Porno statt Adorno

AfE-Turm.

AfE-Turm. (Photo credit: Wikipedia)

An Tagen wie heute beneide ich die Frankfurter mal wieder. Nicht nur, dass sie einen richtigen Fluss vor der Haustüre haben, nein, Taunus und Spessart sind als Hausgebirge nicht weit, der Odenwald und der Vogelsberg sind auch schnell erreicht. Das Bahnhofsviertel, die sündige Meile, ist interessanter und vielfältiger, als jeder Kiez Berlins, und ein eigenes Weinanbaugebiet, den Lohrberg, gibt es auch.
Der Dialekt mag gewöhnungsbedürftig sein, gegen das unfreundliche Berliner Bellen kommt er aber allemal an.
Und Frankfurt hat Hochhäuser. So richtige schöne Wolkenkratzer, die vom Museumsufer aus betrachtet, eine wunderbare Skyline bilden.
In einem davon, dem AfE Turm, habe ich studiert. 116 Meter hoch und 36 Stockwerke, 1970 im Stile des Brutalismus, erbaut, war der Turm
das Zuhause der Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität, geprägt durch die Frankfurter Schule und ihre Kritische Theorie. Untergebracht war dort auch mein Nebenfach, die Theater-Film- und Fernsehwissenschaften.
Die Aufzüge, in denen regelmäßig jemand steckenblieb, und in deren Schacht 2005 Lukardis Gräfin zu Erbach-Fürstenau den Tod fand,  hatten Telefone mit Wählscheibe. Sie fuhren seit 1991 nur noch die Stockwerke 9, 17, 25 und 33 an. Zu Fuß war man meist schneller, und der Weg nach oben lohnte sich, denn der Ausblick auf die Stadt war fantastisch.
Heute um 10 h wurde der Turm, der sich auf dem Goethe-Campus befand, gesprengt. Noch nie wurde ein so hohes Gebäude, das mitten in der Stadt liegt,  in Europa in die Luft gejagt.
Ich habe die Sprengung auf n-tv verfolgt, und wäre zu gerne dabei gewesen.
Wie erst ein Teil in sich zusammenfiel, und dann, so sah es zumindest aus, der Kern hinterher stürzte, wie ein Geist. Beeindruckend!
Mit dem Turm ging ein Stück 68er-Nostalgie zu Ende, denn in dem Uni-Turm wurde studiert, diskutiert und demonstriert. Er wurde besetzt, um gegen die Studiengebühren zu protestieren, und Generationen von Studenten haben sich hier mit Adorno, Horkheimer und Weber auseinander gesetzt. An seiner Stelle sollen dort nun ein Wohnhaus, ein Bürohaus und ein Hotel entstehen.
Wieder Türme, natürlich.
In Frankfurt sind die Immobilienpreise in den letzten Jahren stark gestiegen. Dagegen ist das hier in Berlin nichts. So werden inzwischen für einen Quadratmeter schon bis zu 14.000 € bezahlt, und ein Ende der Entwicklung ist noch nicht in Sicht. Ich bin gespannt, welche Preise für die Wohnungen auf dem ehemaligen Uni-Campus erreicht werden, und was die Stadt Frankfurt daran verdienen wird.
Für Nostalgiker gibt es einen Jutebeutel mit dem Turm als Aufdruck. Erhältlich bei der Künstlerin Kerstin Lichtblau. (gesehen in dem prima Frankfurt-Blog stadtkind.ffm).

 

 

Musik zum Text heute ausgewählt von Stony:

Ton, Steine, Scherben, Der Turm stürzt ein

(youtube-Direktlink)

Nachtrag: Immerhin gibt es den Schreibtisch von Adorno noch

29 Kommentare zu “Porno statt Adorno

    • Cool! Danke für den Link zum Video. Leider ist der Knall nicht mit drauf. Alles ganz stumm, was es noch bizarrer macht.
      Hat schon was, wenn soviel Stahl und Beton in die Knie gehen.
      Bin gespannt, was da für Türme hingesetzt werden.
      Einige der Hochhäuser in Frankfurt gefallen mir ja schon sehr gut.

