch nie begegnet sind. Ein kluger Jugendforscher wurde mal von schlagzeilengeilen Journalisten gefragt, wie er „die Jugend von heute“ charakterisieren würde? Antwort: Die Jugend ist ziemlich jung und sehr verschieden. Yo, bro.

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      • Mrs. Mop,

        ich habe mich unklar ausgedrückt: Nicht das kritische linke Denken hat keine Chance, sondern seine praktische Umsetzung hat sie nicht. Warum, das habe ich ja versucht zu begründen, und zwar mit den Ereignissen der letzten Jahre, wie auch mit dem Blick auf die USA. Die Reaktion auf die Zumutungen ist die Tea Party, in Europa sind es rechte Parteien und Anti-Homobewegungen. Es ist ein Effekt der neoliberalen Ideologie, dass der Mensch auch im Denken keine Alternative mehr hat. Mitmachen oder Klapse. Ich mache naturgemäß mit.

        Es geht nicht um Vortritt lassen, sondern um reale Phänomene, die ich zu beobachten meine. Es ist egal, was ich hier schreibe, es zäht die Tat.

        Ich habe den Eindruck, dass der gesamte linke Bereich resigniert hat. Man weiß, dass sich die Zustände zuspitzen und spürt, dass man real nichts unternehmen kann.

        Jebsen: Mag sein, dass viele den zweifelhaften Hintergrund von Jebsen nicht kennen, aber was sagt das aus? Dass sie nicht informiert sind und einem Typen hinterherrennen, der gut reden kann.

        Soziologisch betrachtet: Die Aufstandsbewegungen in Nordafrika und der Türkei wurden von gut gebildeten jungen Menschen begonnen. Ich sehe nicht, dass die hier sich artikulieren. Die hängen fest in G8 und einem stressigen Studium, das keinerlei Zeit lässt. Und die Jobs für die gibt es im wesentlichen ja auch. Und wenn, dann engagiert man sich im Sinne des Kapitals gegen den climate change.

        Im übrigen wäre es das erste Mal, dass ausgerechnet in Deutschland eine positive Enwicklung ihren Anfang nimmt.

        Es ist eine große postmoderne Verwirrtheit, in der die einen sich extatisch mit dem Binnen-I und seinen Nachfolgern beschäftigen und die anderen damit, dass Tempelhof zu 100 Prozent unbebaut bleibt. Zwei intellektuell unterbelichtete und vor allem unpolitische Gruppen.

        Ich sehe nichts Relevantes dazwischen. Es spricht auch nichts dafür, dass Berlin in 30 Jahren nicht so ist wie Paris oder London heute. Ein Andrej Holm wirkt letztlich auch nur als Besänftiger, es entspringen aus seinem Denken keine radikalen Forderungen.

        Wäre gut, wenn ich falsch liege, aber reines Wunschdenken hilft nicht weiter. Aber natürlich ist mein Denken auch davon beeinflusst, dass ich mir meines realen Zustandes als eines kleinen Wurms, der gegen Windmühlen kämpfen müsste, bewusst bin.

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      • genova

        Nur ganz kurz, die Spätschicht ruft ;)

        „Es ist ein Effekt der neoliberalen Ideologie, dass der Mensch auch im Denken keine Alternative mehr hat.“ Wie jetzt, etwa auch der linke Mensch in seinem linken kritischen Denken? Weiter: „… man spürt, dass man real nichts unternehmen kann.“ Herr Jessas, denkt so das linke kritische Denken? Na dann gute Nacht. Und ich dachte immer, es sei essentieller Bestandteil linken kritischen Denkens, die neoliberale Alternativlosigkeit eben als das zu entlarven, was sie ist, nämlich Ideologie. Wenn das so stimmt, was Du schreibst, dann hat sich das linke Denken aber mal sowas von voll infiziert (oder soll ich sagen: identifiziert?) mit TINA und Konsorten, dass wohl tatsächlich Hopfen und Malz verloren ist.

        Sorry, muss abflitzen, Hopfen und Malz wollen übern Tresen geschoben werden :)

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      • Mrs. Mopp,

        das linke kritische Denken ist erstmal Theorie. Du siehst an mir, dass es existiert :-) Aber es geht um die Praxis und da geht es um ein Massenphänomen. Das sind zwei Paar Schuhe, die zu trennen sind.

        Ich versuchte ja nur zu beschreiben, was ich um mich herum sehe.

        Zu den Montagsdemos:

        Nachrichten von der Front

        Die Verwirrtheit könnte größer kaum sein, auch wenn inhaltlich sicher manches stimmt von dem, was Jebsen sagte.

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      • genova

        Na, da bin ich ja erst mal beruhigt, dass das linke kritische Denken in lebendigem Fleisch und Blut existiert. Weil, ich fing schon an zu befürchten, es könne sich um ein körperloses, blutleeres, lendenlahmes Phantom handeln ;)

        Stimmt, die Verwirrtheit in Sachen Montagsdemo könnte kaum größer sein. Bin grade mächtig am Sortieren und von einem Durchblick so weit entfernt wie vom Nordpol. Danke für den Link zu Deinem Blog. Interessant auch die beim Opablogger mittlerweile aufgelaufenen (kontroversen) Kommentare zum Thema. Sehr spannendes Phänomen, das Ganze, dem – meine ich – nicht gerecht zu werden ist, wenn es einfach nur ideologisch in Grund und Boden gebasht wird.

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      • Mrs. Mop,

        wir sehen das alles ähnlich, denke(!) ich. Du hast einen angenehm frischen, unverbohrten Schreibstil, der auf Verständigung durch sachte Provokation aus ist. Das ist schon die halbe Miete. Mach mal eine Montagsdemo, ich komme dann!

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  2. ach je, das Franziskaner. Eine meiner ersten Anlaufstellen in der Stadt – lange ists her. Gibts eigentlich das Babylon noch ? Die langen Filmnächte … die lauen Sommernächte … ach.

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  3. Hallo CC- Ja, das Babylon gibt es noch. Kürzlich wieder da gewesen.
    Den Franziskaner zum Glück auch noch.
    Ich weiss nicht, wo du jetzzt bist, aber wenn du länger nicht hier warst, würdest erschrecken, wie Kreuzberg sich verändert hat.

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  4. Es ist schlicht und ergreifend zum Kotzen. Letzte Woche wurden in der Reichenberger Straße wieder Zwangsräumungen vollstreckt. Die Polizei ging mit unverhältnismäßiger Härte dagegen vor. Auch wurden Presseleuten und freie Fotografen hart angegangen.

    Von diesem Hotelinvestor, der am Oranienplatz bauen will, hörte ich in der „Abendschau“: unglaublich mit welchem gravitätischem Ernst und mit welchem Szenegequatsche dieser Dreckshannes die Preise nannte. Der glaubt, was er sagt und hält sich auch noch für links. Es ist – nebenbei – genau dieses widerliche grüne Milieu, was mich seit über 20 Jahren ungeheuer nervt.

    Schlimm sind die von Dir beschriebenen Zustände. Noch schlimmer aber, daß dieses Thema von der Presse nicht in die Öffentlichkeit gebracht wird. Wenn man die Berichterstattung des „Tagesspiegels“ liest, dann befindet man sich mittlerweile auf dem Niveau der BZ. Die Reporterleistung des unsäglichen Tagesspiegel ist es, den Polizeibericht abzuschreiben und abzudrucken. Kritisches Nachfragen gibt es dort nicht. Möge das Zeitungssterben voranschreiten.