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    • „Nach Einschätzung des Marktforschungsinstituts BulwienGesa seien Neubauwohnungen mit fünfstelligen Quadratmeterpreisen vor drei Jahren in Berlin noch undenkbar gewesen.“
      und
      „Im Bereich zwischen 5 000 und 10 000 Euro je Quadratmeter habe sich das Bauvolumen in den vergangenen zwölf Monaten um etwa 30 Prozent vergrößert.“

      Krass.
      Und es finden sich genug Leute, die das bezahlen können.
      Wollte ein Hartz IV Empfänger auf nur einen Quadratmeter der o.g. Immobilie sparen, dann müsste er knapp 27 Montae lang seine gesamte Grundsicherung beiseite legen.
      Davon ausgehend, dass max. Ansparungen von 30 € pro Monat als realistisch zu betrachten sind, dauert es also 29,1666 Jahre, um sich diese Ein-mal-ein-Meter leisten zu können.
      Was solls. Wollnwa bloß nich neidisch werden.

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  1. Schöner Text. Ich habe auch so manche Stunde in diesem Turm verbracht. Ich fand es dort gar nicht so schrecklich, so wie anscheinend alle, die dort studiert haben, es empfunden haben. Ich habe eher angenehme Erinnerungen an den Turm. Dort habe ich mein erstes Semester verbracht. Ich fand es damals sehr interessant dort: die vollkommen zugetaggten Aufzüge, die seltsamen Parolen und Sprüche an den Wänden, und vor allem, wenn es im Seminar langweilig wurde, diesen grandiosen Blick aus dem Fenster bis zum Feldberg. Und unten das TuCa, hab auch dort häufig entspannt gesessen, Kaffee getrunken und dummes Zeug mit den anderen gequatscht. War schon seltsam, diesen Klotz zusammenfallen zu sehen. Viele Erinnerungen hat er mitgenommen. Aber beeindruckend war die Sprengung trotzdem: die Druckwellen hat einen fast von den Beinen geholt.

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  2. Hola Mrs. Mop- schön dich zu lesen!
    Das Gebäude, das ich gerne einstürzen sehen würde, wird erst im Mai eröffnet.
    Gut gefallen hat mir übrigens der ganze Zirkus um den vorbestraften Sprengmeister.

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  3. Du beschreibst den Abriss ja ganz passend als neoliberalen Stadtumbau, der in diesem Fall leicht vonstatten geht, weil man das Volk auf die böse Brutalismus-Architektur hinweisen und affizieren kann. Dieser Abriss hat was von der Forderung, ein Buch zu verbrennen, weil man den Autor nicht versteht.

    Dass dieses Gebäude so wenig Verständnis findet, zeigt, in welch katastrophalen Zeiten wir leben.

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    • Ich glaube, allein der Name des Baustils, der in der Presse nicht weiter erläutert wird (béton brut, le Corbusier), reichte aus, um den Abriss zu rechtfertigen.
      Der Vergleich mit der Bücherverbrennung passt aus meiner Sicht nicht ganz. Es geht ja nicht um ein Verstehen, sondern darum etwas Neues haben zu können. Etwas, das Geld bringt. Um jeden Preis.
      Zu diesem Zweck durfte auch schon das Schimmelpfeng-Haus am Breitscheidplatz, das immerhin unter Denkmalschutz stand, plattgemacht werden. Demnächst soll der Brunnen auf dem Platz wegkommen, weil etwas Neues her muss.
      Wozu Werte erhalten, wenn man neue schaffen kann, die sich unmittelbar auszahlen?

      Ich finde es übrigens schade um den Turm, aber wenn sie ihn schon sprengen mussten, wäre ich gerne dabei gewesen, um zu sehen, wie ein Ort, an den ich viele Erinnerungen habe zerstört wird.
      ich habe einmal das Haus brennen sehen, in dem ich lebte. So schlimm es war, so sehr hat es mich doch fasziniert.

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  4. Der Bücherverbrennungsvergleich passt nie so richtig :-)

    Danke für den Hinweis auf den beton brut. Christian Thomas schreibt dazu in der FR über den AfE-Turm:

    „Sinnbild des Betonbrutalismus der 1970er Jahre, einem Sinnbild des schieren Bauwirtschaftsfunktionalismus der 1970er Jahre, einem Sinnbild für die Unwirtlichkeit des Frankfurterischen.“

    http://www.fr-online.de/stadtentwicklung/afe-turm-zu-staub,26042926,26059052.html

    Ein wildes Umherwerfen von Begriffen. Brutalismus hat nichts mit Bauwirtschaftsfunktionalismus zu tun, und wenn das in der Tat ein „Sinnbild“ ist, dann wäre es die Aufgabe von Journalisten, darüber aufzuklären. Stattdessen erzählt Thomas faktischen Quatsch.