    Die Frage hier in Berlin wird doch in diese Richtung immer dringlicher: Wie organisieren die Menschen Widerstand? (Ohne dummes Autoabfackeln und Blödsinnsaktionen mit blinder Gewalt.) Denn ohne Widerstand und Aktion geht es nicht. Ansonsten sind die voranschreitend gentrifizierten Orte Fakten, die geschaffen werden und es wird sich dieser Prozeß nicht mehr aufhalten lassen.

    Das Brisante an diesem Thema ist zudem, daß es jeden etwas angeht, der über ein normales oder geringes Einkommen (oder eben über Hartz IV) verfügt, denn morgen ist es ein anderer Stadtteil. Auch Steglitz und Friedrichsfelde sind nicht gefeit. In Lichtenberg ist mittlerweile der Zug der Gentrifizierung ebenfalls angekommen. Also bleibt die Frage: Was tun? Mit dieser sollten wir uns alle auseinandersetzen und uns Formen von Aktionen überlegen.

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    • Ich habe keine Ahnung, wie der Widerstand effektiv zu organisieren ist.
      Als vorletztes Jahr eine türkische Familie, ebenso in der Reichenberger, geräumt wurde, hat auch die Anwesenheit hunderter Menschen nicht genützt.
      Die Gerichtsvollzieherin hatte sich als Polizistin verkleidet und war durch die Hinterhöfe zur Wohnung der zu Vollstreckenden vorgedrungen. Hunderte Polizisten und Hubschrauber schützten sie dabei.
      Die große Frage die sich mir stellt ist die: wie kann eine größere Solidarität in der Gesellschaft erreicht werden?
      Denn wenn sich alle auflehnen würden, die unter den Verhältnissen leiden in denen sie leben, dann würde das seine Wirkung zeigen.

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      • Meine Vermutung ist, dass wir (und ich bemühe das ‚wir‘ auch weiter – komme später darauf zurück – Dickes Bussi an Bersarin, dessen Wut ich verstehen kann, und der mein Bruder bleibt, auch wenn er meine amusische Art unter seinem Niveau findet. Schuldig! … und weiter im Text.) den Widerstand tatsächlich „neu erfinden“ müssen, bevor wir ein ernstzunehmendes Gegengewicht erreichen werden zu dem was man gerne mit dem Sammelbegriff „der Neo-Liberalismus“ zusammengefasst wird. Die Atomisierung der Bevölkerung, die Genova68 beklagt ist tatsächlich eine Hemmnis Menschen in der Wirklichkeit, und längerfristig, aber auch Konzertiert einzubinden. Sie ist allerdings älter als das Mobilgerät, und die „virtuelle Welt“, ich vermute auch diesmal ist nicht das Medium das Problem, sondern das gesellschaftliche Phänomen, eben so wenig wie seinerzeit bei das Fernsehen an allem Schuld war. Aber zurück zum Thema.

        Es ist verlockend die historische Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts zu invozieren, aber während das was zumindest mal Rechts war sich in ein vermeintlich a-idiologisches Amalgam aus ökonomischen und geo-politischen Verbindungen weiter entwickelt hat einen mehr oder minder geschlossenen Eindruck macht, und gemeinsam größtenteils handlungsfähig zu sein scheint, zersplittert sich das was zumindest mal Links war exponentiell in egoistischem, und semantischem Klein-Klein. Sehr sichtbar ist das in meiner kleinen Ecke – in der vermeintlichen „Community“ des LGBTI. Der vermeintlichen Gemeinde fehlt jegliche Gemeinsamkeit, diese müsste künstlich erhalten werden, und eben dies passiert nicht. So machen wir uns zum Spielball für ökonomische Interessen, meines Erachtens geo-politisch motivierte anti-muslime Ressentiments, traditionellen Rassismus (Bsp.: Black vs. Gay on Prop. 8 in Kalifornien, USA), und der gleichen mehr. Unseren Gegnern eint die Motivation Geld zu verdienen, und verständigt sich sehr effektiv, vermutlich mittels dieser Gemeinsamkeit, oft trotz massiver, interner Interessenkonflikte. Oft sind die, die „uns“ für ihre ökonomischen Ziele ge-/missbrauchen möchten Mitglieder unserer „Community“ so das ich, an dieser Stelle noch mal einhaken will mit dem Gebrauch des „wirs“, unsere „Feinde“ sind wir. Wir müssen, so meine Vermutung, noch einmal über das vereinen unserer Bemühungen unsere Interessen zu wahren nachdenken, und eine Möglichkeit entwickeln und pflegen mit einander Verbunden zu bleiben, damit wir nicht „nur“, wenn jemand wie von Tikerscherk angesprochen aus seiner Wohnung befördert werden soll akut reagieren können, sondern damit ein dauerhafter Gegendruck geschaffen wird zu den sehr effektiven, und konzertierten ökonomischen Interessen, die uns gerne für ihre Zwecke instrumentalisieren würden (und es auch tun). So bewegend, die Szene die von Tikerscherk geschildert war, so ineffektiv waren unsere Gegenmaßnahmen. Der Homo ökonomkus wurden eingefordert, und trotz aller Proteste konnte keine Alternative formuliert werden.