    Es beschäftigen sich eine Menge Fachleute mit dem Thema, aber ein FR-Redakteur hält es für chic, das zu ignorieren.

    Christian Thomas ist nicht irgendwer, sondern Chef des FR-Feuilletons. Bei anderen für ihn relevanten Themen würde er vermutlich vorher googeln oder einen Kolllegen fragen. Beim Thema moderne Architektur ist Thomas stolz auf sein Nichtwissen, auf seine Voruteile, auf sein kleinbürgerliches Herangehen ans Thema.

    Immerhin schafft er es, einen ziemlich interessanten Befund wiederzugeben, kapiert aber vermutlich nicht, was er schreibt:

    „Vom ersten Tag an setzte sich eine ungeheuer intensive und systematische und radikal betriebene Abnutzung aller zum Gebäude gehörenden Einzelteile durch. “

    Wenn das stimmt, so wäre es ein Grund gewesen, das Ding zu erhalten. Eine radikal betriebene Abnutzung. Da könnte man konservieren und gucken. Man wartet mit sowas lieber, bis ein Künstler ankommt, den der Markt goutiert. Der darf dann irgendwann einen Raum nach seiner Facon umgestalten, die Deutsche Bank wird es sponsorn.

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    • 2011 wurde in Frankfurt schon das Neue Historische Museum auf dem Römerberg abgerissen. Es stammte aus der gleichen Zeit. Beton scheint nicht mehr beliebt zu sein.

      Wie die Abnutzung aussehen kann, sieht man am Rotaprint-Gebäude im Wedding. Es steht unter Denkmalschutz.
      Besonders gut gefällt mir die tschechische Botschaft in Berlin Mitte, die ebenso im Stil des Brutalismus erbaut wurde.

      Und, ja, du hast Recht. Die Ignoranz von Christian Thomas ist schon bemerkenswert.
      Kannst du dir erklären, wieso fast die gesamte Presse die Zeit in der wir leben, und das was der Neoliberalismus mit sich bringt, beklatschen, resp. verherrlichen?

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  5. Ja, die tschechische Botschaft, die steht immerhin noch:

    Das coolste Gebäude Berlins steht bald leer

    Rotaprint ist auch ganz herovrragend, danke auch für die Links.

    2011 ist das Museum auf dem Römerberg schon abgerissen worden? Habe ich verdrängt oder nicht mitbekommen. Als ich das letzte mal auf diesem Platz war, stand es noch :-) Ist aber auch bezeichnend: Ist der Römerberg nicht fast vollständig alt wiederhergestellt worden

    Wenn man Neoliberalismus als die aktuelle gesamtgesellschaftliche Version des Kapitalismus begreift, ist das ein Selbstläufermodell. Das Kapital will es so, Zeitungen, die das nicht mitmachen, kriegen keine Anzeigen. Es geht wohl generell um die Geländerfunktion: Es wird sanft vorgegeben, was gesellschaftlich noch toleriert wird und was nicht: So was lustig-freches wie die Piraten werden begeistert toleriert, weil man da zeigen kann, wie pluralistisch man doch ist. Wenn eine Ypsilanti zögerlich eine Duldung durch die Linkspartei ankündigt, wird sie fertiggemacht. Erstere tun dem Kapital nicht weh, die konkrete Ypsilanti-Idee kann dem Kapital schnell viele Milliarden jährlich kosten.

    Das Geländer macht klar, wer noch drin ist und wer nicht mehr. junge welt oder neues deutschland haben keine Chance, am Trog mitzufuttern. Die Geländer werden auch geliefert, indem den Zeitungen heute am laufenden Bank fertige Nachrichten, Interviews, Reportagen und Seite-Drei-Berichte kostenlos geliefert werden, von neoliberalen PR-Agenturen. Welche klamme Redaktion will da schon nein sagen?

    Was das Feuilletonistische angeht: Es gibt eine Menge Journalisten, die architektonisch souverän berichten. Aber das findet fast vollständig in Fachblättern statt. In Zeitungen lief die Architektur nach 1990 zur Höchstform auf, aber da war Architektur in weiten Teilen Stararchitektur, da ging es um große Erzählungen. Sich ernsthaft um Architektur und Städteplanung zu kümmern, heißt immer auch, ökonomische Rahmen zu thematisieren. Da wird es schnell grundsätzlich, da holt man sich im Mainstream verbrannte Finger

    Es gibt derzeit einen Film, der das Dilemma deutlich macht:

    http://www.stadtaspekte.de/?p=7378

    Untendrunter ist ein Kommentar von mir, das könnte ich auch hierher schreiben.