        Ich persönlich habe wenig Talent mit Menschen um zu gehen, und zwischen ihnen zu vermitteln. Dafür Koche ich wie ein kleiner Teufel. Gemeinsames Essen ist ein starker Kitt, und löst die Zungen. Sollten hier irgendwelche gemeinsam an einen Tisch setzten wollen um sich zu verständigen und zu verbandeln, wenn ihr den Herd, und einige Lebensmittel zur Verfügung stellt, ich stelle meine Kocherei zur Verfügung. Die radikalen Feministinen meiner Jugend sagen gerne „take your eyes of the guys,“ was ich so verstanden habe, dass man sich einig werden muss um mit Widrigkeiten umgehen zu können. Schuldzuweisungen, und Angst schön und gut, aber wenn wir uns nicht einig sind, die „Kräfte des Marktes“ sind es.

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  5. Liebe tikerscherk, es tut mir leid. dass Du leidest. Du hast geglaubt, Du hattest Dein Paradies gefunden. Aber „The Wind of Change“ macht nicht halt Deinem Kiez. Du bist doch auch eine Zugereiste und hast etwas vorgefunden was Du liebenswert fandst. Da wo Du einzogst hatte ein anderer Platz gemacht. Somit hast auch Du eine kleine Veränderung gebracht. Und dann kamen die Nächsten und die Nächsten usw…

    Du kennst ja „Die Kreuzbergernächte“ und der Sänger singt es liege alles am System. Das System sind „Wir“. babewyn, weiter oben, hat recht. Der heutige Zustand ist von „uns“ hervorgebracht worden.

    Vielleicht hättest Du „mein“ Kreuzberg gar nicht gemocht, welches ich verlassen habe. Aus der Ferne gesehen sind dort Fortschritte gemacht worden. Und nun sagst Du, „so weit und nicht weiter!“.

    Inzwischen habe ich soviel über Kreuzberg dazugelernt das ich weis, es hat den Menschen, nicht nur in Deutschland, viel gegeben. Ich könnte mir vorstellen, das unter den Zugezogenen Menschen sind, die auch etwas für die Allgemeinheit tun.

    Du kennst ja den Spruch aus dem Faust, „Moment, verweile, du bist so schön“? Das bedeutet das Ende. Werde Stoiker freue Dich, das die Veränderungen nicht noch schneller geschehen. Genieße den Frühling von Berlin.

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    • Lieber Berlioz, danke für dein Mitgefühl und für deinen ausführlichen Kommentar.
      Um es gleich klar zu stellen: ich trauere nicht darüber, dass sich dein und mein Kreuzberg verändert, denn Veränderung ist Leben, stimmt.
      Richtig ist auch, dass ich einmal hierher gezogen bin und jetzt neue Leute hierher ziehen. Kein Problem. So war das immer.
      Was sich geändert hat, und das meint der Begriff „Gentrification“, ist der ungebremste Zugriff des Kapitals auf Wohnraum. Das Spekulieren auf denselben, und als Konsequenz die Verdrängung der Bewohner aus ihrem Zuhause. Und damit finde ich mich nicht ab.
      Wenn Stoiker zu werden bedeutet, dass ich fröhlich die Daumenschrauben akzeptiere und mich dabei noch freue, dass man mir nicht gleich die ganze Hand amputiert, dann möchte ich lieber kritische Bürgerin bleiben, die dann und wann sehr traurig ist, dass ihr Zuhause zerstört und dem Kapital keinerlei gesetzliche Grenzen dabei gesetzt werden.
      Die Diskussion hatte ich hier übrigens vor Kurzem schon einmal.
      Nachzulesen hier.
      Ich wünsche dir eine gute Nacht, auf der anderen Seite der Erde.

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      • Gut, dass du die Diskussion verlinkt hast, ich hatte sie nicht mitbekommen, weil ich den Text damals kurz nach Veröffentlichung gelesen habe.
        Du schubst manchmal mein Gewissen an, hin und wieder ärgere ich mich darüber, manchmal bin ich dir dankbar.
        Mich hat an diesem Text hier ein wenig bestürzt, wie entmenschlicht die wirken, die du als Ursache für die Gentrifizierung siehst. Wenn ich da an andere Texte von dir denke, in denen du vor allem das Menschsein hervorhebst, dann wird mir bewusst, wie viel Wut du empfinden musst. Ich kann das verstehen, ich lebe erst seit sieben Jahren hier und bin selbst immer wieder erstaunt, wie sehr sich die Stadt verändert hat. Und ich kann mich auch an die Tränen der Besitzerin des Spätis direkt neben meiner Wohnung erinnern, weil nichts mehr half und sie den Laden aufgeben musste. Seit neuestem arbeiten da Handwerker drin, mal sehen, wer dort einzieht…
        Und auch wenn Veränderung nicht aufzuhalten ist, geht es hier doch um weitaus mehr, das mit dem Lauf der Dinge allein nicht zu erklären ist. Da gebe ich dir also völlig Recht! Es gibt da ein politisches, soziales und auch systemisches Problem, von dem viele so tun, als sei es eine Art Naturgewalt. Ist es aber nicht, wir haben die Wahl! Aber, auch wenn Geldmenschen immer nur Geld machen wollen und viele Menschen (auf allen Seiten) leider denken, ihre Lebensweise sei die beste und einzige, darf man die Symptome nicht mit den Ursachen verwechseln.
        Ich lebe hier im Prenzlauer Berg nicht nur in einer Art Epizentrum der Gentrifizierung, sondern frage mich oft genug, ob ich nicht auch Teil davon bin. Mich ärgert und ödet hier vieles an, weshalb wir sehr bald wegziehen werden. Aber ich sehe auch, dass viele der Menschen, die mich auch oft genug ankotzen, einfach nur Menschen sind – verunsichert, gestresst, überarbeitet, leer, entwurzelt, auf der Suche nach etwas, das sie selbst nicht verstehen. Sie tun mir meist leid, wie sie versuchen das Leben zu meistern, indem sie ihren Kindern die „richtigen“ Klamotten kaufen, sich mit den „richtigen“ Gadgets ausstatten, die tollen Wohnungen beziehen, sich im Antiquariat völlig überteuerte Schrottmöbel andrehen lassen und diese dann zu ihren Ikea-Lampen stellen, um irgendwie etwas eigenes zu erschaffen. Ich möchte nicht das Lied der armen Mittelschicht anstimmen und ich habe mich schon oft genug mit völlig versnobten Eltern auf dem Spielplatz angelegt, aber irgendwas stimmt hier nicht und „Gitti und Heinz“ sind nicht das Problem.