    Ich vermute, dass man einen respektablen Umgang mit Architektur nur dann hinkriegt, wenn man die Leute, die damit umgehen sollen, ernst nimmt. Das passierte vermutlich in den 60ern so wenig wie heute. Heute versucht man aber, den Leuten mit regressiver Architektur die Veränderungen schmackhaft zu machen: Zurück in die gute, alte Zeit, als es noch keine Nazis und keine Demokratie gab. DAS ist das Hintergrundrauschen für den Altbau- und Schlosshype hierzulande.

    Aber das sind alles nur Vermutungen meinerseits.

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    • Die Umgestaltung des Römerberges heisst Dom-Römer-Projekt. Abgerissen wurde übrigens auch das Technische Rathaus (ebenso im Brutalismus erbaut), das ich ganz besonders mochte.
      Du hast schon Recht: die Architektur, die da entstehen wird ist regressiv. Da möchte man an alten Ruhm und die Zeiten vor den Weltkriegen anknüpfen. Genauso mit dem Schlossbau. ein widerlicher neuer Größenwahn, ein sich Reinwaschen wollen, im besten Deutschland, das wir je hatten.
      Das Bild mit dem Geländer als Vorgabe in den Medien ist gut.
      Woher kommt eigentlich dein ausgeprägtes Interesse an Architektur?

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  6. Gerade jetzt wo ich meinen TurmBlogBummsEintrag(der195783 von allen) verfassen möchte sehe ich deinen bisland übersehenen Beitrag. Und. Natürlich muss ich wieder klugscheißen. Der Spessart gibt gerne mit seinen Bergen an. Sogar der Sender steht auf einem Pfaffenberg (http://www.sender-pfaffenberg.de/index.html ) und stand vorher auf dem Geiersberg.
    Aber Tucholsky beschrieb sie treffender, wenn auch aus hormoneller Notlage, als Busen der Natur. Damit lebt es sich besser, find ich.

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    • Schreib ruhig über den Turm. Ich bin doch im Exil, und weiss alles was sich in der Stadt tut nur vom Hörensagen.
      Und deine Klugscheißen ist immer sehr informativ.
      Wenn man, so wie ich, in einer weitestgehend platten gegend lebt, dann kommt einem der Spessart vor wie ein amtliches Gebirge.
      Wer so verwöhnt ist, wie die Frankfurter, mag über dessen Hügelchen milde lächeln.

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  7. Hier ist noch ein schöner Abbinder:

    „Da stand er, dieser brutale Klotz. Dieser rechteckige Alptraum eines Kafka. Dieser geheimnisvolle und schweigsame Begleiter der vorbeischreienden Zeit. Mit einem starken Spruch auf dem Stirn: “Elfenbein“.“

    Ein starker Abschiedstext mit starken, teils beklemmenden Fotos. Grade bin ich auf der Bockenheimer/Senckenberg durchgeradelt, habe einen Blick nach links geworfen (12. Foto von unten) und hatte urplötzlich ein beklemmendes, äußerst befremdliches Gefühl der Amputiertheit, der Verlorenheit. Dieser Anblick schockiert mehr als das Bum-Bum-Spektakel am Sonntag. Er tut weh.

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    • Starker Text und sehr beeindruckende Bilder. Danke!
      Kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt da lang zu fuhren, und der Turm ist weg.
      Verloren und amputiert wahrscheinlich, ja.

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  8. Schöner Abschiedstext für einen Turm, der so ein anderes Gesicht bekommt. Ich hatte darüber im Radio gehört, aber hatte nicht mal ein Bild dazu im Kopf.
    Ich finde es total komisch, wenn Gebäude, zu denen man irgendeinen Bezug hat, plötzlich verschwinden. Ich mag das nicht. Es sind meine Erinnerungen, die ich nicht mehr auffrische, wenn ich an dem neuen Objekt vorbei komme.

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    • Ich finde es auch komisch, wenn einfach ein Stück Erinnerung gesprengt wird. Mrs. Mop beschrieb das Gefühl als amputiert und verloren.
      Er war schon imposant, dieser Turm, und mit ihm geht auch ein Stück der eigenen Geschichte zugunsten von Luxus und Geld.

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