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        • Liebe Asallime,

          danke für deinen Kommentar°

          „Gitti und Heinz“ sind ein Symptom, und fangen an ein Problem zu werden, wenn sie bestehende Kiezstrukturen durch Klagen gegen Kneipen, Clubs, Cafés und Hundebesitzer zerstören.
          Du weisst, wie sehr mir „die Menschen“ an sich am Herzen liegen, und so bitte ich dich, diesen Text als das zu betrachten was er ist: ein Rant (so habe ich ihn auch getaggt).
          Manchmal platzt mir einfach der Kragen, und dann schreibe ich mir das hier von der Seele.
          Die Entwicklung am Prenzlauer Berg, über die der Kiezneurotiker immer wieder so treffend schreibt, habe ich über die Jahre verfolgt. Ich habe Angst davor, dass es hier in Kreuzberg genau so wird, und danach sieht es ja schwer aus.
          Natürlich weiss ich, dass diese Menschen auch alle irgendwie ihr Leben meistern wollen, aber ganz ehrlich: mein Mitgefühl für diejenigen, die nicht wissen, für welchen Tand sie ihre überschüssige Kohle am besten aus dem Fenster schmeissen sollen, um möglichst zeitgeistopportun zu sein, hält sich gewaltig in Grenzen.
          Da habe ich mehr Respekt vor denen, die auf die Idee kommen zu teilen, und mit dem, was sie zuviel haben, denen, die zuwenig haben, unter die Arme greifen.
          Ich bin bestürzt, wie sehr das Leben vieler Menschen auf Lifestyle und Konsum, nicht aber auf Kommunikation und Solidarität ausgerichtet ist.
          Die Bedeutung von Heimat und Zugehörigkeit halte ich für unterschätzt.
          Mich macht es jedenfalls fertig und traurig und wütend und vielleicht auch ungerecht bzw. undifferenziert, wenn mir die Scholle unter meinen Füßen wegbricht.

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          • „Ich bin bestürzt, wie sehr das Leben vieler Menschen auf Lifestyle und Konsum, nicht aber auf Kommunikation und Solidarität ausgerichtet ist.“

            Sehr wahr, mich bestürzt das auch sehr. Das ist ein großes Thema für mich… Ich habe in meinem Leben eine Wandlung von dem einen hin zum anderen gemacht und bin noch in Zwischenwelten, noch unschlüssig, wohin, aber ganz sicher, dass es so nicht mehr geht. Ich bin in einem recht konsumfreudigen Umfeld aufgewachsen und war als noch Heranwachsende nicht ganz sicher, woher dieses leere Gefühl kommt. Ein Kind kennt keine andere Realität als seine eigene… durch meinen Freund und die ganz tief sitzende Gewissheit, dass ich mein Kind nicht glücklich machen kann, wenn ich es mit Dingen überschütte, fühle ich mich hier immer fremder. Aber ich kenne die Innenansicht… nennen wir es also eher „Selbstmitleid“. :-)
            Dass die hier alle überschüssige Kohle haben ist übrigens ein Trugschluss… die haben nur das Leben mit der Kreditkarte entdeckt.

            Was soll ich noch sagen, du hast Recht, ich mag das, was du schreibst, tikerscherk! Danke!

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          • Wenn ich so darüber nachdenke, dann bin ich doch nicht Teil des Problems… ich komme zwar aus dieser Welt („Oh, also Kulturwissenschaft willst du studieren, super, bei McKinsey suchen Leute wie dich“), aber ich bin eher eine von den versponnenen Künstlertypen („Fuck McKinsey“), die sich die Mieten hier bald auch nicht mehr leisten können. Und auch nicht wollen!

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      • Liebe asalime, Kinder kann man sehr wohl glücklich machen indem man sie in die Arme nimmt, sie drückt und herzt und vor allen Dingen muss man Zeit mit ihnen verbringen. Gemeinsam etwas unternehmen, und sie nicht mit dem neusten Gadgets abfüttern, das muss man. Man darf sie fragen zu helfen und dann zum Ausdruck bringen das man die Gemeinsamkeit schätzt.

        Was sind denn all die Protestbewegungen die Ihr hier bespricht? Es sind die Proteste der Jungen gegen die Alten die ihre gewonnenen Plätze verteidigen. Weil die Alten die Jungen nicht mitgenommen haben. Es fehlen die Gemeinsamkeiten. Traditionelle Gesellschaften sind da ganz anders. Traditionen werden das Korsett, welches alles zusammen hält. Nicht immer unsere (Mitteleuropäer) Sache.

        Wir möchten nicht, was der Patriarch von uns verlangt, wir mögen nicht was die herrschende Klicke befiehlt und wir mögen überhaupt nicht was andere wollen. Wir sind eben Kinder der sogenannten freien Gesellschaft und wundern uns doch über das Chaos das wir verursachen.

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  6. Super gelungenes Wandbild, … ach was! ein Gemälde ist das!

    Bin gerade dabei, meine jahrzehntelang geknipste Graffiti-Sammlung neu zu archivieren. Wo ist das aufgenommen worden?

    Der gute alte Elefant am Heinrichplatz. Einer der letzten Läden, wo ich mich ab und an für einen Kaffee mal in der ansonsten großflächig von Gentrie-Faschos okkupierten Besatzungszone sehen lasse. Wie geht es dem Walter und der Anita? Kennst´e noch seinen Hund, der so groß war wie ´n Pony? Übrigens sind die Photos auf der Homepage vom Elefant von einer alten Freundin aus der Eifel gemacht worden.

    Mist! Ich gerate ins schwärmen … seufz …

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    • Hallo Peer,
      das Bild findet man in der Köpenicker Straße, direkt vis à vis Zeughofstraße.
      Es befindet sich an dem Parkplatz des abgebrannten Netto-Marktes.
      Ja, im Ele ist alles beim Alten. Wegen des Rauches gehe ich nicht mehr so gerne rein. Aber im Sommer sitze ich immer noch sehr gerne da draußen und freue mich, dass es den laden noch gibt.

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  7. Hallo Tikerscherk! „Was sich geändert hat, und das meint der Begriff “Gentrification”, ist der ungebremste Zugriff des Kapitals auf Wohnraum. Das Spekulieren auf denselben, und als Konsequenz die Verdrängung der Bewohner aus ihrem Zuhause. Und damit finde ich mich nicht ab.“
    Mit diesem Kommentar stimme ich überein.
    Ich finde auch, dass Veränderungen gut sein können. Aber ich bin gegen Spekulieren. Dadurch werden die Mieten unnötig in die Höhe getrieben. Gibt es in Berlin nicht mehr so etwas wie Mieterschutz? Wenn die Mieten nicht so unendlich in die Höhe getrieben werden dürften, würde es den Spekulanten vergehen Wohnraum aufzukaufen, der von rechts wegen sozialer Wohnraum sein müsste.

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    • Hallo auntyuta,
      danke für deinen Kommentar.
      Leider gibt es keinen ausreichenden Mieterschutz in Berlin. Bestehende Regelungen sind zahnlos.
      Gäbe es ihn, dann hätten wir das Problem der Gentrifizierung nicht, oder nicht in dem Maße.

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      • Dazu möchte ich sagen, Tiker, dass Gentrifizierung auch in australischen Städten ein soziales Problem ist, besonders in Sydney. Das Kapital bestimmt und die kleinen Leute haben nichts zu sagen.
        Viele Grüsse aus Australien von Uta.

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    • Sehr aufmerksam, vielen Dank!
      Nein, ich kannte die beiden und ihre Fotos noch nicht.
      Bei Jeremiah schaue ich nur vorbei, wenn ich weiss, dass ich ertragen kann, was ich sehen werde.

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